Parteien gibt’s nicht im Supermarkt
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Ich versuche angestrengt, den Einkaufswagen unfallfrei durch den Supermarkt zu steuern, da fällt mir ein, dass ich noch Waschmittel kaufen muss. Die Auswahl ist verwirrend. Es gibt große und kleine Packungen, grüne und blaue, billigere und teurere. Über die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Produkten weiß ich fast nichts, sie sind mir auch ziemlich egal. Und so greife ich eben zu irgendeiner Packung, ohne tieferen Grund, ich hätte genauso gut eine Münze werfen können.
Das ist in Ordnung so. Die Entscheidung betrifft nur mich selbst und die Auswirkungen sind nicht besonders weitreichend. Als Konsumenten sind wir daran gewohnt, gedankenlos zuzugreifen. Die Werbung erzieht uns zum bauchgefühlten Zufallsauswählen ohne fundierte Information. Leider wählen wir oft auch politische Parteien auf diese Weise aus, und das ist ein Problem.
“With Great Power Comes Great Responsibility”
Das demokratische Wahlrecht ist eine tolle Sache. Wenn sich die Leute an der Spitze des Staates gehörig danebenbenehmen, dann kann man sie ohne Gewalt und Blutvergießen wieder loswerden. Jeder von uns hat die Macht, den Kurs des Landes mitzuentscheiden, darüber sollten wir uns freuen. Doch aus großer Macht folgt große Verantwortung. Aus dem Wahlrecht folgt auch eine Pflicht – nämlich die Pflicht, sich eingehend zu informieren. Und das machen wir uns zu selten klar.
Mitbestimmen ist nicht nur angenehm. Es ist oft mühsame Arbeit, aber es gehört zu den staatsbürgerlichen Aufgaben. Seltsamerweise wird das kaum so gesehen. Wir haben nicht das Gefühl, Zeit investieren und recherchieren zu müssen. Doch sich aus der politischen Diskussion auszuklinken und bei der Wahl einfach eine Partei anzukreuzen, deren Spitzenkandidat die hübscheste Frisur trägt, ist genauso unmoralisch wie Steuer hinterziehen.
Peer Review für Parteien
Wahlen sollte man so ähnlich betrachten wie das, was man in der Wissenschaft „Peer Review Prozess“ nennt: Wenn jemand eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlichen möchte, wird sie zunächst einigen Kollegen zugeschickt, die einen kritischen Blick darauf werfen. Wenn sie der Meinung sind, dass die Arbeit vernünftig ist und den wissenschaftlichen Regeln entspricht, dann wird sie publiziert.
Auf ähnliche Weise sollten bei einer Wahl politische Parteien ihre Ideen dem kritischen Blick des Volkes aussetzen. In einer Demokratie sind alle Wahlberechtigten gewissermaßen „Peers“, von denen politische Ideen geprüft werden sollen.
Daher ist Wählen etwas völlig anderes als Waschmittelkaufen. Im Supermarkt machen mir verschiedene Firmen ein Angebot. Ich kann es nützen, mich für die Konkurrenz entscheiden, oder ganz ohne Waschmittel nach Hause gehen. Dann riecht meine Wäsche irgendwann komisch, aber gesamtgesellschaftlich hat es keine nennenswerten Auswirkungen. Man gibt mir Wahlmöglichkeiten, aber niemand verlangt etwas von mir.
Bei einer politische Wahl bin ich in einer völlig anderen Situation: Ich habe die Pflicht, meine persönliche Lebenserfahrung, mein Wissen und mein Urteilsvermögen mal kurz in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, damit wir gemeinsam gute Ideen von schlechten Ideen unterscheiden. Die Rolle des Konsumenten, der von Werbung verführt werden soll, ist eine ganz andere als die Rolle des Wählers, der die Aufgabe hat, die Qualität verschiedener Zukunftsvorstellungen zu bewerten.
Warum sehen Wahlplakate aus wie Zahnpastawerbung?
Leider sorgt die Wahlwerbung dafür, dass dieser Unterschied immer schwieriger zu erkennen ist. Auf Wahlplakaten sehen wir Menschen mit ausgetüfteltem Gesichtsausdruck und computeroptimiertem Lächeln. Die Sprüche daneben sind inhaltsleer und austauschbar wie Waschmittelmarken.
Wer wirklich eine fundierte Entscheidung treffen möchte, muss Zeitungsartikel lesen, die nicht bloß aus Bildern bestehen, muss Diskussionssendungen ansehen, in denen erwachsene Menschen unnötig böse zueinander sind, oder Parteiprogramme lesen, mit zweifelhafter literarischer Qualität.
Es ist verständlich, dass das vielen Leuten zu mühsam ist. Wir alle haben genug zu tun, und trotzdem müssen wir daneben irgendwie auch noch Zeit finden, über Flüchtlingsströme, Erbschaftssteuern oder Wissenschaftsförderung nachzudenken. Das ist viel verlangt, aber es gehört in einer Demokratie nun mal dazu. Wer uninformiert zur Wahl geht, betrügt letztlich das demokratische System, das uns viel Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand gebracht hat.
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