Netzpolitik

EU-Parlament besiegelt Aus für Roaming und Netzneutralität

Die Netzneutralität, eine grundlegende Regel des Internets, besagt, dass jede Art von Inhalt bei der Übertragung gleichberechtigt sein soll. So soll vor allem sicher gestellt werden, dass Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung nicht missbrauchen können und auch kleinere Anbieter mit ihren Services eine Chance haben. In dem Gesetzesentwurf, der am Dienstag vom EU-Parlament in Straßburg angenommen wurde, kommt das Wort Netzneutralität nicht vor. Zwar steht dort, dass "Verkehrsmanagementmaßnahmen nicht diskriminierend sein dürfen". In der sogenannten "Verordnung über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet", über die das Parlament abgestimmt hat, wird die Netzneutralität in ihrer striktesten Form aber trotzdem ausgehebelt. Das liegt vor allem daran, dass viele Formulierungen schwammig gehalten werden, wie viele Netzaktivisten schon im Vorfeld angemerkt haben.

Das neue Gesetz sieht vor, dass Provider "Spezialdienste" bevorzugt übertragen dürfen. Problematisch ist, dass mit keinem Wort erwähnt wird, was einen Spezialdienst ausmacht. Von durch Autos automatisch abgesetzten Notrufen bis zu hochauflösenden Videoangeboten ist alles denkbar. Ein weiterer Punkt, der sich nicht mit strikter Netzneutralität vereinbaren lässt, ist die Einteilung des Datenverkehrs in Kategorien. Internetanbieter dürfen die von ihnen transportierten Inhalte künftig in Gruppen einteilen und diese unterschiedlich behandeln. So könnten etwa Videos bevorzugt werden. Auch eine Drosselung von P2P-Datentransfers oder verschlüsseltem Traffic wäre denkbar. Was genau eine Kategorie ist, wird im Gesetzestext nicht definiert.

Offene Fragen

Auch die Möglichkeit, bestimmte Daten bei "drohender Netzüberlastung" nur noch langsam oder gar nicht mehr zu übertragen, sorgt bei Online-Aktivisten für Unmut. Welche Kriterien eine "drohende Netzüberlastung" konstituieren, ist nämlich ebenfalls nicht definiert, die Provider können das mehr oder weniger selber festlegen. Auch die schon bisher üblichen "Zero Rating"-Modelle, bei denen Anbieter von Inhalten eine Vereinbarung mit den Providern treffen, damit Kunden die Inhalte konsumieren können, ohne dass der Datenverkehr sich auf das verfügbare Datenvolumen auswirkt, sind weiterhin möglich.

Kritiker merken an, dass all diese Regelungen für Unternehmen Möglichkeiten offen lassen, sich eine "Überholspur" für ihre Daten zu kaufen. Provider hätten so die Möglichkeit, bei Anbietern von Videos und anderen datenintensiven Anwendungen für höhere Bandbreite abzukassieren. Kleine Start-ups, die sich das nicht leisten können, haben es hingegen schwer. Auch auf die Nutzer könnten so höhere Kosten zukommen.

EU-Digitalkommissar Günther Oettinger sieht in der Regelung hingegen eine solide Grundlage für weitere Telekommunikations-Gesetze. Auch der ÖVP-EU-Parlamentarier Paul Rübig sieht keine Bedrohung für ein freies Internet in dem Gesetzesentwurf: „Wir sagen auch klar und deutlich Ja zu starker Netzneutralität. Start-ups, kleine Unternehmen und Zivilgesellschaft müssen genauso wie große Firmen freien Zugang zum Internet haben. Ohne das EU- Parlament hätte es keine Regeln zum Schutz des freien Zugangs zum Internet gegeben, sondern nur 'nationale Fleckerlteppiche'."

Aus für Roaming?

Die Gesetzesvorlage für ein Ende der Roaming-Gebühren wurde vom Rat mit der Verordnung über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet verknüpft und ist somit ebenfalls angenommen. Ab Juni 2017 soll es keine Roaming-Gebühren mehr in Europa geben, bereits ab April 2016 sollen die erlaubten Höchstgrenzen deutlich reduziert werden. Dann dürfen innerhalb Europas maximal fünf Cent pro Minute, zwei Cent pro SMS und fünf Cent pro Megabyte verrechnet werden. Eine Hintertür bleibt für die Provider allerdings offen. Sie werden Höchstgrenzen für das Kommunikationsvolumen einführen dürfen, ab denen sie doch wieder Gebühren verlangen werden. So soll verhiondert werden, dass beispielsweise Deutsche in Österreich SIM-Karten kaufen und die günstigeren Konditionen dann permanent in Österreich zu nutzen. Ob das Roaming tatsächlich als abgeschafft gelten darf, hängt an der Höhe der erlaubten Höchstkontingente. Diese sollen 2016 ausgehandelt werden.

Dass der Entwurf zum Roaming-Aus mit der Netzneutralitäts-Verordnung verknüpft worden ist, stößt einigen Beobachtern sauer auf. Viele EU-Parlamentarier haben angemerkt, dass sie mit den neuen Regelungen für die Bevorzugung einiger Inhalte im Netz nicht glücklich seien. Um endlich eine Lösung in der Roaming-Frage zu finden, wurde hier offenbar mancherorts ein Kompromiss in Kauf genommen. "Anstatt in der zweiten Lesung den schwammigen Kompromiss zu diskutieren und zu reparieren, ist dieser heute einfach nur abgenickt worden. Anstatt auf die Bevölkerung zu hören, hat das Parlament als einzige direkt demokratisch legitimierte Institution der EU sich von den anderen Institutionen den Weg diktieren lassen“, kommentiert Thomas Lohninger von der Initiative für Netzfreiheit. Die Unklarheiten, die Kritiker im Entwurf verorten, könnten im Nachhinein noch durch das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) geklärt werden, das Richtlinien für die Umsetzung in den einzelnen Ländern erlassen wird. In Österreich wird die RTR die Vorlage umsetzen.

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Markus Keßler

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