Symbolbild.

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Wissenschaft & Blödsinn

Chemtrails: Man will uns alle vergiften!

Angst haben ist kein schönes Hobby. Aber was soll man denn tun, wenn einem sonst nichts einfällt?

Man kann sich ja alle möglichen irrationalen Ängste ausdenken, von der Spinnenphobie bis zur eingebildeten Krankheit, doch der wahre Profi verlegt sich auf Verschwörungstheorien. Weltumspannende Konspirationen, die weite Teile der Menschheit ausrotten wollen – damit kann man sich eine ganze Weile gut beschäftigen.

Der Tod aus dem Himmel

Wir alle kennen die wolkigen Streifen, die Flugzeuge am Himmel hinterlassen. Eine im Internet gut vernetzte Gruppe von Verschwörungstheoretikern ist fest davon überzeugt, dass es sich dabei um sogenannte „Chemtrails“ handelt – gefährliche Substanzen, die von Flugzeugen über die ganze Welt versprüht werden, auf Befehl unserer Regierungen, auf Anordnung gefährlicher Geheimbünde oder anderer zwielichtiger Gruppierungen.

Wenn die Streifen, die das Flugzeug am Himmel hinterlässt, ganz schnell wieder verschwinden, dann handelt es sich um gewöhnliche Kondensstreifen – doch wenn sie länger verweilen, so heißt es, dann sind es die gefürchteten Chemtrails. In diesem Fall ist es am besten, Sie schließen die Fenster und bewegen sich in nächster Zeit nicht aus dem Haus.

Die Angaben darüber, was da eigentlich am Himmel verteilt wird, sind recht unterschiedlich: Es handelt sich wahlweise um Barium, Aluminium, radioaktive Stoffe, mysteriöse Kunststofffasern, Bakterien, Viren oder genmanipulierte Mikroorganismen.

Auch über die Ziele dieser Aktionen gibt es unterschiedliche Theorien: Man will uns vergiften (ich würde zu diesem Zweck ja eher die Tabaksteuer senken), das Wetter manipulieren (scheint eigentlich bei Freimaurer-Gartenpartys immer die Sonne?), unsere Gedanken steuern um uns dumpfgeistig und gefügig zu machen (ist dafür nicht das Fernsehen zuständig?). Außerdem sollen Chemtrails den Klimawandel umkehren, Krebs und AIDS verursachen und das Ozonloch öffnen.

Forscht man weiter nach, stößt man auf Erstaunliches: Es gibt Zusammenhänge zwischen Chemtrails und UFO-Sichtungen, mit Chemtrails wurde saurer Regen verursacht, wodurch am 11. September 2001 das World Trade Center zerstört werden konnte, die Illuminaten wollen Chemtrails benutzen um die Welt weitgehend zu entvölkern, und John F. Kennedy sprach bereits 1961 über künftige Möglichkeiten der Wetterkontrolle – eine klare Chemtrail-Anspielung. Musste er deshalb sterben? Man sieht: Jede Verschwörungstheorie, die es überhaupt gibt, wird von den Chemtrails bestätigt und bestätigt somit ihrerseits die Chemtrails. Schach und matt!

Ruß und Eis, sonst nichts

Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Sache recht einfach: Bei der Verbrennung von Treibstoff in der Flugzeugturbine entsteht neben Kohlendioxid und anderen Gasen auch Ruß. Je nach Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit kann es passieren, dass Wasserdampf an den winzigen Rußpartikeln kondensiert und gefriert – und damit entsteht dann ein Kondensstreifen.

