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Peter Glaser: Zukunftsreich

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Firmen wie Google und Amazon demonstrieren eindrucksvoll, dass der neue Treibstoff der Arbeitswelt Daten sind. Immer schneller fließende, immer größere Datenmengen, denen die zugehörigen analogen Abläufe gleichfalls immer schneller folgen sollen. Bei Amazon etwa wird die persönliche Leistung ständig durch eine Software namens Anytime Feedback Tool angestachelt. Mitarbeiter können damit jederzeit Lob oder Kritik über ihre Kollegen teilen.

Die Arbeiter in den riesigen Logistikzentren, die Picker (Pflücker), von denen die bestellten Waren aus den Regalen gepflückt werden, sind von Software geführt und überwacht. „Es geht nicht darum, zu lernen, wo etwas ist“, sagt ein Manager nüchtern. „Man braucht sich an nichts zu erinnern.“ Die kleinen Handhelds, mit denen die Picker an den Lagerplatz eines Produkts navigiert werden, zählen die Sekunden, die es gedauert hat, dort hinzufinden. Die Picker sehen, ob sie innerhalb des vorgegebenen Leistungsziels liegen, eine Art stille Galeerentrommel. Ein Picker schätzt, dass er pro Minute im Schnitt zwei Produkte einsammelt.

Die unsichtbare Front

Die Amazon-Picker laufen eine unsichtbare Front entlang. Wie viele andere versuchen sie, mit dem Effizienztakt der Maschinen Schritt zu halten. Computerbasierte Systeme, die an diesem Wettlauf teilnehmen, werfen schon ihre Schatten voraus. Anfang 2012 kaufte Amazon für 775 Millionen Dollar die relativ unbekannte Firma Kiva Systems – die zweitgrößte Akquisition der Amazon-Firmengeschichte. Kiva, heute Amazon Robotics, stellt mobile Lagerroboter her. Ein Analyst des US-Finanzdienstleisters Janney sieht durch die Maschinen ein Einsparpotential von zwischen 20 und 40 Prozent pro Bestellung.

Vormarsch der Roboter

Nun sind Ängste und Euphorie über Automatisierung nicht neu. „Bald“, so lautete der Toast, den der englische Wirtschaftsminister Peter Thorneycroft im Jahr 1955 vor Ingenieuren und Wissenschaftlern aus 26 Ländern ausbrachte – „Bald wird es überall automatische Fabriken, das heißt, menschenleere Betriebe, geben." Experten aus aller Welt waren zu einer Konferenz in London zusammengekommen, Thema: Der Vormarsch der Roboter.

Sofort automationsreif seien nach einer Untersuchung der Universität Chicago „Bäckereien, Brauereien, Süßwarenfabriken, Wollwarenfabriken, Druckereien, Petroleumraffinerien, Zementwerke, Glas-, Kartonagen- und Maschinenfabriken, die chemische Industrie, der Nachrichtenapparatebau, sämtliche Einheitspreisgeschäfte und ein großer Teil des Bürobetriebes.“ Im Zeitalter der elektronischen Roboter seien kleine unrationelle Betriebe, die sich bisher noch eben halten konnten, endgültig zum Sterben verurteilt.

Keine Milchmänner mehr

Immer wieder sind Berufe im Sand der Zeit versunken. Es gibt keine Bowlingkegelaufsteller mehr, keinen Aufwecker, der an die Fenster klopft, damit Arbeiter aufstehen und sich auf dem Weg in die Fabrik machen, keine Gaslaternenanzünder, keinen Milchmann und auch Henker finden längst nicht mehr in allen Nationen Anstelltung. Und immer wieder hatten Menschen sich gegen die Maschinen gestemmt. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts war es in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina strikt verboten, Dampfmaschinen zu betreiben, aus Angst, die Maschine könne zu viele Baumwollarbeiter brotlos machen.

1927 kam der erste Tonfilm ins Kino, in den folgenden drei Jahren verloren 22.000 Musiker, die in Stummfilmorchestern in Kinos arbeiteten, ihre Arbeit. Die schon damals aktive American Federation of Musicians sieht sich übrigens heute durch den erneuten technologischen Wandel mit einem weiteren Problem konfrontiert, das Jobs kostet: Immer mehr Produzenten versuchen Geld zu sparen, indem sie echte Musiker gegen digitale ersetzen.

Die Künstlichen Intelligenzen kommen

„Unsere Maschinen befreien den menschlichen Geist, indem sie ihm langweilige Routinearbeit abnehmen“, verkündete IBM-Präsident Thomas Watson in den Fünfzigerjahren. „Aber diese Maschinen“, hielt der Gewerkschaftsführer Walter Reuther dagegen, „befreien auch Millionen gelernter Arbeitskräfte von ihren Arbeitsplätzen.“ Heute ist ein digitaler Watson bei IBM zugange - wir erinnern uns: das kognitive System, das 2011 zwei menschliche Champions der Quizsendung „Jeopardy!“ geschlagen hat, indem es bei der Beantwortung von in natürlicher Sprache gestellten Fragen jeweils schneller war. Nun möchte Watson nicht nur die Mitarbeiter von Call Centern ersetzen. IBM hat schon mal eingeladen, darüber nachzudenken, wie Watson Branchen wie das Gesundheitswesen, Finanzdienstleistungen, Marketing und Service verändern kann. Auch Architekten oder Anwälte können sich von der klugen Kiste assistieren lassen - vorerst.

