Wenn der Zufall Gott ersetzt
Wenn uns Menschen etwas Unvorhergesehenes widerfährt, sprechen wir gerne von Zufall. Dass wir den lange nicht gesehenen Schulfreund in einer Strandbar am Ende der Welt treffen, ist statistisch gesehen aber gar nicht so unwahrscheinlich. In anderen Situationen tendieren wir dazu, Zusammenhänge zu erkennen, wo es gar keine gibt, weil uns die Evolution zu Mustererkennungsmaschinen gemacht hat.
Dieses schwierige Verhältnis zum Zufall dient Florian Aigner in seinem Buch "Der Zufall, das Universum und Du", erschienen im Brandstätter Verlag, als Ausgangspunkt für eine Suche nach dem Wesen des Zufalls und seinen Auswirkungen auf unseren Alltag.
Aus heutiger Sicht scheint der Traum von einer berechenbaren Zukunft allerdings nicht mehr sonderlich plausibel. Die Chaostheorie, die besagt dass wir das Verhalten komplexer Systeme nicht berechnen können, weil schon winzige, nicht messbare Abweichungen in den Ausgangsbedingungen zu komplett anderen Ergebnissen führen können, war ein erster Schlag für den Dämon. Die Quantentheorie, laut der das Universum im Kleinsten von unberechenbaren Zufällen regiert wird, war ein weiterer Dolchstoß für die Theorie, das Universum funktioniere wie ein Uhrwerk.
Falsche Angst
Komplett ausschließen will Aigner die Möglichkeit eines Laplaceschen Dämons aber nicht. Zwischen Zufall und ungenügender Information zu unterscheiden ist nämlich auch in der Wissenschaft nicht einfach. Am Ende ist dieser Unterschied für Aigner aber auch nicht relevant, weil die Menschheit in beiden Fällen damit abfinden muss, dass sie die Zukunft niemals vorherberechnen können wird. Seine Abhandlung über den Zufall in der Wissenschaft würzt Aigner im Buch immer wieder mit Forscher-Anekdoten, von Newton über Darwin bis zu Einstein, die das Buch auch zu einer kleinen, wenn auch selektiven, Geschichte der Naturwissenschaft machen.
Der Humor kommt, in Aigner-typischer Manier, auch hier nicht zu kurz. Wer seine Kolumnen gerne liest, wird auch hier öfters Mal schmunzeln oder lachen. In einigen wenigen Fällen wirken die Bilder und Vergleiche, die aus humoristischen Gründen konstruiert werden, zumindest für meinen Geschmack ein wenig übertrieben. Gerade dann, wenn Aigner seiner Abneigung gegen Esoterik und Scharlatanerie Ausdruck verleiht, schlägt er ab und an über die Stränge, vor allem wenn berücksichtigt wird, dass er hier Eulen nach Athen trägt - Anhänger der Homöopathie werden sein Buch vermutlich eher weniger lesen.
Diese Passagen finden sich vor allem im zweiten Teil des Buches, in dem Aigner an den Anfang seines Textes anschließt und von den Mühen der Menschen mit dem Zufall schreibt. Von Wunderheilungen, die sich als statistische Notwendigkeiten entpuppen, über Regentänze, die so lange wiederholt werden, bis es regnet bis zur kaum begründeten Hoffnung auf einen Lottogewinn zeigt Aigner auf, wie schlecht das Gehirn dafür ausgestattet ist, mit zufälligen Ereignissen umzugehen. Das sei auch der Grund, warum sich Menschen oft vor den falschen Dingen fürchten, während sie wahrscheinlichere Bedrohungszenarien oft ohne Bedenken ignorieren.
Der Zufall, dein Freund
An dieser Stelle findet der Autor auch Platz für Sozialkritik. Mit der Unterschätzung des Einflusses des Zufalls auf die Geschicke der Welt kommt laut Aigner nämlich auch die Überschätzung des eigenen Einflusses. Das führe dazu, dass sozialen Unterschiede oft mit dem Leistungsprinzip gerechtfertigt würden, obwohl manchmal einfach nur der Zufall über Macht, Reichtum und Einfluss entscheide. Aigner nimmt das als Grundlage für einen Aufruf zu mehr Gerechtigkeit und weniger Ehrfurcht vor den Eliten, die ihre Positionen ja vielleicht doch nicht nur ihrem Fleiß zu verdanken haben könnten.
Am Ende des Buches steht eine Versöhnung mit dem Zufall, der als blinde, disruptive Kraft im Universum Trost spenden soll. Hier übernimmt der Zufall die Rolle eines allmächtigen Gottes, dessen Entscheidungen zu akzeptieren sind, weil sie ohnehin nicht beeinflusst werden können. Für ein Buch, in dem untere anderem vor Selbsthilfeliteratur gewarnt wird, liest sich diese Passage etwas befremdlich. Mit dieser Ironie spielt Aigner aber wohl bewusst, weil schon der Untertitel von "Das Universum, der Zufall und Du", nämlich "Die Wissenschaft vom Glück" etwas an einschlägige Lebensratgeber erinnert.
Alles in allem ist Florian Aigner eine interessante Abhandlung über den Zufall geglückt. Das Buch ist sehr flüssig geschrieben und kann problemlos in wenigen Stunden zu Ende gelesen werden. Die Unterteilung in kurze Kapitel begünstigt aber auch eine Unterteilung der Zu-Gemüte-Führung in mehrere Etappen. Dass Aigner ein Naturwissenschaftler ist, blitzt immer wieder einmal auf im Buch, der Text ist aber eindeutig an den Laien adressiert und problemlosverständlich, die wenigen etwas ausführlicheren wissenschaftlichen Anmerkungen hat der Autor meist in Fußnoten verpackt, die den Lesefluss aber nicht stören. Am Schluss der Lektüre ergibt sich ein Interessantes Bild vom Zufall, das durch die vielen Facetten auch für Leser, die sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben, neue Denkanstöße bietet.