"Facebook ist Fastfood, Bloggen selber kochen"
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Links und rechts Leinwände mit den aktuellsten Twitter-Nachrichten, Laptops und Smartphones, wohin das Auge blickt, und ein Massen-Check-in via Foursquare: Am "World Blogging Forum 2010" (WBF), das am Samstag in der Wiener Zentrale von A1 Telekom Austria über die Bühne ging, wurden Gegenwart und Zukunft der Blogosphäre diskutiert. Blogger aus 17 Ländern griffen in Impulsreferaten technische, ökonomische und politische Aspekte auf und stellten sich der Publikumsdiskussion.
Zu Beginn warf der Grazer Blogger Heinz Wittenbrink (Lost and Found) die grundsätzliche Frage auf: "Ist bloggen überhaupt noch zeitgemäß? Ich blogge seit neun Jahren, aber heute nutze ich Twitter und Facebook viel mehr." Im Gegensatz zu den US-Diensten sei man bei einem Weblog aber bei weitem nicht so technisch eingeschränkt (z.B. 140 Zeichen pro Twitter-Update). Außerdem diene sein Blog als persönlicher Wissens-Manager, mit dem er alte Einträge sehr viel einfacher und schneller finden könne. "Facebook ist Fastfood, Bloggen ist selber kochen", meinte auch der Wiener Blogger Ritchie Pettauer (Datenschmutz.net), auf dessen Initiative hin das WBF nach Wien geholt wurde.
Blogger unter Druck
"Wir diskutieren hier, wie wir unsere Blogs finanzieren können. In anderen Teilen der Welt gibt es Blogger, die täglich Gefängnis und Verfolgung fürchten müssen, weil sie Alternativen zu staatlichen Informationsquellen aufbauen", sagte der britische Blogger Onnik Krikorian, der heute in Armenien lebt. Er präsentierte die Internet-Plattform Global Voices, die sich als Community von Bloggern aus der ganzen Welt sieht. Die Non-Profit-Organisation, der derzeit etwa 300 Blogger angehören, hat es sich zum Ziel gesetzt, die Rechte von Bürgerjournalisten zu schützen und die interessantesten Beiträge einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Der kroatische Blogger Marko Rakar (Porträt) sagte, dass man mit kleinen Blogs sehr große Aufmerksamkeit schaffen könne. Als Beispiel nannte er eine Webseite, auf der er eine Liste kroatischer Kriegsveteranen veröffentlichte und damit ungerechtfertigte Privilegien-Vergabe aufzeigte. Das unterstreiche die Macht, die man als Blogger heute haben könne. Rakar: "Heute bekomme ich Anrufe von Journalisten, die fragen, ob sie lieber nicht auf Urlaub fahren sollen, weil sie gelesen haben, dass wir etwas ankündigen wollen."
Eine "Konter-Revolution" zum Mitmach-Internet befürchtet der Schweizer Blogger Michael Gisiger (Wortgefecht). Seine düstere Zukunftsvision: 2020 werden alle eMails von mindestens einer Regierungsstelle gecheckt, Festplatten online ausgelesen und die Bewegungen von Bürgern getrackt. "Alle diese Daten, die wir ständig produzieren, wandern in Datenbanken. INDECT (EU-Projekt für Überwachungstechnologien, Anm.) wird es eines Tages ermöglichen, dass all diese Datenbanken miteinander verbunden werden", so Gisiger.
Rückstand bei "Open Data"
Robert Harm () stellte in seinem Vortrag einen Rückstand Österreichs bei "Open Data" fest. Dabei handle es sich nicht um "personenbezogene Daten, sondern um Daten über die Bevölkerung, Infrastruktur oder Verkehr", so Harm. Leider würden viele dieser Daten hierzulande nicht in maschinenlesbarer Form vorliegen, sondern etwa in PDFs versteckt sein. Erfolgreiche Beispiele seien etwa www.data.gov in den USA oder der "Offene Bundeshaushalt" in Deutschland. Harm entwickelt gerade eine Webseite, die das Budget der Stadt Wien für interessierte Bürger auf einer Webseite optisch aufbereitet. "Dazu müssen die Verwaltungsstellen ihre Daten in maschinenlesbarer Form veröffentlichen", so Harm.
Journalist und Blogger Georg Holzer () merkte dazu an: "Ich habe bei der Kärntner Landesregierung einmal angefragt, wie viel sie für Werbung ausgeben. als Antwort bekam ich, dass sie diese Daten einfach nicht finden könnten." In Skandinavien sei man in dieser Hinsicht sehr viel weiter. "Wenn man will, kann man nachsehen, wie viel der Nachbar verdient", so Holzer. Seine Vision: "Je mehr offene Daten es gibt, desto mehr Kontrolle über Politiker gibt es."
Streit um Monetarisierung
Geteilte Meinungen gab es beim Thema "Finanzierung": Während der französische Blogger Eric Dupan (Presse-Citron.net) meinte, sehr gut von (und mit) Werbeeinnahmen leben zu können, konterte der Schweizer Blogger Gisiger: "Es ist das erste Mal in der Geschichte, veröffentlichen zu können, was man will." Man solle nicht die Geschäftsmodelle der alten Medien kopieren, sondern neue Formen erfinden. Gisiger ist als Berater tätig, alle Einnahmen, die er aus seinem Blog bezieht, gibt er dem Mikro-Spenden-Diensten Kiva.org weiter. Die österreichische Bloggerin Susanne Zöhrer ("The Sandworm") wiederum appellierte: "Wir sollten über sozialen Wandel sprechen und nicht darüber, wie wir unsere Bankkonten füllen."
WBF-Initiator Ritchie Pettauer musste sich im Zuge der Diskussion auch rechtfertigen, die Veranstaltung von A1 Telekom Austria sponsern zu lassen. "Wir hätten den Event nicht mit offenen Strukturen verwirklichen können."
Futurezone-Serie "Blogger-Geschichten":
Porträt von Marko Rakar
Porträt von Robert Basic
Porträt von Yuri Zisser
Porträt von Mihaela Draghici
(Jakob Steinschaden)
Kommentare