Science

Industrie 4.0: "Die Fabriken werden menschenärmer"

Die Durchdringung von Informationstechnologien in industriellen Entwicklungs- und Produktionsprozessen wird im Zusammenspiel mit selbst lernenden Maschinen und sich selbst optimierenden Automatisierungsprozessen die Arbeitswelt stark verändern. Darüber, ob die Entwicklung hin zur "Industrie 4.0" zu beängstigenden Arbeitslosenwellen oder völlig neuen Chancen am Arbeitsmarkt führen wird, herrschte am Podium der Alpbacher Technologiegespräche am Donnerstag allerdings Uneinigkeit.

Roboter statt Arbeiter

„Die Fabriken werden digitaler, menschenärmer und automatisiert“, meinte etwa Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Anspielung auf die Foxconn-Ankündigung, in Zukunft eine Million Industrieroboter statt Arbeitern einzusetzen. „Viele Jobs in der Produktion werden verloren gehen, aber das ist nichts Schlechtes, denn diese sind bekanntermaßen schwer, kalt, laut und schlecht bezahlt“, so Bauer. Eine Vernichtung von Arbeitsplätzen sei allerdings nicht zu befürchten, denn im gleichen Maße würden durch die Industrie 4.0 viele neue Jobs entstehen, die viel besser und interessanter seien.

Hermann Hauser zeichnet ein düsteres Bild
Hermann Hauser, Mitbegründer der Investment-Firma Amadeus Capital Partners, bewertet die drohende Arbeitslosigkeit durch intelligente, selbst lernende Maschine hingegen als größte Herausforderung und „echtes Problem“. „Alles, was ein Mensch erlernen kann, kann eine Maschine besser erlernen“, brachte Hauser die Problematik auf den Punkt. Davon sind Hauser zufolge nicht nur Fabriksarbeiter, sondern auch Büroangestellte betroffen, etwa wenn Maschinen spielend ganze Call Center mit menschlichem Personal obsolet machen werden.

Qualifikation erforderlich

Fraunhofer-IAO-Leiter Bauer hielt dem entgegen, dass Hochphasen der technologischen Entwicklung auch in der Vergangenheit immer zu einem Beschäftigungsschub geführt hätten. Die Voraussetzung, um von derartigen Beschäftigungsverschiebungen zu profitieren sei natürlich, dass Leute mit entsprechenden Qualifikationen ausgestattet seien. „Die Perspektive für Bangladesch als billiges Produktionsland mit viel Low-Tech ist zugegeben nicht so gut, es sei denn, das Land ergreift die Chance und entwickelt sich in eine technologischere Richtung, wie es etwa gerade in China oder Indien passiert“, sagte Bauer.

Für Länder wie Österreich und Deutschland müssten als Vorbereitung auf die Industrie 4.0 vor allem Kompetenzen in Informationstechnik, Mathematik und Naturwissenschaften gestärkt werden. Das Interesse an soziotechnischen Innovationen müsse schon im Kindergarten geweckt werden. „Neben der fundierten fachlichen Ausbildung brauchen wir aber gerade auch an den Unis viel mehr Offenheit, denn die Grenzen zwischen Technologie, Informatik, Humanmedizin und Sozialwissenschaft brechen komplett weg“ so Bauer.

Enorme Chance für Europa

Gerade für Europa bedeute die vierte industrielle Revolution eine enorme Chance, ist etwa auch Thomas Hahn, Forschungsexperte bei Siemens, von den positiven Aspekten überzeugt. Durch die Verknüpfung des ohnehin vorhandenen Know-hows mit der in den vergangenen Jahren teilweise verlorengegangenen Produktion könne der Standort enorm profitieren. Auch Hahn glaubt aber, dass in Zukunft neue Berufe wie Datenwissenschaftler, aber auch die Schaffung von multidisziplinären Innovationslaboren eine wichtigere Rolle spielen werden.

„Derzeit werden sowohl von den Regierungen dieser Welt, aber auch von Medien viel zu wenig kritische Fragen gestellt, was die moralischen, ethischen und arbeitsrechtlichen Implikationen dieser Entwicklung sind“, merkte David Rejeski, Leiter des Science and Technology Innovation Program am Wilson Center, kritisch an. „Wer profitiert von den neuen Geschäftsmodellen und von der Umwälzung, die auch am Arbeitsmarkt zu erwarten ist“, so Rejeski. Ein Problem sei etwa, dass nur wenige Politiker etwas von den technologisch bedingten Umwälzungen und deren Implikationen verstehen würden.

Batterien aus Viren

Durch das vielversprechende Feld der Biotechnologien - Batterien können zukünftig über biologische Viren gezüchtet oder Medikamente aus Hefe entwickelt werden - könnte Rejeski zufolge die Maschine als Mittelpunkt der industriellen Produktion abgelöst werden. Außerdem erlebe man gerade eine Umwälzung des gesamten Innovationsprozesses. Wo früher stark hierarchische Strukturen herrschten, finde Innovation nun über lose organisierte Netzwerke statt. Statt proprietäre seien offene Systeme tonangebend. Das boomende Crowd-Funding zeige wiederum völlig neue Wege der Finanzierung auf. „Ich wünschte, ich wäre 40 Jahre jünger. Das sind aufregende Zeiten“, endete Rejeski mit einer positiven Note.

Klicken Sie hier für die Newsletteranmeldung

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

mehr lesen