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Diskussion

TV-Zukunft: „Geräte werden für uns mitdenken“

Dabei kamen neben den Grenzen der Interaktivität und dem Trend zu Abos auch die Möglichkeiten und Gefahren bei der Integration von Social Media zur Sprache.

Wie konsumieren wir TV im Jahr 2021?
Thomsen: Es geht immer mehr in Richtung On-Demand, das wird die Medien in den nächsten Jahren stark verändern. Das Werbe-Modell, dass sich in den vergangenen 30, 40 Jahren etabliert hat, wandelt sich und wird immer stärker kontext- und ortsbezogen. In den nächsten zehn Jahren werden wir von mehr Intelligenz umgeben sein.

Intelligenz heißt was genau?
Thomsen: Die Geräte werden für uns mitdenken und aufbereiten, was uns interessiert. Im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts werden wir an einen Punkt kommen, an dem die Intelligenz nicht nur in den Köpfen der Menschen, sondern auch in den Dingen, mit denen wir uns umgeben, stecken - und das betrifft vor allem die Medien. Wenn wir diese Intelligenz nicht auslagern, werden wir alle im Burn-out enden, weil wir bereits heute durch Information und kommunikation überlastet sind.

Werden wir 2021 immer noch vor einem Flat-TV Fernsehen konsumieren?
Thomsen: Ja, nur wird der viel größer sein als heute. Die Screen-Größen werden den Tipping Point erreichen, also jenen Punkt, an dem es billiger sein wird, die ganze Wand mit einem Screen auszustatten als sie mit Holz zu vertäfeln. Es wird aber weiterhin Lean-Back-Medien geben, die uns unterhalten, und wir wollen nicht immer Programmdirektor sein und Interaktivität haben.

TV muss also überhaupt nicht interaktiv sein.
Thomsen: Nein, es wird immer Screens geben, die man passiv für Entertainment nutzt, während man Bildschirme, die sehr persönlich sind, also etwa das Smartphone, sehr aktiv nutzen wird.

In Sachen Content etablieren sich neue Player wie Apple und Amazon, die global “On-Demand” ausliefern. Wird das lokale Player auch in Österreich killen?
Wagenhofer: Diese großen Marken werden natürlich eine große Rolle spielen, aber lokale und regionale Anbieter wie wir haben die Möglichkeit, uns genau zu überlegen, was die Österreicher sehen wollen, und das muss nicht notwendigerweise das sein, was die US-Amerikaner sehen wollen.

Beispiel BBC iPlayer-App: Bereits heute kann man sich hochqualitativen Content aus dem Ausland sehr einfach und legal aufs Display holen. Wie kann der ORF mit solchen Branchengrößen konkurrieren?
Wagenhofer: In Sachen Qualität müssen wir uns nicht verstecken, der ORF produziert auf Augenhöhe der BBC, teilweise auch gemeinsam mit ihr. Die entscheidende Frage ist die der technischen Plattform, um dieses Universum an Content zugänglich zu machen, und das möglichst einfach. Ein AppleTV, einen Blu-ray-Player und zusätzlich einen Satelliten-Receiver installieren kann eine ganz kleine Schicht an Hightech-Affinen, aber nicht die breite Masse. Das Ziel der ORS ist es, Fernsehen wieder einfach zu machen und das Beste aus beiden Welten, also dem traditionellen Rundfunk und dem IP-Bereich, zu holen. Dann können wir auch gegen Google und Apple bestehen.

Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen, welches Gerät wird künftig unter unserem Flat-TV stehen?
Grill: Es darf nicht sein, dass man sich mit einer Fernbedienung mit 30 Tasten durch fünf Menüebenen durchklicken muss, um zum Content zu kommen. Außerdem sollte man sich nicht für jede Plattform extra anmelden - 6,99 Euro für den BBC iPlayer, 7 Euro für ORF Digital und für UPC oder Sky noch ein bisschen was. Dafür werden die Kunden wohl nicht bereit sein. Mit einer Anmeldung soll man vom Smartphone bis zum Flat-TV auf sein TV-Programm zugreifen können.

Konrekt heißt das: Ein Abo für alle Anzeige-Geräte.
Grill: Genau, und die Benutzerführung muss in der ARD-Mediathek genauso funktionieren wie bei der BBC und der ORF TVthek. Das beste Beispiel dafür ist der Teletext, der ist weltweit gleich zu bedienen.

Die ORS treibt den Ausbau des Standards HbbTV (“Hybrid Broadcast Broadband TV) voran. Soll das den Teletext ablösen?
Grill: Nein, wir wollen den Teletext nicht neu erfinden und mehr Text und Fotos dazugeben, sondern Video in den Vordergrund rücken. Das wird die große Aufgabe, die TVthek so bedienbar zu machen, dass man sie mit der Fernbedienung nutzen kann. Und da wollen wir die App nicht irgendwo in einem Internet-Portal von Samsung oder Panasonic haben, sondern wir wollen direkt vom linearen TV in die TVthek zugreifen lassen. Der zweite Schritt erst wird sein, den “Teletext neu” anzudenken.

Wann wird das auf den Markt kommen?
Grill: Derzeit läuft ein Testversuch gemeinsam mit dem ORF in einer geschlossenen Testgruppe. Rund um Weihnachten erwarte ich eine Entscheidung, wann und in welcher Ausprägung das in den Regelbetrieb übergeht. Frühestens wird man das 2012 sehen können.