Dass die zugehörige „eigenständige Datenbank“, die „alle internen und externen Informationen enthält, die für die täglichen Aufgaben nötig sind“, künftig auch tatsächlich eigenständig arbeiten und nicht nur assistieren wird, steht schon auf der Agenda. „Kognitive Systeme wie Watson können die Art und Weise verändern, wie Unternehmen künftig denken, handeln und arbeiten werden“, heißt es bei IBM. Diese Systeme lernen durch Interaktionen und liefern evidenzbasierte Antworten, „die für bessere Ergebnisse sorgen.“

Die künstliche Intelligenz Amelia der Firma IPsoft („Der Computer, der hinter deinem Job her ist“) scheint Watson sogar noch zu übertreffen. Amelia spricht 21 Sprachen und hat bereits Kunden in der Bank- und Versicherungswirtschaft, im Öl- und im Gasgeschäft gefunden. Der größten Einzelhandelskette in Japan dient sie als Kosmetikberaterin. Und sie kann 26.800 Gespräche gleichzeitig führen – sieht nicht gut aus für die Leute im Call Center.

Auch oben wird die Luft dünn

Früher verloren während solcher Rationalisierungsschübe ungelernte Arbeiter und Angestellte ganz unten in der Hierarchie ihre Jobs. Heute ist auch das Führungspersonal im Visier: An der Mayo-Klinik in Phoenix, Arizona, wurde Watson als „Leiter“ für klinische Studien angeheuert. Die auf Biotechnologie und Gesundheitswesen spezialisierte chinesische Fondsgesellschaft Deep Knowledge hat eine Künstliche Intelligenz namens VITAL („Validating Investment Tool for Advancing Life Sciences“) sogar als stimmberechtigtes Mitglied in den Vorstand aufgenommen. Sie soll die Fähigkeit besitzen, „Markttrends aufzunehmen, die für Menschen nicht sofort offensichtlich sind“, wie die Daily Mail schreibt.

Roboter-Redakteure

Im November 1968 hielt Otto A. Silha, Herausgeber der Zeitung Minneapolis Star and Tribune und Computerenthusiast, auf einem Kongress von Zeitungsherausgebern in Paris eine bemerkenswerte Rede, in der er über Tools sprach, die das Zeitungsgeschäft seiner Meinung nach richtig effizient machen würden: Robot-Redakteure. Mehr als vier Jahrzehnte später war es soweit. Als im März 2014 ein Erdbeben Los Angeles erzittern ließ, war ein Roboter namens Quakebot der erste, der einen Artikel darüber schrieb. Die Software stammt von dem Programmierer und Journalisten Ken Schwencke, sie sammelt Daten und spezielle Informationen und stellt sie nach einer Art Lego-System zu einem Artikel zusammen. Der Erdbebentext, mit allen wichtigen Eckdaten, war in drei Minuten fertig.

Mehrere Startups konkurrieren inzwischen um die vorderen Plätze bei der automatischen Texterstellung, so etwa die Berliner Firma Text-on („Aus Daten Wissen. Per Knopfdruck“), die sich auf Finanz- und Sportberichterstattung konzentriert. Und es sind nicht nur die Autoren, an deren Stühlen Algorithmen sägen, auch Bildredakteure und Rechercheure bekommen digitale Gesellschaft. So lernen Rechner gerade Bildlegenden zu verfassen. Und Forscher an der Universität Indiana haben ein automatisches System entwickelt, mit dem sich Behauptungen verifizieren lassen, die Online gemacht wurden.

Ist Kreativität computerisierbar?

In vielen kreativen Bereichen glauben die Kreativen immer noch, dass sie unersetzlich sind, aber ist das so? Kann nicht auch hier das Internet als gigantische Ideen-Datenbank dienen, aus der ein intelligenter Algorithmus ein hübsches Design für eine Website, ein Magazin, ein Produkt kombiniert und es mit netten Inhalten füllt? Wie in der Mode – es gibt nichts wirklich Neues, alles ist Remix. Das Video „Artificum“ des New Yorker Designers Lucien Ng führt uns einen Sprung nach vorne: in eine Zukunft, in der Designer bereits durch Künstliche Intelligenz ersetzt wurden...

„Obwohl die Automation schon seit längerem stetig an Boden gewinnt“, schrieb der amerikanische Kulturphilosoph Lewis Mumford 1967, „ist seltsamerweise erst in jüngster Zeit das Problem aufgetaucht, welche Bedeutung es hätte, wenn der Großteil des menschlichen Arbeitslebens ausradiert würde. Auch heute erkennen nur wenige, dass dieses Problem, einmal ehrlich ausgesprochen, das Endziel der Automation ernsthaft in Frage stellt. Was die mögliche Schaffung einer vollautomatisierten Welt betrifft, so können nur Ahnungslose ein solches Ziel als den höchsten Gipfel menschlicher Entwicklung ansehen. Es wäre eine Endlösung der Menschheitsprobleme nur in dem Sinne, in dem Hitlers Vernichtungsprogramm eine Endlösung des Judenproblems war.“

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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