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Peter Glaser: Zukunftsreich

Was für ein Jahr!

Es war windig auf dem Rollfeld. Ab und zu wehten alte Damen vorbei, noch an ihren Rollator geklammert, manche mit entschlossener Miene; gelegentlich Gangways. Ich war mit einem Bekannten auf dem Rückweg von einer Vintage-Computermesse, genauer gesagt auf dem Rückfluch. Mein Bekannter kochte vor Wut. Auf den Hinflug unbeanstandet, hatte er ein teures Schweizer Taschenmesser im Gepäck gehabt, den Sicherheitsvorschriften zur Genüge die Klinge unter sechs Zentimeter lang. Vor dem Abflug nach Deutschland war das Messer nun konfisziert worden. In Österreich war die Klinge offenbar um einen entscheidenden Millimeter gewachsen.

Der Flug des Pharao

„Die haben doch bloß Neid auf die Schweizer“, schimpfte mein Bekannter und kompilierte sich in die enge Sitzreihe in Flieger. Ich versuchte ihm zu erklären, dass diese Dinge daher kommen, dass die Österreicher immer noch erschöpft sind vom Wiederaufbau der zerbombten Alpen nach dem zweiten Weltkrieg. „So wie die Ägypter immer noch erschöpft sind vom Pyramidenbau“, ergänzte ich. „Der Flug des Pharao“, grummelte mein Bekannter.

Wir starteten. Ich mag das. Es ist, wie wenn man einen neuen Rechner hochfährt. Es geht richtig ab. Wir unterhielten uns über die alten Ägypter. Mit einer Fluchzeit von etwa 3200 Jahren ist Tutanchamun einer der langsamsten Verkehrsteilnehmer der Menschheitsgeschichte. Mein Bekannter simulierte eine Kleinanzeige. „Suche Mitfahrgelegenheit in einer Zeitmaschine. Möchte von Sonntagabend zu Freitagnachmittag reisen, jede Woche.“

Zeitreisen von Apple

Dann hatten wir die Speiseflughöhe erreicht und aßen ein Keks. „Apple bietet inzwischen ja auch schon Zeitreisen an“, sagte ich mit Fanboyunterton. In letzter Zeit liest man von Geistermails mit Datum vom 1.1.1970, die iPhone- und iPad-Besitzer bekommen, wenn sie durch verschiedene Zeitzonen reisen. Das hat etwas mit der Unix-Zeitrechnung zu tun, und mit dem Unix-Unterbau des Apple-Betriebssystems.

Mit dem 1. Januar 1970 beginnt in der Unix-Zeitrechnung die Computerzeit. Ein digitales Jahr 0. „Das war übrigens ein interessantes Jahr“, sagte ich und wir machten eine Kopfzeitreise. Apollo 13 geriet auf dem Weg zum Mond in Schwierigkeiten („Huston, wir haben ein Problem"), die von großartigen Ingenieuren überwunden wurden, was auch an Apple erinnert. „Und die Beatles haben sich getrennt“, sagte mein Bekannter betrübt und schaute hinab auf das Schneefeld unter einem Berggipfel, der aus der Wolkendecke aufragte. „Und Doug Engelbart hat die Computermaus erfunden.“ – „Was für ein Jahr!“

Die Weiterentwicklung des DeLorean

Vielleicht haben die Geistermails aber auch etwas mit der ultravisionären Entwicklungsarbeit von Apple zu tun. „Viele glauben, dass die Firma ein supergeheimes Projekt betreibt, um ein Apple-Auto zu entwickeln“, sagte ich. „Aber ich denke, das ist nur Kulisse. In Wirklichkeit arbeiten sie an einer Zeitmaschine.“ Das Apple-Car kann gar nichts anderes sein als eine Weiterentwicklung des DeLorean, mit dem Marty McFly und Doc Brown in die Zukunft rasen. „Vorwärts in die Kuhzunft“, sagte ich.

„Nur noch ein Knopf für alles.“

„Nur noch kein Knopf mehr“, mein Bekannter.

Eine neue Umweltbewegung

„Ich glaube, es wird auch kein Auto mehr sein“, sagte er verschwörerisch. In der klassischen Vorstellung einer Zeitreise bewegt sich ein Mensch durch die Zeit, wie mit dem Auto. Mein Bekannter hielt Apple für fähig, dieses Prinzip umzukehren. „Was Zeitreisen angeht“, sagte er und deutete auf seine eingequetschte Sitzposition, „wird bald niemand mehr die Unbequemlichkeit einer Fernreise auf sich nehmen müssen – Vergangenheit und Zukunft kommen mit digitaler Hilfe zu uns.“

„Eine neue Art von Umweltbewegung sozusagen“, ich verstand. „Statt dass wir uns mit dem Auto durch die Umwelt bewegen, auch zeitlich, bewegt sich die Umwelt und wir können sitzen bleiben.“

„Bleiben Sie noch sitzen, bis die Anschnallzeichen erloschen sind“, sagte das Flugzeug. Wir waren gelandet. Statt des Hagelschauergeräuschs der sich öffnenden Gurtschließen wie früher hört man jetzt in einer gelandeten Maschine die Laute startender Mobiltelefone. Die Zeiten ändern sich.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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