Science

Nette Menschen im Computer simulieren

Anders Sandberg stellt sich an der Universität Oxford die Frage, ob Gehirnemulation, der Nachbildung eines funktionierenden menschlichen Gehirns im Computer, möglich ist. Sandberg ist vor allem daran interessiert, welche ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen eine solche Technologie hätte. Die futurezone hat den Wissenschaftler zum aktuellen Stand der Forschung befragt.

Anders Sandberg
Sie haben 2008 einen umfassenden Bericht über den Stand der Emulation menschlicher Gehirne im Computer veröffentlicht. Was hat sich seither verändert?
Anders Sandberg:
Insgesamt wurden unsere Erwartungen übertroffen. Die Rechenleistung und Gehirnscan-Methoden haben enorme Fortschritte gemacht. Der Scan eines Mäusehirns in kommerziell verfügbarer Qualität hat heute schon zwei Terabyte. Das ist zwar noch nicht gut genug für die Emulation eines menschlichen Gehirns, aber ein Anfang. Die Wissenschaftler beginnen, die Gesamtheit der Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Hirn zu interpretieren. Nur weil wir wissen, wie das Hirn verschaltet ist, heißt das aber noch nicht, dass wir es im Rechner reproduzieren können. Dieser Teil der Arbeit, etwa im Human Brain Project, kommt am langsamsten voran.

Das klingt optimistisch. Fehlt uns nicht das Verständnis für einige grundlegende Mechanismen im Hirn?
Die erste Simulation einer Nervenzelle datiert aus den 1940ern. Wir verstehen großteils, was im Hirn vor sich geht. Einige Dinge sind zwar noch ungeklärt, aber in 100 Jahren werden wir sagen, dass wir im Jahr 2015 schon 75 bis 80 Prozent der Grundlagen verstanden haben. Derzeit sollten wir die komplizierten Prozesse verzichten und uns auf einfachen, fundamentalen Vorgänge konzentrieren.

Braucht ein simuliertes Gehirn einen Körper?
Die Körperlichkeit ist wichtig für die Funktionsweise unseres Hirns. Ein Gehirn alleine reicht nicht. Ich bin überzeugt, dass wir einen simulierten - oder echten - Körper brauchen.

Wie detailliert müssen wir das Gehirn im Computer nachbilden, damit es funktioniert?
Das hängt hauptsächlich davon ab ob die Struktur skaleninvariant ist. Bei Luftströmungen zum Beispiel tritt Skalenseparation auf: Die Molekülbewegung ist sehr kompliziert, im größeren Maßstab können wir das System aber einfach durch Luftdruck beschreiben, die Moleküle mitteln sich weg. Bei Wasserturbulenzen ist das nicht der Fall, sie sind fraktal strukturiert, weshalb wir sie in sehr kleinem Maßstab simulieren müssen. Wir wissen schon, dass im Hirn auf Zellebene keine Skalenseparation zu beobachten ist. Das heißt, dass wir wahrscheinlich jede Zelle simulieren müssen. Im Open Worm Project wird das bereits gemacht, für die 316 Neuronen eines Nematodenhirns.

Das ist aber noch kein richtiges Gehirn.
Auch bei einfachen Strukturen ist das Scannen das Problem. Die Verbindungen zwischen Nematodennervenzellen kennen wir schon eine Weile. Bis wir ein Insektengehirn gut genug scannen können, wird es noch zehn bis zwanzig Jahre dauern. Von der Rechenleistung her könnten wir schon ein Mäusehirn simulieren.

Wann sehen wir das erste virtuelle Menschenhirn?
Wenn wir es in 100 Jahren nicht geschafft haben, ist es wahrscheinlich unmöglich. Die Rechenleistung könnte schon Mitte dieses Jahrhunderts verfügbar sein.

Kann die Rechenleistung ein limitierender Faktor werden, wenn wir uns den physikalischen Grenzen der Chipherstellung nähern?
Die Rechenleistung sollte theoretische erreichbar sein. Der früheste Zeitpunkt dafür ist nach meiner Schätzung das mittlere 21. Jahrhundert, es könnte aber auch viel später passieren. Wenn wir den Punkt vor 2030 erreichen, wäre ich geschockt.