Neben “On-Demand” und “Interaktivität” gibt es ein drittes großes Schlagwort: “Social Media”. Wo gibt es da Anknüpfungspunkte?
Wagenhofer: Laut einer Nielsen-Studie in den USA unterhalten sich die Hälfte aller Social-Media-Nutzer über TV-Inhalte. Wenn im TV ein Blockbuster läuft, werden überproportional viele Postings über diesen veröffentlicht, und damit schafft man wieder eine höhere Identifikation der Nutzer mit dem TV, was sich in den vergangenen Jahren ein wenig zum Nebenher-Medium entwickelt hat.

Grill: Das Gerät muss ja wissen, was der Seher will - und da kann man die sozialen Netzwerke anzapfen, weil sich der Rezipient dort über die Inhalte bereits ausgetauscht hat.

Ist die Medienpersonalisierung auf Basis von Freundschaftsempfehlungen nicht eine Gefahr? Setzen wir uns dadurch nicht Scheuklappen auf?
Thomsen: Meinungsbildung haben früher nur Redakteure gemacht, heute passiert Meinungsbildung zusätzlich auf  anderen Plattformen. Ich würde das durchaus mit Meilensteinen in der Geschichte der Medien wie dem Buchdruck und dem Radio vergleichen. Heute ist Werbung zu 90 Prozent Spam, aber mit Kontext und Intelligenz kann sie relevant für uns werden. aber ich gebe Ihnen recht, noch sind wir sehr naiv, was Datenschutz angeht. Natürlich werden wir Daten-Leaks sehen, aber wir werden nicht in die alte Welt mit zwei Programmen zurückgehen.

Steht die Personalisierung von Medieninhalten nicht dem Bildungs- und Informationsauftrag des ORF entgegen?
Wagenhofer: Das heißt ja nicht, dass man Inhalte nur nach Social-Media-Hypes ausrichtet, aber man kann dort erkennen, was die Gesellschaft bewegt und den Fühler näher beim Kunden haben und danach Content kreieren, der relevant ist. Die neuen Medien können umgekehrt eine große Rolle spielen, was das Demokratieverständnis und das Verständnis der Finanzmärkte betrifft.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss aber eine Grenze definieren, bis wohin Social Media in die Programmgestaltung eindringt.
Wagenhofer: Der Redakteur bleibt natürlich autonom und eigenständig, ich denke aber, dass er das Social Web als Recherche-Quelle nutzen kann. Der Journalismus befindet sich gerade in einer Lernphase und muss herausfinden: Was nehme ich mir dort heraus und was nicht?

Thomsen: Qualität wird auch in Zukunft seinen Wert haben. Es ist etwas anderes, wenn jemand ein bisschen nebenbei Content produziert, als wenn eine Redaktion, ein Produktionsteam etwas qualitativ aufbaut. Bei Facebook, Twitter oder YouTube wird man diese Qualität nicht finden, die man bei Öffentlich-Rechtlichen mit einem Bildungsauftrag und einer Redaktion findet. Da entwickelt sich eine Dualität. Wie bei einem Online-Artikel mit den Kommentaren drunter macht erst diese Kombination das Medienerleben wirklich spannend.

Punkto Technologie: Haben angesichts der vielen IP-Inhalte Satellitenschüssel und Hausantenne ausgedient?

Grill: Technisch ist es nicht möglich, alle TV-Inhalte über das Internet zu bringen. Das sagen alle Telekom-Unternehmen, dass sie am Limit sind. Dass man zu Hause zwei HD-Programme und Internet gleichzeitig laufen lässt, das geben die Netze nicht her. Singapur gibt es bereits “Fiber to the Home”, trotzdem bauen die derzeit acht T2-Multiplexe aus - also das klassische Antennenfernsehen. Deswegen braucht man auch in zehn, fünfzehn Jahren klassische Broadcast-Infrastruktur. Kabel, Satellit und Antenne haben weiterhin eine Zukunft.

Wagenhofer: Laut Cisco wird der Datenverkehr 2015 ins Zetabyte-Stadium kommen. Zum Vergleich: Die weltweiten Broadcast-Netze hatten bereits 2007 zwei Zetabyte Datenkapazität, da muss das Internet erst einmal hinkommen, und dafür sind immense Investitionen notwendig. Man braucht also weiterhin klassische Broadcast-Netze.

Stichwort Investitionen: Wie viel Prozent des Haushaltsgeldes werden wir künftig für Medienkonsum ausgeben?
Thomsen: Ich glaube nicht, dass die Leute fünf oder sechs verschiedene Abos zahlen werden, sondern eher auf einen Full-Service-Provider zugreifen werden. Es wird weiterhin die Notwendigkeit geben, die Qualität von öffentlich-rechtlichen Programmen durch Gebühren zu finanzieren. 2021 werden wir ungefähr gleich viel für Medien ausgeben wie heute, aber sicher nicht mehr.

Derzeit gibt es aber den Trend, dass man mehr bezahlt - Stichwort Premium-Content.
Wagenhofer: Naja, gratis war TV ja noch nie, wer nicht mit Geld bezahlt, zahlt mit Aufmerksamkeit. Letztlich ist es ein sehr mächtiger Wirtschaftszweig, der braucht seine Gegenleistung. Ob die in Geld, Zeit oder Daten erbracht wird, ist eine andere Frage.

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Jakob Steinschaden

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