2S35 mit 2 Läufen

2S35 mit 2 Läufen

© Russisches Verteidigungsministerium

Militärtechnik

Russlands doppelläufiges Artillerie-Monster, aus dem nichts wurde

Vor kurzem hat Russland angekündigt, eine neue Waffe in der Ukraine einzusetzen: die Panzerhaubitze 2S35 Koalizija-SW. Das moderne Artilleriegeschütz hat eine spannende Vergangenheit. Beinahe wäre die 2S35 die weltweit einzige doppelläufige Panzerhaubitze geworden.

Aus heutiger Sicht wirkt das Gefährt regelrecht monströs. Es sieht aus, als könnte es aus einem Command & Conquer-Computerspiel stammen, wurde aber tatsächlich erprobt.

Prototypen basieren auf der 2S19

Der Beiname „Koalizija-SW“ deutet auf das ursprüngliche Design hin. Koalizija steht im russischen für „Koalition“ und spielt auf die 2 Läufe an. SW ist die Abkürzung für die russischen Landstreitkräfte (Сухопутные войска = Suchoputnije wojska).

Wann die Entwicklung der 2S35 begann, ist heute unbekannt. Vermutlich dürfte es Ende der 90er-Jahre oder Anfang der 2000er-Jahre gewesen sein. Die Prototypen basierten auf der Panzerhaubitze 2S19 Msta-S, die 1989 in Dienst gestellt wurde.

Dazu wurde das Fahrgestell der 2S19 übernommen, das wiederum vom Kampfpanzer T-80 stammt, aber den Motor des T-72 nutzt. Darauf wurde ein komplett neu entwickelter Turm gesetzt, mit 2 Läufen im Kaliber 152mm. Zumindest 2 Prototypen wurden fertiggestellt und auch getestet. Es könnte aber sein, dass noch mehr Prototypen existieren, die nicht der Öffentlichkeit gezeigt wurden.

Geschütze mit mehreren Läufen sind selten

Geschütze mit 2 oder mehr Läufen sind auf modernen Schlachtfeldern eine Seltenheit. Ältere Schlachtschiffe haben mehrläufige Kanonen, sowie diverse Flugabwehrgeschütze. Dazu gehören der seit 1982 eingesetzte sowjetische Luftabwehrpanzer 2K22 Tunguska und das deutsche Gegenstück Gepard.

Der Gepard wurde von Deutschland auch an die Ukraine geliefert und wird dort zur Abwehr von Drohnen und Marschflugkörpern eingesetzt.

Mit AMOS gibt es noch einen 2-läufigen Mörser-Radpanzer, von dem aber nur 18 Stück an Finnland ausgeliefert wurden.

Doppelläufige Kampfpanzer schafften es nie über die Phase eines Prototyps hinaus. So ist es auch mit Panzerhaubitzen, weshalb die ursprüngliche 2S35 einzigartig auf der Welt gewesen wäre.

Vorteile von Artillerie mit 2 Kanonenrohen

2 Läufe bei Artillerie haben den Vorteil, dass das Geschütz weiterfeuern kann, wenn ein Rohr wegen eines Defekts oder einer Beschädigung ausfällt. Die Grundidee ist aber, dass schneller gefeuert werden kann. Während die 2S19 nur 6 bis 8 Granaten pro Minute abfeuern konnte, sollten es bei der 2S35 16 sein – also die doppelte Feuerkraft mit nur einem Fahrzeug.

Um diese Feuerrate zu ermöglichen, wurden im Turm 2 Autolader untergebracht – einer pro Lauf. Der Turm konnte um 360 Grad gedreht werden und war unbemannt. Die Besatzung von 3 Soldat*innen sitzt vorne in der Wanne der Haubitze. Von dort wird die 2S35 gefahren und das Geschütz bedient.

Im Turm der 2S35 waren 2 Autolader - einer pro Lauf

Insgesamt konnten 70 Granaten mitgeführt werden. Die 2S35 konnte verschiedene Munitionssorten mitführen, die von der Besatzung für den jeweiligen Beschuss ausgewählt werden konnten. Auch gelenkte Projektile waren vorgesehen, um eine höhere Genauigkeit auf weitere Distanzen zu erzielen.

Mehrere Granaten schlagen gleichzeitig ein

Durch die 2 Läufe stieg auch die Chance des Ersttreffers. Denn mit beiden konnte in sehr kurzer Folge hintereinander auf dasselbe Ziel geschossen werden.

Die 2S35 soll auch MRSI-fähig gewesen sein (Multiple Round Simultaneous Impact). Dabei werden in schneller Folge Granaten in unterschiedlichen Winkeln auf das Ziel abgefeuert, sodass diese alle gleichzeitig einschlagen. MRSI findet man heute bei modernen Geschützen – Anfang der 2000er-Jahre war das Konzept aber noch nicht weit verbreitet. Durch die hohe Feuerrate von bis zu 16 Schuss pro Minute, hätte die 2S35 vermutlich mehr Granaten gleichzeitig ins Ziel bringen können, als dies heutige MRSI-Geschütze mit einem Lauf können.

