Science

Mikrobiom - die Wunderwaffe im Darm

Individuum, das: „Der Mensch als Einzelwesen“ - Duden. So kann man sich täuschen.

Jeder von uns ist viele. Und das ist lebensnotwendig und nicht tiefenpsycho-, sondern mikrobiologisch gemeint. Denn mittlerweile wissen Forscher, dass Billionen von Mikroorganismen in uns leben und das Werkl am Laufen halten. Das so genannte Mikrobiom wirkt auf unsere Gesundheit und dürfte auch unser Verhalten prägen. Wie genau, ist bisher unbekannt. Doch das soll sich ändern, wenn es nach Michael Wagner geht. „Ich entwickle Methoden, um Mikroben, die tausendstel Millimeter groß sind, beim Fressen zuzuschauen“, sagt der Mikrobiologe von der Universität Wien, der unlängst den Wittgenstein-Preis (Österreichs höchstdotierten Wissenschaftspreis) erhalten hat.

Ob im Boden, im Meer, in der Kläranlage oder im menschlichen Darm – Wagner weiß besser als die meisten, was mikrobielle Lebensgemeinschaften treiben. „Es sind immer dieselben Ansätze. Oft kommt Innovation aus der Medizin. In der Mikrobiologie ist es anders rum – der ganze Darmmikrobiom-Hype, den es meiner Meinung nach zurecht gibt, basiert auf Methoden, die in der Umweltmikrobiologie teils vor 20 Jahren entwickelt wurden.“

Dieses Wissen will der Mikrobiologe ab sofort teilen: Wagner hat eine Taskforce gegründet, die die Ressourcen von MedUni und Universität Wien bündelt. „Die neue Joint Microbiome Facility soll unser Wissen über mikrobielles Leben in die Klinik bringen. Wir wollen, dass die Ärzte vorbeikommen können und sagen: Ich habe da eine interessante Fragestellung.“

Bakterien verstehen

Denn: „Derzeit wird alles mehr oder weniger blind gemacht“, sagt er und verweist etwa auf die Fäkaltransplantation. Da wird das Mikrobiom quasi ausgetauscht – „was bei einigen wirkt. Bei  anderen wird das Transplantat einfach abgestoßen. Darum müssen wir erst einmal verstehen, wessen Bakterien für wen geeignet sind.“

Also auf in den Keller der Uni. Hier, direkt unter Wagners Büro, steht ein mehr als zwei Millionen Euro teures Gerät (kurz NanoSIMS, Sekundärionen-Massenspektrometrie genannt), dass dem Forscher erlaubt, tief in den Mäusedarm einzudringen: „Wie die Kuh auf der Wiese weidet, so weiden dort die Bakterien auf dem durch die Darmschleimhaut ausgeschiedenen Schleim.“ Wagner hat viel für anschauliche Vergleiche übrig. „Wir markieren die Futterstoffe, die uns interessieren. Wenn das Bakterium die frisst, wird es schwerer als die anderen Bakterien, was wir mit Hilfe vom Massenspektrometrie feststellen und visualisieren können.“

Lebensnotwendig

Im Dickdarm ballen sich bis zu eine Billion Lebewesen in einem Milliliter Darminhalt. Das Leben im Gedärm ist essenziell für den gesamten Stoffwechsel. Etwa Tausend verschiedene Arten haben Forscher bisher im Dickdarm entdeckt. Jeder einzelne Mensch ist aber nur von vielen Hundert Arten besiedelt. Und das macht den großen Unterschied: „Nehmen Sie hundert  Depressive und hundert Gesunde und schauen sie ins Darmmikrobiom – Sie werden einen Unterschied finden“, erklärt Wagner. Bei Autisten und Diabetes-Patienten sei es genauso. „Jetzt ist die Frage: Ist das die Ursache der Krankheit oder nur die Folge? Wir wissen es nicht.“

