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Watch Dogs 2 im Test: Mehr Spaß dank Hipster

„Watch Dogs“ war wohl eine meiner größten Enttäuschungen des Spielejahres 2014. Das hübsche „Hacker-GTA“ versprach viel, konnte aber nur wenig halten. Statt einer frei hackbaren Spielwelt mit ernstzunehmender Geschichte bekam man nach fast fünf Jahren Entwicklungszeit eine Handvoll Gimmicks und eine klischeehafte Hollywood-Geschichte vorgesetzt - zumindest optisch ansprechend verpackt. Trotz der Kritikpunkte wurde das Spiel ein großer Verkaufserfolg für Ubisoft, weswegen nun nach nur zwei Jahren ein Nachfolger erscheint.

Mit „Watch Dogs 2“ lassen wir endlich das verregnete Chicago hinter uns und wagen uns in das sonnige San Francisco - ein Wechsel, der dem Open-World-Titel einen radikal neuen Anstrich verpasst. Doch was macht sich besser, bunt und spaßig oder düster und ernst? Und kann ein AAA-Spiel die Themen Hipster, Gentrifizierung und Diversität in der Tech-Branche aufgreifen und dennoch Spaß machen? Ich bin in die Rolle von Marcus "Retr0" Holloway geschlüpft und habe versucht, diese Fragen zu beantworten.

Schnell im Team

Die Geschichte ist simpel, zumindest noch zu Beginn: Marcus tritt einer Hacker-Gruppe namens „DedSec“ bei, die durch ihre Hacks auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam machen will. Daran wird bereits einer der größten Unterschiede zum Vorgänger deutlich: Der Spieler ist nicht mehr allein. Statt dem „Einzelgänger“ Aiden, der sich nur widerwillig Hilfe holte, kann Marcus stets auf ein ganzes Team zurückgreifen. Einige Charaktere sind unterhaltsam, beispielsweise Hardware-Experte Wrench, der sein Gesicht hinter einer Maske mit Display versteckt und dabei an Rorschach aus „Watchmen“ erinnert. Seine Gespräche mit Marcus, wie zum Beispiel eine Diskussion darüber, wer im Kampf zwischen „Alien gegen Predator“ gewinnen würde, lockern die Stimmung immer wieder auf. Andere Charaktere, wie beispielsweise der stille Einzelgänger, erweisen sich aber auch als klassische, langweilige Klischees.

Statt einer langatmigen Einführung der neuen Charaktere wirft „Watch Dogs 2“ den Spieler gleich ins kalte Wasser. Bereits zu Beginn des Spiels muss ich meine Fähigkeiten als Einbrecher unter Beweis stellen und lerne hierbei Steuerung und die wichtigsten Hacker-Fähigkeiten. Auf ein klassisches Tutorial wird verzeichnet, stattdessen bietet man eine „Know-it-all“-App an, die Funktionen auf Wunsch näher erklärt. Die intuitive Steuerung und die zu Anfang relativ linear aufgebauten Missionen machen so den Einstieg einfach, doch man sollte den Schwierigkeitsgrad späterer Missionen nicht unterschätzen.

Frust beim Schleichen

Wie im Vorgänger ist dank des allgegenwärtigen Betriebssystems ctOS nahezu alles hackbar. Im Gegensatz zum Vorgänger, bei dem das Hacken auf sehr wenige generische Objekte in der Spielwelt beschränkt war, scheint das „Internet der Dinge“ deutlich größer zu sein. So können nun Fahrzeuge nach Belieben gehackt und aus der Ferne gesteuert werden. Auch Passanten können nicht nur abgehört, sondern auch digital ausgeraubt oder zu gesuchten Verbrechern erklärt werden. All diese Fähigkeiten lassen sich im Laufe des Spiels erlernen. Dazu muss der Spieler Missionen erledigen, für die er als Belohnung „Follower“ auf seinem Social-Media-Auftritt erhält. Erreicht man eine bestimmte Zahl von Followern, erhält der Spieler, ähnlich wie bei einem Levelaufstieg, Fähigkeitspunkte. Diese können dann in die neuen Fähigkeiten investiert werden.

Das Ausbauen dieser Fähigkeiten ist wichtig, denn oftmals gibt es kein Vorankommen ohne sie. Laut den Entwicklern kann man drei verschiedene Spielstile anwenden: Schleichen, Ballern oder Austricksen. Alle drei Varianten haben ihre Vorzüge, doch im Test erwies sich für mich meist die „Baller“-Methode als der einfachste Weg. Das Ausschalten aller Gegner führte im Großteil der Missionen am schnellsten zum Ziel. Die einzige Ausnahme waren Missionen, in denen Polizisten mit schweren kugelsicheren Westen auftauchten. Diese waren nahezu unverwundbar, nur der Nahkampf funktionierte. So war ich hin und wieder zum Schleichen gezwungen - und war schon nach kurzer frustriert. Wie in „Assassin’s Creed“ bietet jede Mission verschiedene Lösungsansätze, doch das Finden und Umsetzen gestaltet sich in „Watch Dogs 2“ oftmals deutlich schwieriger. Daran ist unter anderem die Gegner-KI Schuld. Diese sind nicht unbedingt clever, doch beim Entdecken des Spielers sind sie blitzschnell. Wenn das passiert, ist es mit dem Schleichen meist vorbei. Sofort wissen alle Gegner, wo ich mich befinde und Nachschub ist rasch auf dem Weg.