Prototyp der 2S35

Prototyp der 2S35

Zur Selbstverteidigung hatte die 2S35 Nebelwerfer. Es gibt zudem eine Aufhängung für ein Maschinengewehr am Turm, vermutlich ein PKT im Kaliber 7.62x54R. Da der Turm unbemannt war, war wohl die Überlegung, dass Maschinengewehr mit dem Hauptgeschütz koaxial zu schalten. So hätte man damit über die Steuerung des doppelläufigen Geschütz zielen und es für die Nahbereichsverteidigung bzw. die Luftabwehr gegen Tiefflieger oder Hubschrauber einsetzen können.

Prototyp der 2S35

Prototyp der 2S35

Entwicklung wurde eingestellt

Neben der Panzerhaubitze 2S35 gab es Überlegungen, das Doppelgeschütz für ein 8x8 Lkw-Fahrgestell zu adaptieren und für Kriegsschiffe. Schlussendlich wurden die Pläne für das doppelläufige Geschütz aber aufgegeben, soweit bekannt in bzw. um das Jahr 2010.

Die Komplexität der 2 Läufe und der dafür nötigen 2 Autolader im Turm war zu hoch und die Produktion zu teuer. Gerüchten zufolge soll das System auch zu fehleranfällig gewesen sein.

2015 tauchte die 2S35 wieder auf

Das war aber nicht das Ende der 2S35 Koalizija-SW. 2015 tauchte sie wieder auf, bei einer Militärparade. Obwohl sie nur noch einen 152mm-Lauf hat, wurden Bezeichnung und Name beibehalten. Sie nutzt das Fahrgestell des T-90, aber eine Hülle, die eher dem neuesten russischen Kampfpanzer T-14 Armata entspricht. Russland stellt in Aussicht, dass zukünftige 2S35 komplett auf dem T-14 aufbauen.

2S35 bei einer Parade im Jahr 2018

2S35 bei einer Parade im Jahr 2018

Die Entwicklung der neuen 2S35 verzögerte sich mehrmals. Ursprünglich sollten die ersten Stück schon 2016 an die Armee geliefert werden. Bis Oktober 2023 fanden noch staatliche Tests statt, danach wurde die 2S35 für die Massenproduktion freigegeben.

Diesen Monat kündigte Russland an, dass die 2S35 in Kürze an der Front in der Ukraine eingesetzt wird. Zumindest ein Exemplar wurde dort schon gesichtet, allerdings könnte es sich dabei um einen Feldtest und keine reguläre Stationierung gehandelt haben.

Leistungsdaten sind weitgehend unbekannt

Tatsächliche offizielle Daten der 2S35 sind spärlich. Laut der russischen Nachrichtenagentur TASS soll sie eine Reichweite von 70 Kilometern haben. Frühere Berichte sprachen davon, dass ein neuer, pneumatischer Schnelllader eine Feuerrate von 15 Schuss pro Minute ergibt. Die TASS schreibt mittlerweile von bis zu 10 Schuss pro Minute, was realistischer klingt.

Mit der Reichweite von 70 Kilometern mit Präzisionsmunition ist die 2S35 den amerikanischen HiMARS-Systemen der Ukraine unterlegen. Diese haben mit den Standardraketen bis zu 90 Kilometer Reichweite und mit den Export-Varianten der ATACMS bis zu 165 Kilometer.

Die Ukraine hat bereits in der Vergangenheit erfolgreich HiMARS eingesetzt, um russische 2S19 Panzerhaubitzen zu zerstören. Insgesamt hat die Ukraine, seit Beginn des Krieges, über 170 2S19 verloren.

Der Vorteil der 2S35 ist die hohe Verfügbarkeit an Munition. Neben den Präzisionsgranaten kann sie auch die Standard-Granaten der 2S19 einsetzen, die etwa 40 Kilometer Reichweite haben. Im Turm soll Platz für insgesamt 60 Granaten sein, schätzen Rüstungsexpert*innen. Zudem dürfte sie MRSI-fähig sein.

Angebliche KI-Fähigkeiten

Von russischen Rüstungs-Bloggern wurde verbreitet, dass die 2S35 per KI Ziele erkennen, erfassen, priorisieren und automatisch mit der geeigneten Munition bekämpfen könne, nachdem der Feuerbefehl erteilt wurde. Das dürfte eine ähnliche Übertreibung sein, wie die Behauptung, dass die 2S35 während der Fahrt gezielt feuern kann. Es ist denkbar, dass dies der Hersteller Rostec ursprünglich alles möglich machen wollte, aber sehr unwahrscheinlich, dass die jetzt hergestellten 2S35 tatsächlich diese Eigenschaften aufweisen.

In Zukunft soll die 2S35 die veralteten 2S19 ablösen. Aufgrund der Verzögerung bis zum Produktionsstart und der Unklarheiten, wann, wie und ob überhaupt die Wanne und der Antrieb des T-14 zukünftig eingesetzt werden, dürfte es noch etliche Jahre dauern, bis die 2S19 vollständig ersetzt werden kann.

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