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20 Jahre

monochrom: "Das Hacken treibt uns an"

"Wir sind Nerds, die in der Kunst gelandet sind", sagen Johannes Grenzfurthner und Günter Friesinger von monochrom. Das neunköpfige Kunst-, Theorie- und Bastelkollektiv feiert noch bis Ende April im Wiener Musa seinen 20. Geburtstag. In der "Die waren früher auch mal besser" betitelten Ausstellung blickt monochrom auf ein bewegtes Schaffen zurück, das von Cyberpunk-Fanzines über Videos, Theaterstücke, Musicals, Perfomances und Konferenzen reicht. Die futurezone hat mit Grenzfurthner und Friesinger über Nerdtum, Hedonismus, Technologie und Crowdfunding gesprochen.

futurezone: 20 Jahre sind eine lange Zeit. Wie hat es mit monochrom begonnen?
Günther Friesinger: Wir sind Nerds, die in der Kunst gelandet sind.

Johannes Grenzfurthner: Wir waren immer Nerds und werden auch immer Nerds bleiben. Ich habe mich immer sehr für Wissenschaft und Science Fiction, Rollenspiele und auch Dinosaurier interessiert. Klassische Nerdthemen eben.  Meinen ersten Computer habe ich Mitte der 80er-Jahre bekommen, damals war ich zwölf Jahre alt. Über das FidoNet hatte ich plötzlich Zugriff auf Sachen, die es in Stockerau, wo ich aufgewachsen bin, nicht gab. Ich bin auf Cyberpunk aufmerksam geworden und hab begonnen, William Gibson zu lesen. Die Auseinandersetzung mit Cyberpunk hat mich auch politisch aufgeweckt.

Ich wollte ein Fanzine für den deutschsprachigen Raum machen. Die Science-Fiction-Szene in Deutschland war eigenartig bieder. Damals gab es es zwar in den USA Mondo 2000 und die frühen Boing-Boing-Fanzines. Die hatten aber einen klassischen amerikanischen liberalen Ansatz. Richard Barbrook hat das später "Californian Ideology" genannt. Dieser Ansatz hat mir überhaupt nicht gefallen. Dem wollten wir was entgegensetzen. Also hab ich in FidoNet-Foren gefragt, ob jemand Interesse hat, mitzumachen. Nach zwei Stunden hat der Frankie (Anm.: Frank Ablinger) zurückgeschrieben. Dann war monochrom geboren.

Neben dem Fanzine haben Sie bald auch andere Sachen gemacht - Aktionen, Performances, Konferenzen und sogar Musicals. Was ist die gemeinsame Klammer hinter Ihren Projekten?
Grenzfurthner: Die grundsätzliche Frage ist, wie man überhaupt noch subversiv sein kann, in einer Welt, die von einem fordert, dass man subversiv ist. Wir leben nicht mehr in der Disziplinargesellschaft, in der Lehrer oder Polizisten sagen, was man tun darf. Die Hierarchien werden flacher. Alle haben das Gefühl, dass sie unglaublich frei sind. An den Kapitalverhältnissen hat sich aber nichts geändert.

Ihre Arbeitsweise beschreiben Sie als Context Hacking.
Friesinger: Ja, wir versuchen für die richtige Geschichte das richtige Medium zu finden.

Grenzfurthner: Wir suchen für unsere Projekte die beste "Weapon of Mass Distribution", das ist manchmal ein Musical, manchmal ein Computerspiel, manchmal eine Performance im öffentlichen Raum und manchmal ein YouTube-Video oder ein Kinofilm. Auf dieser Grundlage arbeiten wir. Was ist das beste Medium? Wie kann man die Botschaft übermitteln?

Wie sieht das konkret aus?
Friesinger: Wir sind neun Leute, den Kern bilden Johannes Grenzfurthner, Frankie Ablinger und ich. Wir reiben uns aneinander und die Dinge entwickeln sich.  

