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Aufgedeckt

Foxconn: Augenzeugenbericht teilweise erfunden

Verdacht schöpfte Rob Schmitz bei den Wachleuten. „Die Wachen schauen sauer aus, richtig sauer, und sie sind bewaffnet“, erzählt Mike Daisey, Schriftsteller und Schauspieler, in seinem Monolog The Agony and the Ecstasy of Steve Jobs. Daisey zeigt darin die Arbeitszustände im Foxconn-Werk in Shenzhen auf. Für die Recherche reiste er nach China. Im Juni 2010 steht er vor dem Tor der besagten Foxconn-Fabrik und beobachtet bewaffnete Wachleute - zumindest lässt er das seine Zuhörer glauben.

Schmitz ist China-Korrespondent für die Radiosendung Marketplace von American Public Media (APM) und in Shanghai stationiert. Auch er berichtete in der Vergangenheit über mehrere chinesische Fabriken. Bewaffnete Wachen gab es dort nie, weil es in China nur der Polizei und dem Militär erlaubt ist, Waffen zu tragen.

Weitere Ungereimtheiten
Der Stein kommt ins Rollen, weil Schmitz auch andere Details auffallen. Daisey erzählt etwa, dass sich Arbeiter einer illegalen Gewerkschaftsorganisation „in verschiedenen Cafés und Starbucks-Filialen in Guangzhou” treffen würden. Arbeiter, die zwischen 15 und 20 Dollar am Tag verdienen, gehen zu Starbucks, das in China teurer ist als in den USA? Ein Kollege gibt ihm recht: „Das wäre als würden Autogewerkschafter in Detroit ihre Versammlung in einem chinesischen Teehaus abhalten.“ Schmitz stellt sich die logische Frage: Was stimmt sonst noch alles nicht an dem Bericht?

Seit 2010 tourt Daisey mit seiner für die Bühne aufbereiteten Geschichte durch die USA. Er nimmt sich in seiner Kritik gegenüber Apple kein Blatt vor den Mund, steht TV-Sendern zum Thema Foxconn Rede und Antwort, schreibt Zeitungskommentare und versucht die Öffentlichkeit wachzurütteln. This American Life, eine Reportagesendung von APM, strahlt im Jänner 2012 einen Beitrag basierend auf Daiseys Bericht aus, mit großem Erfolg: Mr. Daisey and the Apple Factory wurde häufiger heruntergeladen als jede andere Story in der 17-jährigen Sendungsgeschichte.

Seit vergangener Woche steht fest, dass Daiseys Bericht mehr als nur ein paar kleine Fehler aufweist. „Die stärksten und einprägsamsten Momente der Story scheinen alle erfunden”, leitet Ira Glass, Produzent von This American Life, am Wochenende eine einstündige Entgegnung ein.

Ausgemalt und erfunden
Nachdem Schmitz Kathy ausforscht, die Übersetzerin, die Daisey in China angeheuert hatte, fliegt er nach Shenzhen, trifft Kathy und zeigt ihr ein Transkript der besagten Sendung. „Einiges, was er schreibt, stimmt”, sagt sie, „anderes nicht. Aber die ganze Wahrheit erzählt er nicht.”

Danach wird der Umfang der Verzierungen und Lügen rasch deutlich. Dabei scheinen viele Wahrheitsabweichungen für die These seiner Story geradezu unerheblich: so besuchten Daisey und die Übersetzerin nicht zehn, sondern nur fünf unterschiedliche Fabriken; Daisey behauptet, er hätte mit mehr als hundert Arbeitern gesprochen, Kathy erinnert sich bestenfalls an 50; die Treffen mit den Arbeitern waren deutlich kürzer als angegeben; die Chronologie der Reise stimmte nicht.

Andere Details fallen schwer ins Gewicht. Die Wachen waren unbewaffnet, auch scheint es, dass Daisey nie in den kameraüberwachten Schlafunterkünften der Arbeiter war, von denen er berichtet. In seinem Monolog erzählt er, dass er bei Foxconn Arbeiter getroffen hätte, die zwischen 12 und 14 Jahren alt waren. „Glauben Sie wirklich, dass Apple davon nichts weiß?”, fragt er die Zuhörer seines Programms. Nach dem Treffen mit Kathy scheint auch diese Passage fraglich.

In einem der Höhepunkte von Daiseys Geschichte trifft er auf Arbeiter, die unter n-Hexan-Vergiftungen leiden und deren Hände so sehr zittern, dass manche nicht einmal ein Stück Glas aufheben können. Laut der Übersetzerin stimmt nichts davon. Ebenso erfunden scheint eine Episode, in der er einem Mann begegnet, dessen Hand von einer Metallpresse zerquetscht war. Er hätte keinerlei medizinische Hilfe erhalten und sei später entlassen worden. Daisey erzählt, wie er sein iPad aus der Tasche zieht und es dem Mann hinhält. Dieser sieht den Tablet zum ersten Mal, streicht über das Display und sagt: „Das ist eine Art Wunder”. Kathy weiß von alldem nichts. „Das klingt nach einem Kinofilm”, sagt sie.

Übersetzerin als Schlüsselfigur
In der Entgegnung geht Glass auf die Überprüfung der Fakten ein. Die Redaktion hätte alles überprüft, was sich direkt auf Apple und Foxconn bezieht. Und dabei gab es laut Glass keine Ungereimtheiten. Zusätzlich habe das Team mit 13 Leuten gesprochen, die sich mit der Materie auskennen.

Als die Redaktion jedoch Daisey nach den Kontaktdaten der Übersetzerin fragt, gibt er zurück, sie habe nicht Kathy, sondern Anna geheißen und ihre Handynummer funktioniere nicht mehr. Beides stimmte nicht, wie Schmitz später herausfinden sollte. Doch die Sendungsmacher verließen sich auf Daiseys Wort. „Das war ein Fehler”, gesteht Glass ein. Ohne Kontakt zur Übersetzerin hätte es keine Ausstrahlung geben dürfen.

Daiseys Verteidigung
„Ich wollte eine Geschichte erzählen, die die Reise in ihrer Gesamtheit einfängt”, sagt Daisey in der emotionalen und mit Schweigen durchsetzten Konfrontation mit Glass und Schmitz. Er gesteht ein, keine Arbeiter mit n-Hexan-Vergiftungen getroffen zu haben und revidiert eine Reihe von Zahlen nach unten. Er besteht allerdings darauf, ein 13-jähriges Mädchen im Foxconn-Werk getroffen zu haben. Auch sei er in den in Schlafunterkünften gewesen, nur gab es dort keine Kameras. Andere Passagen seiner Story hätten sich in Kathys Abwesenheit zugetragen.

“Ich lebe in keinem subjektiven Universum, wo alles möglich ist”, verteidigt sich Daisey. Hätte er die Fakten mit der Redaktion geklärt, wäre die Story zerbröckelt, so seine Überzeugung. Damit hätte er sein Ziel verfehlt: Amerika vor Augen zu führen, was in Apples Fabriken vor sich geht.

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