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"Irgendwas mit KI": Das neue Paradies für Wichtigtuer

Seit ChatGPT im Herbst 2022 wie ein Tsunami in die Wohn- und Arbeitszimmer hereingeschneit ist und sich Menschen gerne mit Maschinen unterhalten als wären sie Menschen, trifft man plötzlich auf sehr viele Expert*innen, nicht selten welche mit einer sozusagen unglaublichen Business-Idee.

Im Grunde ist die Sache gar nicht aufregend, denn man kann - wie immer, wenn ein sogenanntes neues großes Ding entsteht - die Uhr danach stellen: Mit dem Hype um ein bestimmtes Tech-Thema, diesmal sprechen wir von Künstlicher Intelligenz, bildet sich geradezu im Gleichschritt eine ebenso laut- wie meinungsstarke “Auskenner”-Blase (Lassen wir bei dem Begriff das Gendern einmal provokanterweise weg). Diese Blase charakterisiert sich dadurch, dass sie zu ca. 10 Prozent aus Menschen besteht, die sich tatsächlich mit dem Thema auskennen und zu den restlichen ca. 90 Prozent aus dem Gegenteil - die aber aus Mangel an echter Fachkenntnis doppelt so viel an Laut- und Meinungsstärke bieten. 

Seit ChatGPT im Herbst 2022 wie ein Tsunami in die Wohn- und Arbeitszimmer hereingeschneit ist und sich Menschen gerne mit Maschinen unterhalten als wären sie Menschen, trifft man plötzlich auf sehr viele Expert*innen, nicht selten welche mit einer sozusagen unglaublichen Business-Idee. Die E-Mail-Postfächer quellen über mit “Top-Ten-Tipps für den richtigen Einsatz von KI bei der Vermarktung von Gartenscheren”, “Diese 5 Business-Lösungen machen ihr Unternehmen noch heute fit für das KI-Zeitalter”, “So revolutioniert KI den Journalismus”, “Jetzt unsere KI-Lösung kaufen oder für immer ein Verlierer sein”, und so weiter und so fort. Das ist jetzt vielleicht einen Hauch sarkastisch formuliert, tatsächlich wirklich nur einen Hauch und wie man im Internet heute so schön sagt: You get the idea.

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Nun steht es fraglos außer Zweifel, dass Künstliche Intelligenz eines der großen Themen unserer Zeit ist, lange vor ChatGPT und anderen LLMs existiert und seine Spuren hinterlassen hat und erst recht in Zukunft eben diese bestimmen wird. Das gilt für Forschung und Wissenschaft gleichermaßen wie für die Tech-Welt an sich (Stichwort Coding), den Arbeitsalltag quer über alle Branchen und nicht zuletzt für das gesellschaftliche Zusammenleben, das nun einmal zentral von Technologie bestimmt wird. 

Was in Zusammenhang mit KI allerdings für alle nützlich wäre und bei einem sinnvollen Einsatz durchaus helfen würde, sind realistischere Zugänge, faktenbasierte Entscheidungen und etwas weniger überzogene Erwartungshaltungen. Nur weil sich Abteilungsleiter X einen super klingenden Marketingag überlegt hat und beeindruckt ist, wie kreativ ihm die KI den Text dafür formuliert hat, heißt das noch nicht, dass dahinter eine sinnvolle Lösung steckt.  Dazu gesagt werden sollte aber auch, dass es sich beim Thema KI grundsätzlich um deutlich mehr technolgische Entwicklungen und Einsatzgebiete handelt als den derzeit im Gespräch befindlichen Sprachmodellen.

KI-Halluzinationen

Man kann beobachten, wie sich Menschen getragen von einer Welle verheißungsvoller Versprechen schwer begeistert (wahlweise manchmal auch schwer erschüttert) zeigen, welch fundierte Antworten ihnen auf höflich formulierte Anfragen (Bitte, ChatGPT, danke, falls du gerade Zeit hast, ChatGPT…) von der Menschlichmaschine ausgespuckt werden. Leider klingen diese Antworten aber oft auch einfach besser als sie sind - denn faktisch sind sie immer wieder falsch. Das fällt dann allerdings nur auf, wenn es sich um Themen handelt, in denen man selbst schon ausreichend Wissen mitbringt. Ansonsten wird der KI, weil sie äußerst überzeugend vortragen kann - ebenso meinungsstark wie die Auskenner, von denen sie verehrt wird übrigens - einfach mal geglaubt. In der Fachsprache nennt man das “Halluzinationen”, die im Wesentlichen auf unzureichende Trainingsdaten zurückzuführen sind. Die KI macht das also nicht aus Boshaftigkeit, nur um das noch einmal für alle klarzustellen, die sich zum Beispiel auch gerne mit Chatbots streiten oder in sie verlieben. 

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Und so sollte man beim Einsatz von KI zunächst einmal vor allem darauf achten, auf welchem Datenmaterial das jeweilige Produkt oder Werkzeug überhaupt basiert. Die Künstliche Intelligenz kann, auch wenn der Name da gerne in die Irre leitet, nun einmal nur so schlau sein, wie die Informationen, die man ihr zuvor gegeben hat. Auch die Frage, wofür brauche ich das wirklich und wird es mir Arbeit ersparen und Lebenszeit schenken oder von beidem noch zusätzlich abknabbern, weil ich zwei Kreuzchen im Bullshitbingo gemacht, aber nicht weiter nachgedacht habe, sollte grundlegend geklärt sein: bevor man “irgendwas mit KI” anfängt. 

Dort, wo man sich wirklich mit dem Thema Künstliche Intelligenz auskennt, werden in der Branche so langsam schon etwas realistischere Töne angeschlagen. Vielen ist auch bewusst, dass das große Geld in vielen Bereichen, die zunächst einmal einfach sehr überzogen beworben wurden, vielleicht doch (noch) nicht in diesem Ausmaß zu machen ist. Ein Vorschlag zur Güte: Betrachten wir diese technologische Entwicklung mit Neugier und Aufgeschlossenheit, aber lassen wir uns nicht von überhypten Marketingsprüchen in eine Magiewelt entführen, die ihre Versprechen nicht halten kann. Es lohnt manchmal auch ein wenig zu warten, bis sich aufgewirbelter Staub gesetzt hat und man wieder klar sehen kann.

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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