Grenzfurthner: Nehmen wir zum Beispiel unsere Sitcom ISS. Da war es die bizarre Arbeitsumgebung der Raumstation. Die Leute haben dort nicht wirklich Freizeit, weil das zu teuer kommen würde. Jeder Schneuzer kostet 150.000 Dollar.  Der Untertitel lautet: "In space no one can hear you complain about your job." Gleichzeitig hatten wir schon länger die Idee, ein Theaterstück oder eine TV-Serie über die Internationale Raumstation zu machen. Irgendwann ist das dann zusammengekommen. Es hat aber zehn Jahre gedauert, bis wir Geld dafür bekommen haben und es umsetzen konnten.

Wann ist die Kunstwelt zum ersten Mal auf Sie aufmerksam geworden?
Grenzfurthner: Das war 1998. Damals hatten wir eine Installation, die hat "Der Exot" geheißen. Der Exot ist ein aus Lego gebauter Roboter mit Webcam, der über einen Chat gesteuert wird. Damit waren wir bei FM4 eingeladen. Die Kuratorin der Ausstellung "Junge Szene" in der Wiener Secession ist auf uns aufmerksam geworden und hat uns eingeladen. Das ist aber total gescheitert, denn es gab in der Ausstellung kein Internet. Wir haben uns gefragt, was wir mit einem Internet-Projekt dort überhaupt sollen.

Friesinger: Wir wurden mit der Installation 15 Jahre später noch einmal eingeladen. 2011 ins Science Museum in London zur European Robot Week. Dort war aber der Administrator so paranoid, dass er nicht erlaubt hat, dass der Chat betrieben werden kann. Es konnte also niemand den Exoten steuern. Jetzt heißt die Installation "Frankie, der Schas geht ned" und ist auch ein Statement zur Medienkunst, die immer nie geht.

Der Umgang mit Technologie steht bei Ihnen häufig im Zeichen grundlegender Bedürfnisse - Sex und Saufen - wie etwa bei den Veranstaltungsreihen Arse Electronica und Roboexotica.
Friesinger: Ein gewisser Hedonismus muss schon sein. Bei der Arse Electronica geht es um Sex und Technologie, bei der Roboexotica um Roboter und Alkohol. Im Herbst wollen wir in Montreal mit der Hedonistica anfangen, einem Festival für Robotik, Technologie, Essen und Genuss. Wir schließen den Kreis.

Grenzfurthner: Die Arse Electronica ist eigentlich eine akademische Konferenz zur Interaktion zwischen Sex und Technologie, zu der wir Historiker und Philosophen einladen. Gleichzeitig gibt es auch Performances, Hands-ons und Workshops, die Spaß machen. Was nicht heißt, dass Theorie keinen Spaß machen kann.

In der Ausstellung ist die Arse Electronica in einem Diorama dokumentiert.
Grenzfurthner: Wir wurden eingeladen 20 Jahre monochrom darzustellen. Wir wollten aber keine Fotos an die Wand kleben oder kleine Kästen aufstellen, in denen Videos laufen. Das repräsentiert uns nicht. Deshalb war die Idee, Geschichten etwa mit einem Diorama nachzuerzählen.

Grenzfurthner: Die Geschichte, die wir hier nacherzählen, ist bei der ersten Arse Electronica 2007 in San Francisco passiert. Wir haben dort den Fuckzilla präsentiert, eine fucking machine. Ich habe damals 20 Dollar verloren, weil ich gesagt habe, nicht einmal in San Francisco geht jemand auf die Bühne und hat Sex mit diesem Fuckzilla. Es ist aber tatsächlich ein junges Mädel raufgegangen. Wegen den Pornografie- und Streaming-Gesetzen in den USA musste das hinter einer Leinwand stattfinden. Es war ein eigenartiges, bizarres Schattenspiel.

