Dein nächstes Kreuzband könnte aus Seide sein
Seide ist ein natürlicher, extrem belastbarer Rohstoff. Das macht sie neben der Textilindustrie auch für die Medizin interessant. “Seide ist eines der Biomaterialien, die implantierbar sind und nicht abgestoßen werden. Sie wird im Körper langsam abgebaut, hält mechanische Belastungen aber trotzdem sehr gut aus. Deshalb eignet sich das Material gut als Gerüst für Muskeln, Knorpel, Sehnen und Knochen”, sagt Andreas Teuschl von der FH Technikum Wien, wo Kreuzbänder aus Seide in Kooperation mit Partnern bereits an Tiermodellen erprobt werden. Da Seide eine lange Tradition in der Textilverarbeitung hat, können sehr komplexe Strukturen für die Medizin auf bestehenden Industriemaschinen hergestellt werden.
Kletterseil aus Seide
“Unser Kreuzband ist von der Webkonstruktion her ähnlich wie ein Stahlseil aufgebaut Die Seide wird verflochten. Unser Partner ist die Firma Edelrid aus Deutschland, die eigentlich Kletterseile herstellt”, erklärt Teuschl. Ein menschliches Kreuzband hat einen Durchmesser von etwa 5,8 Millimeter. Für die Tiermodelle mit Kaninchen und Schafen wurden Bänder mit nur zwei beziehungsweise vier Millimeter Durchmesser angefertigt, klinische Versuche am Menschen gibt es derzeit noch nicht. “Wir sind aber in Gesprächen mit einer Privatklinik, die Tests am Menschen machen will. Doktor Thomas Nau, ein international erfahrener Spezialist in der Knie- und Bandchirurgie, führte die Operationen gemeinsam mit Veterinärmedizinern an den Tieren durch, und war von unserer Seide jedenfalls begeistert”, sagt Teuschl.
Weitere Anwendungen
Die Bänder aus Seide werden also von Zellen besiedelt, die Kollagene produzieren. Nach dem Abbau der Seide bleibt ein neues Band übrig, das aus körpereigenem Material besteht. Wie der Körper weiß, welche Zellen am Band gefragt sind, ist noch nicht abschließend geklärt. “Studien sagen, dass die Elastizität ein wichtiger Faktor bei der Differenzierung ist. Den Rest macht die Bewegung im Knie. An einigen Stellen gibt es mehr Zug, an anderen Scherkräfte oder Druck. Je nach Anforderungen bilden die Zellen die richtige Struktur aus”, sagt Teuschl. Das Endergebnis wird aber vermutlich nie genau wie ein originales Kreuzband sein. “Man muss sich das vorstellen, als hätte man eine größere Narbe. Das Band ist aber funktional. Die gleiche Mikrostruktur hat es vermutlich nicht, aber das wissen wir noch nicht genau, da bei den Tieren noch immer Seide vorhanden ist. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass der Abbau zwei bis drei Jahre dauert”, so der Experte.
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Technikum Wien entstanden.
Andreas Teuschl wurde dank seiner Arbeit dieses Semester für einen Forschungsaufenthalt an die Tufts University in Boston eingeladen. Er lehrt am Institut für Biochemical Engineering an der FH Technikum Wien.