Ubisoft macht sich über sich selbst lustig

Doch der Frust hielt sich (auch dank gut gesetzter Checkpoints) in Grenzen. Stattdessen war ich stets motiviert, weiterzumachen. Das lag jedoch nicht an der Hauptgeschichte. Diese ist nur unwesentlich besser und unterhaltsamer als jene des Vorgängers. Stattdessen haben mich vor allem die kuriosen Hacker-Skills („Auto-Surfen“, Sicherheitsroboter, die sich per Hack in Wachen verlieben und Bomben auf Drohnen kleben) und die Aussicht auf neue Fähigkeiten immer wieder vor der PlayStation 4 gehalten. Und auch die detailverliebt gestaltete Spielwelt, bestehend aus dem weltoffenen San Francisco, dem Technik-verliebten Silicon Valley und dem Vorstadt-ähnlichen Oakland, macht deutlich mehr Spaß als das triste Chicago des Vorgängers.

So fad die Hauptgeschichte manchmal erzählt sein mag, viele aktuelle Anspielungen auf Silicon Valley und die Entwicklung von San Francisco brachten selbst mich zum Lachen - insbesondere wenn man bedenkt, dass das Spiel von Ubisoft Montreal entwickelt wurde. So „beschimpfen“ sich die Charaktere selbst oftmals gegenseitig als „Hipster“. Viele NPCs lassen sich zudem in abgehörten Gesprächen über ihre mehr als absurden Essgewohnheiten (Stichwort „Superfoods“) aus und erzählen, wie absurd teuer und dekadent das Leben in San Francisco sein kann. Die Themen Gentrifizierung und Diversität in der Tech-Branche werden ebenso erwähnt - zum Teil über Scherze, hin und wieder auch bitterernst. Und auch aktuelle Ereignisse, beispielsweise „der meistgehasste Mann der Welt“, Pharma-Investor Martin Shkreli, Tom Cruises Mitgliedschaft bei Scientology und Firmen wie Google, Nest und SpaceX werden - mit veränderten Namen natürlich - verhöhnt. Selbst Ubisoft macht sich über sich selbst und frühere Leaks lustig.

Dauer-Online und weniger peinlich

Die Inszenierung ist nahezu erschreckend gut. Ubisoft ist eine seltene Gratwanderung gelungen: Trotz scheinbar absurder Funktionen, beispielsweise einem Selfie-Modus (mit Belohnungen für Fotos an den richtigen Orten) oder integrierten Apps nach Vorbild von Uber, Shazam und Google Maps, fühlt sich die Welt stimmig an. Und auch Begriffe wie „Script-Kiddie“, „Zero-Day-Lücke“ und ähnliches werden zwar häufig, aber nur selten unpassend oder gar im peinlichen Kontext gebraucht. Besser noch: Das Spiel selbst macht sich über die heutzutage inflationäre Verwendung des Begriffs „Cyber“ lustig. Dagegen fühlte sich der Vorgänger wie ein schlecht recherchierter Hollywood-Film a la „Hackers“ oder „Passwort: Swordfish“ an.

Grafisch sieht „Watch Dogs 2“ weiterhin hervorragend aus, auch wenn man an „GTA V“ nicht ganz heranreicht - zumindest auf der PlayStation 4. Auf der PlayStation 4 Pro läuft das Spiel in etwas höherer Auflösung und kann mit schärferer Darstellung und höher aufgelösten Texturen punkten. Flüssiger läuft das Spiel jedoch nicht. Der Online-Modus ließ sich aus Mangel an Mitspielern und häufigen Verbindungsproblemen nur eingeschränkt nutzen. Ubisoft verspricht aber Koop-Missionen, in denen zwei Spieler kleine Missionen gemeinsam erledigen können. In einer Preview-Version auf der E3 konnte ich das bereits ausprobieren und hatte Spaß dabei.
Ohnedies soll der Online-Modus nahtlos integriert sein. Andere Spieler können dem eigenen Spiel stets über verschiedene Wege beitreten. Beispiel: Der Modus „Bounty Hunter“. Dabei können Online-Spieler die Rolle der Polizei bei einer Verfolgungsjagd übernehmen. Der Spieler merkt davon nichts und muss seine menschlichen Verfolger genauso abschütteln wie die von der KI gesteuerten. Bei einer „Hacking Invasion“ wird der Spieler jedoch benachrichtigt, dass er von einem gegnerischen Spieler „gehackt“ wird und diesen auffinden muss. Wer diesen Dauer-Online-Modus nicht wünscht, muss ihn in den Einstellungen selbst deaktivieren (Opt-out).

Ich habe die Kampagne von „Watch Dogs 2“ nach knapp 15 Stunden mit gemischten Gefühlen abgeschlossen. Einerseits habe ich mich über die vielen gelungenen Anspielungen, die deutlich vielseitigeren Hacking-Features und die abwechslungsreiche Spielwelt gefreut. Doch dem gegenüber steht eine mäßig spannende, oftmals sogar langweilige Geschichte. Wer hieran keine sonderlich hohen Ansprüche hat und Popcornkino a la „Fast and Furious“ schätzt, dürfte sich daran aber nicht wirklich stören. Apropos, liebes Ubisoft: Wenn ihr tatsächlich, wie angekündigt, „Watch Dogs“ verfilmt, nehmt doch bitte das Szenario aus Teil 2.

Aber auch ohne Oscar-verdächtige Geschichte kann ich „Watch Dogs 2“ jedem Open-World-Fan empfehlen. Das Spiel bietet inklusive Nebenmissionen und Zusatzaufgaben locker 30 bis 40 Stunden Spielzeit. Wer sich darüber hinaus noch für die Welt von „Watch Dogs 2“ begeistern kann, kann auch auf den unterhaltsamen Multiplayer-Modus umsteigen. „Watch Dogs 2“ ist ab sofort für PlayStation 4 und Xbox One erhältlich, die PC-Version folgt am 29. November.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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