Netzpolitik

Scharfe Kritik an geplanten Eingriffen in Verschlüsselung

Am Sonntag wurde bekannt, dassim EU-Ministerrat eine Resolution beschlossen werden soll, die Behörden und Geheimdiensten eine Art „Generalschlüssel“ für verschlüsselte Nachrichten ermöglichen soll. Damit sollen WhatsApp- oder Signal-Nachrichten von den Behörden mit einer Hintertür entschlüsselt werden können - eine Forderung, die Großbritannien nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris im Jahr 2015 aufs Tapet brachte. Dieses Thema steht nun für Dezember auf der Agenda des EU-Ministerrats.

Doch daran gibt es jetzt scharfe Kritik. Der Chaos Computer Club (CCC) lehnt ein Aufweichen von Verschlüsselung vehement ab. "Damit würde für technisch weniger versierte Bürger und Unternehmen der Zugang zu sicherer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung faktisch unmöglich. Kriminelle und Terroristen hätten mit geringem Mehraufwand jedoch weiterhin keine Probleme, verschlüsselt zu kommunizieren", heißt es seitens des CCC in einem Blogeintrag.

"Schwächt IT-Sicherheit"

Der Chaos Computer Club merkt zudem an, dass Verschlüsselung nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden könne. "Entweder ist sie sicher oder sie ist es nicht. Man kann Verschlüsselung nicht so schwächen, dass die Schwächen nur durch Strafverfolgungsbehörden ausgenutzt werden können. Wohl aber können versierte Nutzer auf kaputte Kryptographie verzichten. Im Ergebnis hätten nur noch Kriminelle wahren Schutz", heißt es. Diese sind in der Lage, sich entsprechend zu schützen.

Auch die BITKOM spricht sich klar gegen ein Aufweichen der Verschlüsselung durch Behörden und Geheimdienste aus. So erklärt Susanne Dehmel, Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung: „Terrorismus und andere Formen schwerster Kriminalität müssen konsequent bekämpft werden können. Behörden müssen dazu fähig und entsprechend ausgestattet sein. Hintertüren in Kommunikationsdiensten können dafür aber nicht die Lösung sein. Wer Verschlüsselungen aufweicht, schwächt die IT-Sicherheit insgesamt."

Brief an die EU-Kommission

Die NEOS-EU-Abgeordnete Claudia Gamon will in einem Brief an die EU-Kommission, den Europäischen Rat und den deutschen EU-Ratsvorsitz dazu auffordern, von dem geforderten Zugriff auf verschlüsselte Nachrichten abzusehen. Mitunterzeichner sind bisher die niederländische Liberale Sophie in t' Veld und Moritz Körner von der FDP. Um Unterstützung weiterer EU-Parlamentarier wollen die NEOS werben. Am Dienstag unterzeichneten auch alle drei EU-Abgeordneten von den Grünen den Brief.

Deradikalisierung gefordert

Das Verschlüsselungsverbot ist ein klarer Eingriff in unsere Grundrechte”, kritisiert Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament: “Anlasslose Überwachung digitaler Kommunikationswege bedeutet das Ende des digitalen Briefgeheimnisses und bietet keinen effektiven Schutz vor Terrorismus. Statt politischen Aktionismus ist Besonnenheit und eine personelle Aufstockung der Ermittlungsbehörden das Gebot der Stunde.“

"Das Recht auf Privatsphäre muss auch im digitalen Raum geschützt werden. Das Europaparlament steht für den Schutz der Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger und hat ein Verschlüsselungsverbot 2017 eine klare Absage erteilt. So wie es die aktuelle Situation darstellt, hätten mehr Informationen den Anschlag in Wien nicht verhindern können. Die Anti-Terror-Achse aus Macron, Merkel und Kurz wäre besser beraten in europaweite Deradikalisierungsprogramme zu investieren, als die Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger weiter voranzutreiben", so Thomas Waitz.

"Wir lehnen es insbesondere ab, die jüngsten Terroranschläge als Mittel zur Förderung dieser Agenda zu nutzen", heißt es in dem Schreiben. Aktuelle Vorschriften ermöglichten den Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf eine bereits große Menge an Daten und Informationen. Wir stimmen mit Datenschutzspezialisten darin überein, dass "der Zugang verhältnismäßig und zielgerichtet bleiben muss" und die Strafverfolgung "sich darauf konzentrieren sollte, ihre Fähigkeit zur Interpretation dieser Daten zur Ermittlung und Verfolgung von Kriminellen zu verbessern", schreiben die EU-Abgeordneten.

"Überwachung ist falsche Antwort"

Auch die SPÖ äußerte sich klar: "Mehr Überwachung ist definitiv die falsche Antwort auf Terrorismus. Doch genau diese Richtung will man nun einschlagen. Dabei hat gerade der Terroranschlag in Wien gezeigt, dass mangelnde Daten nicht das Problem waren“, kritisiert Katharina Kucharowits, netzpolitische Sprecherin der SPÖ, in Bezug auf die Ratspläne. „Das Vorhaben ist ein Blankoscheck, um auf unsere privaten Nachrichten auf WhatsApp & Co zuzugreifen. Das ist ein massiver Eingriff in unser aller Grundrechte, den wir ganz klar ablehnen“, so Kucharowits. "Was die EU jetzt vorhat, ist ein Generalangriff auf das Telekommunikationsgeheimnis", kritisierte der FPÖ-EU-Abgeordnete Harald Vilimsky.

Von der ÖVP gab es keine Reaktion. Das Thema soll laut EU-Ratskreisen im Dezember von den EU-Innenministern behandelt werden.

Update (22 Uhr): Die EU-Abgeordneten der Grünen haben den von den NEOS eingebrachten Brief unterzeichnet. Das wurde erst später bekannt.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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