Sie sind auch in den USA aktiv. Wie hat das begonnen?
Grenzfurthner: Wir haben die ersten Sachen in den USA bereits 1998 gemacht. Das erste Mal, dass wir breiter wahrgenommen  und sogar auf der Straße erkannt wurden war 2005. Unsere Killerperformance war es, Leute lebendig zu begraben. Das Lebendigbegrabenwerden ist ein schönes Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Medien, Technologie und Gesellschaft. Es gab vor mehr als 150 Jahren vor allem deshalb eine so große Hysterie wegen dem Lebendigbegrabenwerden, weil viele Zeitschriften darüber berichtet haben. Das war billiger Content, den die Leute gerne gelesen haben. Edgar Allen Poe hat das auch thematisiert. Der Medienhype hat einen Technologiehype hinterhergezogen. Die Industrie hat Luftsysteme im Sarg und ähnliches entwickelt. Wir wollten das nachstellen und haben den Leuten angeboten, die Erfahrung selbst zu machen - "Experience the Experience of Being Buried Alive".

Was machen die beiden Frauen mit dem Dildo vor dem Sarg?
Grenzfurthner: Wir haben das Konzept nach ein paar Jahren für eine Arse Electronica erweitert. Es ging um Sex, Technologie und Raum. Nicht nur um Weltraum, auch um den männlichen Blick, das Design von Bordellen und Laufhäusern und eben auch private Räume und die Frage, wie Privatheit vermittelt wird.  Wir haben das Service angeboten, in einem Sarg Sex zu haben. Die beiden Frauen sind eine Zeichnung der letzten beiden Leute, die wir begraben haben.

Hat eigentlich die Ars Electronica auf die Arse Electronica reagiert?
Friesinger: Ich glaube, es ist ihnen wurscht und Gerfried Stocker hat auch sehr viel Humor. Es ist auch so, dass in den Staaten mehr Leute die Arse Electronica kennen als die Ars. Viele verstehen deshalb auch den Bezug nicht, weil sie die Ars Electronica nicht kennen.

Monochrom ist in gewisser Weise auch gemeinsam mit dem Netz groß geworden. Von den Utopien, die in den 90er Jahren formuliert wurden, ist nicht viel übrig geblieben.
Grenzfurthner: Das Internet war damals zu einem gewissen Grad nur deshalb ein Raum, der eine Utopie zugelassen hat, weil es halt niemanden interessiert hat. Diese Utopien wurden von ein paar Leuten formuliert, die elitäre Möglichkeiten hatten.

Friesinger: Es war eine elitäre Gruppe, die an Unis angesiedelt war. Die haben gedacht, dass es da Freiheit gibt. Aber es gibt keine Freiheit. Sobald mehr Leute dazugekommen sind, hat sich das aufgehört. Vor allem als Kapital reingeströmt ist.

Grenzfurthner: Wir haben Mitte der 90er-Jahre ein Manifest veröffentlicht, das hieß Schubumkehr. Uns ist diese Goldgräberstimmung, die damals auch in Österreich geherrscht hat, extrem ungut aufgestoßen.

Friesinger: Man muss das Internet als Lebensraum sehen, es ist eine Abbildung unserer Gesellschaft. Die Leute brauchen sich also nicht zu wundern, dass das Netz so aussieht, wie es eben aussieht. Wir leben in einer radikalkapitalistischen Gesellschaft.

Mit Sowjet Unterzögersdorf haben Sie auch ein Computerspiel veröffentlicht.
Friesinger: Sowjet Unterzögersdorf war am Anfang eine Performance, ein Live-Rollenspiel. Die Idee dahinter war es, sich an der Glorifizierung des Sowjet-Kommunismus, die Ende der 90er-Jahre in der linken Szene da war, abzuarbeiten. Wir haben die Geschichte erfunden, dass ein paar Russen zurückgelassen wurden, denen der Diesel ausgegangen ist und die in Unterzögersdorf stationiert wurden, bis eine Lösung gefunden wird. Die wurde aber nicht gefunden und sie sind einfach geblieben und wurden auf gute österreichische Art und Weise totgeschwiegen. Daraus ist eine Performance geworden, eine Teilnahme am Protest-Songcontest und zwei Computerspiele, die unter freier Lizenz heruntergeladen werden konnten.