Was wir aber wissen ist: Die Mini-Helfer im Darm stellen Vitamin B12 her, hemmen Entzündungen, unterstützen die Wundheilung und wirken sogar auf weit entfernte Organe (siehe Grafik). „Was oft übersehen wird: Bakterien bauen Medikamente chemisch um“, erklärt Wagner. „Das  kann man sich übrigens auch mit unseren Methoden anschauen. Es kann die Ursache dafür sein, dass gewisse Medikamente bei manchen Menschen nicht wirken – dann, wenn ein Patient diese Bakterien besitzt. In Zukunft wird man sicher ins Krankenhaus gehen und sein Darmmikrobiom untersuchen lassen, so wie man heute zuerst sein Blut untersuchen lässt, ehe man Medikamente verschrieben bekommt.“

Irgendwann, hofft Wagner, „weiß ich dann nicht nur, wie die Organismen heißen, sondern kann auch sagen, was die fressen, wovon sie leben und was sie nicht so gerne mögen. In einem nächsten Schritt kann man herausfinden, wie diese Lebewesen im Darm mit dem Menschen interagieren. Sind sie günstig für die Entwicklung des Immunsystems? Produzieren sie Stoffe, die auf unser Gehirn wirken? Sorgen sie dafür, dass wir Körpergewicht zulegen? Es gibt tausend Wege, wie Darmbakterien den menschlichen Körper beeinflussen können.“ Und umgekehrt: Wenn ich weiß, wie sie funktionieren, kann ich sie gezielter manipulieren.

Wagners Vision: Personalisierte Probiotika zum Heilen und Vorbeugen. „Ich bin mir sicher: Das ist eines der Zukunftsfelder. Österreich muss sich da positionieren.“

Symbolbild

Fruchtbarkeit bis Sonnenbrand

Das Mikrobiom hat auch abseits des Darms Auswirkung auf den Menschen. Hier sind drei Beispiele für Forschungsprojekte aus Österreich.

Fruchtbarkeit: Lange dachte man, Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke seien Bakterien-frei. Heute weiß man, dass der entsprechende Mikroorganismen-Mix den Kinderwunsch beeinflusst. Das Wiener Wunschbaby Institut Feichtinger untersucht, wie sich das auf Samen- sowie Embryo-Qualität und Schwangerschaftsraten auswirkt. Außerdem versucht man herauszufinden, inwieweit das Mikrobiom durch Zugabe „guter“ Laktobazillen positiv beeinflusst werden kann.

Haut: Wie das Mikrobiom auf der Haut vor schädlichen UV-Strahlen schützt, haben Forscher der MedUni Graz untersucht. Im Maus-Modell haben sie festgestellt, dass das Immunsystem nicht mehr im vollen Umfang arbeiten kann, wenn die Haut der Maus keimfrei gemacht wurde. Im nächsten Schritt wollen die Mediziner untersuchen, welche Haut-Mikroorganismen das Immunsystem wie  unterstützen. Bis man es genau weiß, raten die Forscher: Mit desinfizierter Haut Sonne meiden.

Gehirn: Dass die Mikroorganismen im Darm das Erinnerungsvermögen sowie emotionale Entscheidungsprozesse positiv beeinflussen können, konnten Forscher der Universität Graz unlängst nachweisen. Jene Teilnehmer, die über vier Wochen Mikroorganismen in Form von Probiotika einnahmen, schnitten bei Erinnerungstests besser ab und waren sicherer in ihren Entscheidungsfindungen. Die bessere Hirnleistung spiegelt sich auch in einem veränderten Darm-Mikrobiom wider.

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Susanne Mauthner-Weber

Noch bin ich ja nicht überzeugt, dass das tatsächlich irgend jemanden interessiert. Für den Fall, dass doch: Seit einem halben Leben beim KURIER. Fad wird mir nur deshalb nicht, weil ich ständig Abenteuer im Kopf erlebe, Besser-Wisser interviewe und mich zumindest auf dem Papier mit Erfindungen, Entdeckungen und Errungenschaften beschäftige. Anscheinend macht das nicht nur mir Spaß - 2012 wurde ich mit dem Staatspreis für Wissenschaftspublizistik ausgezeichnet, 2013 mit dem Kardinal-Innitzer-Preis für wissenschaftlich fundierte Publizistik und 2014 mit dem Inge-Morath-Preis für Wissenschaftspublizistik. Wie gesagt: Falls das wirklich irgendwen interessiert.

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