Der Bundestrojaner, der keiner sein darf
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In Deutschland verabschiedete der Bundestag am Donnerstag ein Gesetz, das es den Behörden ermöglichen soll, nicht nur bei der Terrorismusbekämpfung, sondern auch bei Straftaten wie Mord, Totschlag oder Geldfälschung Messaging-Dienste wie WhatsApp oder Skype überwachen zu können. Dazu soll ein sogenannter „Bundestrojaner“ auf die Geräte Verdächtiger geschleust werden. Ähnliche Pläne hat auch die österreichische Bundesregierung. Den Begriff Bundestrojaner versucht man hierzulande aber tunlichst zu vermeiden.
„Abgefangen“
Die Chat-Kommunikation solle „abgefangen“ werden, bevor sie verschlüsselt, oder nachdem sie wieder entschlüsselt wurde, heißt es dazu aus dem Justizministerium. Genau das macht aber der deutsche „Bundestrojaner“ auch.
„Nachdem man die Verschlüsselung nicht knacken kann, kann man die Kommunikation nur auf dem Gerät selbst einsehen und das funktioniert nicht ohne eine Art von Trojanersoftware“, sagt Werner Reiter, Aktivist der Bürgerinitiative epicenter.works (ehemals AK Vorrat). Mit einem solchen Trojaner könnten auch nicht nur Chat-Nachrichten, sondern das gesamte System ausspioniert werden, kritisiert Reiter. Eine solche Online-Durchsuchung sei mit den Grundrechten nicht vereinbar.
„Spezielle Software“
Das Justizministerium stellt das in Abrede: Eine spezielle Software solle sicherstellen, dass nicht auf alles zugegriffen werden könne, sondern nur auf die Kommunikation im begründeten Einzelfall, heißt es auf Anfrage. Nach der Strafprozessordnung wäre die Überwachung von WhatsApp oder Skype auch bislang schon zulässig. Aufgrund der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sei es aber faktisch nicht möglich, diese Kommunikation auszulesen.
„Remote-Installation“
Um die Software auf die Geräte Verdächtiger zu bekommen, müssten - wie auch in Deutschland - Sicherheitslücken ausgenutzt werden. Das schließt auch das Justizministerium nicht aus, das neben dem physischen Zugriff auf die Geräte auf Anfrage der futurezone auch die Möglichkeit der „Fern-Installation“ nennt. Auch angesichts der Erfahrungen mit dem Erpressungstrojaner WannaCry, der Anfang Mai weltweit Computer lahmlegte und ebenfalls eine zunächst nur staatlichen Diensten bekannte Schwachstelle ausnutzte, um sich zu verbreiten, sei dies abzulehnen, kritisiert Reiter.
Das Justizministerium wollte bereits im Jahr 2016 staatliche Überwachungssoftware in Österreich mit einer Änderung der Strafprozessordnung legitimieren. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde aber wieder zurückgezogen, nachdem es Kritik hagelte. Von "Missbrauchsgefahr" war ebenso wie die Rede wie von einer "Gedankenpolizei" und einem "Einfallstor für Kriminelle".
Neben der WhatsApp-Überwachung beinhaltet das – je nach Diktion – Sicherheits- oder Überwachungspaket der Bundesregierung auch die Vernetzung von Überwachungskameras. Man wolle nur bei konkreten Anlassfällen, etwa Terroranschlägen, auf ohnehin bestehende Kameras zugreifen können, sagt ein Sprecher des Innenministers. Eine Speicherverpflichtung für die Betreiber der Kameras sei im nun vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen. Eine Speicherpflicht von 48 Stunden ist aber bei der Kennzeichenerfassung geplant, die ebenfalls in dem Gesetzespaket der Regierung enthalten ist. Epicenter.works sieht dies im Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser habe im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung mehrfach festgestellt, dass eine anlasslose und verdachtsunabhängige Speicherung von Daten, nicht zulässig sei, heißt es seitens der Aktivisten.
Aktionstag gegen Überwachung
Für den kommenden Samstag ruft die Bürgerinitiative zu einem österreichweiten Aktionstag gegen die Überwachungspläne der Regierung auf. In Wien wird um 14.00 Uhr ein Demonstrationszug von der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse zum Parlament führen. Auch in Krems, Innsbruck, Graz, Wiener Neustadt, Linz und Villach sollen Aktionen stattfinden.
Begutachtung strittig
Ob und wann das Gesetzespaket vom Parlament verabschiedet wird, ist offen. Justizminister Wolfgang Brandstetter und Innenminister Wolfgang Sobotka (beide ÖVP) wollen es noch vor dem Sommer durch das Parlament bringen. Ausgehen kann sich das nur mit einem verkürzten Verfahren, dass anstatt einer öffentlichen Begutachtung der Gesetzesentwürfe lediglich eine Begutachtung in parlamentarischen Ausschüssen vorsieht.
Grüne und NEOS haben das bereits abgelehnt, auch die SPÖ sperrt sich. Sie hat den Eckpunkten des Gesetzes zwar bereits zugestimmt. Da es sich um eine sensible Gesetzesmaterie handle, wolle man aber einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, der durch eine ordentliche Begutachtung ermöglicht werde, sagt ein Sprecher des SPÖ-geführten Verteidigungsministeriums. Eine Verabschiedung vor den Wahlen Mitte Oktober würde sich auch mit einer sechswöchigen Begutachtung der Gesetzesentwürfe noch ausgehen, so der Sprecher: „Der Innenminister kann seinen Entwurf jederzeit in Begutachtung schicken.“
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