Thermodynamiker erklären uns, dass sich Kondensstreifen keinesfalls rasch auflösen müssen, sondern dass sie eben auch stundenlang bestehen bleiben können. Meteorologen rechnen vor, dass sich höhere und niedrigere Temperaturen, sowie trockenere und feuchtere Luftregionen oft abwechseln, sodass ein Flugzeug ganz unverhofft manchmal eben Streifen hinterlässt und dann wieder nicht. Chemiker erklären, dass man von Flugzeugen versprühte Substanzen natürlich in Luft-, Wasser- oder Bodenproben selbst in geringsten Mengen zuverlässig nachweisen könnte, man bisher aber noch nie etwas Verdächtiges gefunden hat. Biologen entlockt die Vorstellung, Bakterien oder Viren könnten den Verbrennungsprozess eines Triebwerks überleben und dann als gefährliche Bio-Wolke auf die Erde herabsinken nur ungläubiges Lachen, und Physikern ist klar, dass selbst winzigste Spuren radioaktiver Stoffe in der Luft sofort auffallen würden. Damit sollte sich die Chemtrail-Theorie eigentlich auflösen wie ein sanfter Bodennebel in der Sommersonne.

Viel interessanter wäre die Diskussion über den CO2-Ausstoß der Flugzeuge, der ist nämlich real und messbar. Doch was sind schon Zahlen und Fakten gegen ein solides Bauchgefühl! Man kennt das ja: Die Wissenschaftler stecken alle unter einer Decke. Viele von ihnen werden sogar von jemandem bezahlt. Mit Geld! Sie sind also korrumpiert. Klare Sache.

Dass sogar Greenpeace Chemtrails für Unfug hält, mag auf den ersten Blick ein bisschen verunsichern. Aber vermutlich sind Umweltorganisationen auch Teil der Verschwörung, weil sie durch Dezimierung der menschlichen Weltbevölkerung den Pandabär-Bestand steigern wollen?

Skandal!

Was allerdings wieder mal völlig übersehen wird: Der wahre Skandal liegt ganz wo anders. Es geht bei den Chemtrails um eine ganz unglaubliche Verschwendung von Steuergeld. Wenn die Regierungen der Welt sich gemeinsam verschworen haben, die Welt zu vergiften und uns alle unter ihre Kontrolle zu bringen – hätte sich das nicht billiger machen lassen? Muss man dafür wirklich eine Verschwörung inszenieren, an der hunderttausende (vermutlich gut bezahlte) Personen aus dem Flugwesen und aus der Wissenschaft beteiligt sein müssen?

Klar, man hätte uns auch über die Nahrung oder über das Trinkwasser vergiften, oder die bösartigen Substanzen gleich hier auf der Erde in die Luft pumpen können. Das wäre effizient, einfach und billig – aber nein! Unsere politische Elite muss unbedingt die Luxusvariante wählen und die gefährlichen Stoffe aus dem Flugzeug versprühen. Und das mitten in einer Wirtschaftskrise! Von unserem Steuergeld!

Und darüber, liebe Bundesregierung, liebe Illuminaten und liebe Alien Overlords, will ich jetzt Aufklärung haben. Ich fordere kostengünstige, effiziente und budgetverträgliche Vergiftung! So kann das nicht mehr weitergehen! We shall overcome!

Echte Angst vor eingebildeter Gefahr

Doch egal wie absurd die Chemtrail-Theorien sind, man darf eines nicht vergessen: Die Angst, die Chemtrail-Gläubige verspüren, die ist real. Es ist ehrliche Besorgnis, die solche Leute dazu bewegt, Webseiten zu basteln, Plakate zu malen oder Hauswände mit Chemtrail-Parolen zu beschmieren. Diese Leute haben zwar falsche Argumente, aber ein echtes Problem.

Angst zu haben ist genauso schlimm wie unter körperlichen Beschwerden zu leiden. Insofern ist die Chemtrail-Theorie nichts anderes als eine gefährliche, giftige Gedankenwolke, die über die Menschheit versprüht wird. Bei den meisten Leuten löst sie sich rasch wieder auf, doch wenn sie länger verweilt, dann kann sie gefährlich werden.

Jemandem unbegründete Angst einzureden, ist eine Form der Verletzung, die wir moralisch ernst nehmen sollten. Zum Glück kann man aber die meisten Leute dagegen impfen: Mit rationalen Argumenten und wissenschaftlichem Denken. Tun wir das!

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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