Was ist mit der Erforschung der Hirnstruktur?
Es scheint die Neurowissenschaft zu sein, die am ehesten einen Flaschenhals darstellt. Neue Instrumente aus der Physik und bessere bildgebende Verfahren erlauben es Forschern aber zunehmend, in der Mikrostruktur des Hirns zu wühlen. Wir können derzeit 100 Neuronen gleichzeitig aufzeichnen. Das Ziel ist derzeit, eine Million zu erreichen, dann würden wir sichern viel neues lernen. Allerdings ist die Neurowissenschaft schwer einzuschätzen. Es könnte jederzeit zu einem Sprung kommen, ähnlich wie ihn die Physik durch Einstein erfahren hat.

Anders Sandberg
Liegt auch die Zukunft der künstlichen Intelligenz in der Gehirnemulation?
Da gibt es verschiedene Ansichten. Wir, Verfechter der Gehirnemulation, haben unsere Bedenken was KI angeht zum Ausdruck gebracht. Das größte Problem mit solchen Systemen ist, dass sie unter Umständen sehr fremdartige Wertvorstellungen entwickeln könnten. Einer Maschine menschliche Werte einzupflanzen, dürfte sehr schwer werden, weil wir nicht verstehen, wie das funktionieren könnte. Bei der Gehirnemulation können diese Probleme umgangen werden, weil wir einen digitalen Menschen hätten. Wir nehmen einfach einen netten Menschen und simulieren ihn im Rechner.

Was halten Sie von dem Brief, den viele ihrer Kollegen kürzlich verfasst haben, um vor den Gefahren der Erforschung künstlicher Intelligenzen zu warnen? Ist ein Einbremsen der Bemühungen wünschenswert?
Vielleicht ist KI wirklich bald gefährlich, vielleicht ist das auch nur eine neue Blase. Wenn wir uns einbremsen, könnten wir auch eine Menge guter Dinge verpassen. Es geht um einen Spagat zwischen Sicherheit und möglichen Gewinnen. In der Vorstellung der Menschen geht es sehr oft um Maschinen mit Bewusstsein und wir sind in dieser Geschichte die von Technik verblendeten Irren. Ich glaube nicht, dass das Einbremsen der Forschung die richtige Idee ist. Google wird seine Arbeit sicher nicht einstellen. Stattdessen sollten wir Geld in die Neurowissenschaften stecken, um Systeme sicherer zu machen.

Die Möglichkeit ein Gehirn zu emulieren negiert in Prinzip die Existenz eines Gottes nach christlicher Vorstellung. Bekommen sie oft böse Briefe von religiösen Fanatikern?
Ich bin überrascht, dass es nicht so viele sind. Wir bekommen öfter Post von Leuten, die überzeugt sind, dass sie einen Chip im Kopf haben. Das liegt vielleicht daran, dass Gehirnemulation derzeit als reine Science Fiction gesehen wird. Das könnte sich in einigen Jahren aber ändern.

Ist Bewusstsein eine bloße Konsequenz der Verschaltung unserer Neuronen?
Der Dalai Lama hat sich gegenüber einer Software Seele offen geäußert. Für Christen ist das ein schwieriges Konzept, denn wenn Gott der Mensch nach seinem Vorbild geschaffen hat, wessen Abbild ist dann die Software? Die Japaner sehen das ebenfalls lockerer, wie ihre Einstellung zu Robotern zeigt. Ich bin ein Funktionalist und glaube, dass Bewusstsein und Seele das Ergebnis der Verschaltung unserer Nervenzellen sind.

Das hat weitreichende Konsequenzen…
Ja, etwa, dass Kopien von Gehirnen möglich sind. Daraus ergeben sich seltsame praktische Probleme. Für ein Bankkonto etwa ist es Grundvoraussetzung, dass es nicht zwei von dir gibt. Das hieße letztendlich, dass das Konzept “Identität” nicht mehr länger existiert.

Welche Regeln brauchen wir im Umgang mit “lebender” Software?
Genau wie bei Versuchstieren benötigen wir für die Gehirnemulation standardisierte Regeln. Man zwickt eine Maus nicht zum Spaß. Gilt das auch für simulierte Mäuse? Ich glaube, Vorsicht ist besser als Nachsicht und würde simulierte Organismen wie echte behandeln. Bei simulierten Nematoden sagen wir, das zählt nicht. Bei Mäusen wird es aber schon schwieriger. Was ist, wenn wir ein Netzwerk simulieren, das auf einem Teil des Mäusegehirns basiert? Heute ist Gehirnemulation noch ferne Zukunftsmusik, aber das wird sich schnell ändern.

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Markus Keßler

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