Wie oft wurde das heruntergeladen?
Friesinger: Vom ersten Teil haben wir innerhalb der ersten beiden Monate eine halbe Million Downloads gezählt. Das war auch noch auf einer DVD von e-media drauf. Deshalb wissen wir gar nicht, wieviele Leute das letztlich gespielt haben.

Grenzfurthner: Im zweiten Teil kommen Jello Biafra, Bruce Sterling, Cory Doctorow und Bre Pettis als Gaststars vor. Ein dritter Teil ist in Planung. Vorher machen wir aber den Film "Sierra Zulu".

Für den Film haben Sie auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter mehr als 50.000 Dollar gesammelt.
Friesinger: Das war ein Experiment.

Grenzfurthner: Eine Zitterpartie. Es ist aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das ist ein Zwei-Millionen-Euro-Film.

Friesinger: Filme tun sich auf Kickstarter schwer. Zur gleichen Zeit war ja auch Whoopie Goldberg mit einem Filmprojekt am Start. Sie wollte 65.000 Dollar und hat es knapp geschafft. Was dort funktioniert, sind Spiele und Gadgets, da gibt es eine Community, die auch bereit ist, einzumünzen.  

Wie finanzieren Sie eigentlich Ihre Projekte?
Grenzfurthner: Dazu haben wir sogar eine Installation gemacht, eine Hommage an unser Projekt "Kunst für Kakerlaken" aus dem Jahr 2003. Dort sind alle Förderstellen verzeichnet, von denen wir Geld bekommen haben.

Friesinger: Das ist die volle Transparenz. Wir kriegen für viele Projekte immer wieder Förderungen oder haben Sponsoren. Es ist aber nach wie vor so, dass wir für 80 Prozent der Dinge, die wir machen, kein Geld kriegen.

Verfolgen Sie eigentlich auch die Urheberrechtsdebatte?
Grenzfurthner: Aber ja. Wir sagen aber nicht "Kunst hat Recht" sondern "Kunst scheiß di ned an". Die Leute baden sich im Kulturpessimismus.

Friesinger: Das Problem sind hauptsächlich die Verlage, die dahinterstehen. Die haben es verabsäumt, neue Modelle zu entwickeln und kommen jetzt drauf, dass die alten Modelle nicht mehr funktionieren. Die CD funktioniert seit 15 Jahren nicht mehr.

Grenzfurthner: Das Problem ist, dass die Künstler instrumentalisiert werden und für die Verlage auf die Barrikaden steigen. Was bringt das außer Distinktionsgewinn?

Wie geht es mit monochrom weiter?
Grenzfurthner: Mich würde freuen, wenn wir wesentlich mehr im Bereich Spielfilm machen würden. Wir sind große Filmfans.

Friesinger: Film ist wieder ein neuer Bereich. Wir hoppen ja durch die Fachrichtungen. Wir produzieren ja auch nicht auf einen Markt hin. Die Idee ist es, Geschichten zu erzählen

Grenzfurthner: Es ist das Hacking, das Rumspielen mit den Dingen.

Friesinger: Das treibt uns an. Das Schöne ist, dass genug Kreativität da ist, um neue Dinge entstehen zu lassen. In einer Fachdisziplin oder in einem Bereich Spitze zu werden, interessiert uns nicht. Dann wird man zum Museumsstück.

"Scheiß Internet"
Im Rahmen des Begleitprogramms zu der monochrom-Schau wird im Wiener Musa (Felderstraße 6 -8, 1010) am Mittwoch ab 19.00 Uhr der "Wolfgang Lorenz Gedenkpreis für internetfreie Minuten" verliehen. Mit dem Preis, der an den "Scheiß Internet"-Sager des ehemaligen ORF Programmdirektors erinnert, werden all jene ausgezeichnet, die "völlig unqualifizierte Statements gegen das Informationszeitalter" abliefern.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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