Neues Forschungszentrum für Big-Data-Analyse eröffnet
"Sinnvolles Wissen aus Big Data gewinnen" - das ist laut Komplexitätsforscher Stefan Thurner das Ziel des "Complexity Science Hub Vienna". Mit der Gründung des "Vereins zur wissenschaftlichen Erforschung komplexer Systeme" haben die Kooperationspartner - die Technischen Unis Wien und Graz, die Medizin-Uni Wien und das Austrian Institute of Technology (AIT) - nun das Projekt offiziell gestartet.
Zunächst zwei Stellen
Die vier Projektpartner tragen mit jeweils 200.000 Euro pro Jahr zu dem neuen Zentrum bei: jeweils 40.000 Euro in bar sowie 160.000 Euro in Form von zwei Laufbahnstellen für einen Senior- und einen Junior-Wissenschafter, sagte der wissenschaftliche Geschäftsführer des AIT, Wolfgang Knoll, zur APA. Die Stellen sollen im Herbst ausgeschrieben und idealerweise im Februar des kommenden Jahres die ersten Forscher angestellt werden, so Thurner, der an der Med-Uni Wien Professor für Komplexitätsforschung ist.
Um die Verwaltung des "Complexity Science Hub" (CSH) gering zu halten, werden die Wissenschafter vom jeweiligen Partner angestellt und dem Zentrum zugeordnet. Inhaltlich sollen die Kooperationspartner nur grobe Linien vorgeben, etwa Komplexität im Zusammenhang mit "Smart City" oder "Medizinische Versorgung". Dafür sollen dann die besten Leute gesucht und angestellt werden, die selbst entscheiden, zu welchen konkreten Themen sie arbeiten. Externes Wissen zu diesen Themen soll dann gezielt und projektbezogen über Gastwissenschafter nach Wien gebracht werden.
Ausbau auf 30 Stellen geplant
Am CSH sollen auch Doktoranden tätig sein. Laut Knoll will die Österreich-Tochter des Technologiekonzerns Infineon zwei PhD-Studenten finanzieren. Gearbeitet wird auch an einem Austauschprogramm für PhD-Studenten mit der Technischen Universität Nanyang (NTU) in Singapur, wo vor kurzem ein Institut für Komplexitätsforschung gegründet wurde.
Im Vollausbau könnten fünf bis zehn Senior-Forscher insgesamt 15 bis 30 Post-Docs und PhD-Studenten projektbasiert beschäftigen. Für die Finanzierung von Projekten hat nach Angaben der beteiligten Wissenschafter das Infrastrukturministerium Mittel in Aussicht gestellt. Weitere Förderungen könnten sich im September entscheiden.
Neben Thurner und Knoll waren die Wissenschaftsforscherin und Ex-Präsidentin des Europäischen Forschungsrates, Helga Nowotny, und der Chef des Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF), Michael Stampfer, an der Ausarbeitung des Konzepts für das Zentrum beteiligt. Nowotny wird auch den wissenschaftlichen Beirat des CSH leiten.
Wissenschaft des 21. Jahrhunderts
Der Physiker Stephen Hawking hat die Komplexitätsforschung als "die Wissenschaft des 21. Jahrhunderts" bezeichnet. Hintergrund ist, dass Probleme zunehmend systemisch werden und regionale Entwicklungen globale Auswirkungen haben können. "Systemische Risiken etwa im Zusammenhang mit Klimawandel, Finanzmärkten, Naturkatastrophen, Migration, etc. werden derzeit wissenschaftlich meist nicht verstanden und können daher letztlich auch nicht strategisch gemanagt werden", erklärt Thurner im Gespräch mit der APA den Hintergrund, vor dem der CSH gegründet wurde.
Solche Risiken entstehen vor allem durch die drastisch zunehmende Vernetzung von Menschen, Einrichtungen, Computern, Märkten, etc. - die sich auch in einer ebenso drastischen Zunahme von Daten widerspiegelt. Und aus diesen Daten wollen die Komplexitätsforscher "nutzbaren Sinn" holen, wie Thurner sagte. Ziel des CSH sei, aus der Analyse von "Big Data" "systemische Risiken zu verstehen, sichtbar zu machen und Wege für deren Management zu entwickeln".
Offenheit angestrebt
Grundsätzlich soll in dem Zentrum Grundlagenforschung gemacht werden, "wir haben aber keine Angst, wenn politikrelevante Resultate herauskommen, da wollen wir mutig sein", sagte Thurner. Man wolle auch "so offen wie möglich sein: Wenn Daten da sind, wollen wir diese der Gesellschaft zugänglich machen, damit Debatten auf höherem Niveau stattfinden können". Für den Wissenschafter ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit die Hoheit über kritische Daten behält, sofern das noch möglich ist.
Zudem will das Zentrum eine "Plattform für ethische Fragen sein, die mit Big Data einhergehen". Thurner ortet hier eine "Revolution mit ungelösten Fragen, was würdevoll, ethisch und vertretbar ist, wo die Privatsphäre verletzt wird und wo nicht". Auch der Gesetzgeber sei mit der Geschwindigkeit, mit der Daten verfügbar werden, "komplett überfordert".