Interview

"Niemand weiß, was Smart City bedeutet"

In seiner Streitschrift "Against the Smart City" ("Gegen die Smart City"), analysiert der in den USA geborene und in London lebende Autor, Urbanist und Informationsarchitekt Adam Greenfiel Prototpyen für die "intelligente Stadt" - Songdo City in Südkorea, Masdar in Abu Dhabi und PlanIT Valley in Portugal . Die Smart-City-Musterstädte bezeichnet er als "technokratische Visionen", in denen Leute, wie auf einem Schachbrett herumgeschoben werden. Es sei als ob Minority Report als Einkaufsliste und nicht als Dystopie verstanden wurde. "Diese Orte sind Labore, in denen Smart-City-Techniken erprobt und dann als schlüsselfertige Lösungen weltweit angeboten werden", kritisiert Greenfield.

Mitte Juni war er bei der Konferenz "Digitale Wolken und urbane Räume: Die Stadt als Informationssystem" in Wien zu Gast (futurezone-Bericht). Die futurezone hat mit Greenfield über Smart Cities, Technik und Stadt sowie Privatsphäre im technlogisierten urban Raum gesprochen.

futurezone: Fast jede Stadt will eine "Smart City" werden, Sie stehen dem Begriff sehr kritisch gegenüber. Warum?
Adam Greenfield:
Nun, ich weiß nicht, was "Smart City" bedeutet und ich glaube auch nicht, dass das irgendjemand weiß. "Smart City" ist ein sehr schwammiger Begriff, der ganz bewusst offen gelassen wird. Sagen Sie mir, in was genau eine bestimmte Stadt investieren will und wie sich das zu den Problemen ihrer Bürger verhält und auch dazu, welche Probleme die Bürger selbst für wichtig halten. Dann kann man beurteilen, ob dies eine gute oder schlechte Nutzung von Resourcen ist. Auf Basis eines allgemeinen Begriffs ist das nicht möglich. Niemand weiß, was Smart City bedeutet.

In Ihrer Streitschrift "Against the Smart City" ("Gegen die Smart City") haben Sie Marketing- und PR-Materialien für prototypische Smart-City-Projekte untersucht. Welches Bild wird in den Broschüren vermittelt?
Im Kern haben sie eine Aussage. Sie wollen vernetzte Informationstechnik in das Stadtgefüge und die Beziehungen, die dieses Gefüge ausmachen implementieren. Sie behaupten, dass sie die Lebensqualität der Bürger grundlegend verbessern und die Stadt optimieren und in jeder Hinsicht effizienter machen können. Wir wissen, dass das nicht stimmt. Städte sind vielstimmige, heterogene Organismen. Man kann sie nicht einfach so optimieren. Man muss schon genau bestimmen, was genau in diesem brodelnden Ansammlung von Umständen optimiert werden soll. Das kommt aber nie zur Sprache. Die Unternehmen, die uns Smart-Cities verkaufen wollen, gehen nicht ins Detail. Wie dieses Rahmenwerk und diese Technologien auf die Herausforderungen, die sich uns im Alltag stellen, angewandt werden sollen, ist mir ein Rätsel.

Wie hat Technik das urbane Leben verändert?
Technik hat sich in unser Leben eingeschrieben. In sehr kurzer Zeit und in jeder Hinsicht und auf jeder Ebene. Wir müssen uns nur den nächsten Gehsteig ansehen, um zu sehen, was sich in den vergangenen 15 Jahren getan hat. Früher haben sich Leute beim Gehen aneinander orientiert. Das Gehen in der Stadt war ein kollaborativer Prozess. Heute sind die Leute auf Bildschirme fokussiert und schirmen sich mit Kopfhörern ab. Bald werden sie auch noch Augmented-Reality-Brillen tragen. Sie stoßen miteinander zusammen und haben Glück, wenn sie nicht überfahren werden. Gehsteige funktionieren nicht mehr so, wie sie funktionieren sollten. Ich befürchte, wir können das nur ändern, indem wir eine zusätzliche Ebene technischer Komplexität darüber legen. Wahrscheinlich bräuchten wir so etwas wie Näherungssensoren für Fußgänger, damit wieder dieser urbane Flow entsteht.

Wie kann Technik dazu eingesetzt werden, um urbane Probleme zu lösen?
Obwohl ich davon überzeugt bin, dass die Technik, die wir nutzen uns dabei unterstützen kann, uns die Stadt anzueignen, gibt es dafür bisher sehr wenige konkrete Beispiele. Gerade deshalb ist es wichtig, dass technik-affine Leute in diesen Bereichen tätig sind. Wenn wir es für wichtig erachten, dass es soetwas wie ein Recht auf Stadt geben soll, dann müssen wir jetzt daran arbeiten, dass die Technik auch so konzeptioniert ist, dass sie es ermöglicht.

Die Informationstechnologie, die sich in Smart-City-Konzepten zum Einsatz kommt, hat auch Implikationen für die Privatsphäre. Verändert sich unser Verständnis von Privatsphäre?
Die Snowden-Enthüllungen über die Massenüberwachung durch die Geheimdienste haben viel bewegt. In Europa war das Thema immer schon präsent, in den USA wurde darüber aber nicht nachgedacht. Das hat sich nun geändert. Das massive Abgreifen von Daten ist auch in den USA ein Thema. Die Frage ist, ob es auch gelingt, auf die Politik einzuwirken. Für Europa bin ich zuversichtlich. Im Falle der USA bin ich mir nicht sicher. In Asien interessiert der Datenschutz niemanden. Das sollte uns Sorgen machen. Denn diese Technologien werden nicht in Europa, sondern im Silicon Valley, in Seoul und Tokio entwickelt. Wenn es in diesen Ländern kein Verständnis für Datenschutz gibt, dann es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sich damit verbundene Werte in der Technik wiederfinden. Wir müssen sehr wachsam sein und Organisationen und Unternehmen für ihre Datensammlung zur Rechenschaft ziehen. Wir müssen Gegenmaßnahmen in unsere Techniken einbauen, die die Privatsphäre aufrechterhalten und schützen.

Wer soll Kontrolle über die Daten haben, die in vernetzten urbanen Umfeld generiert werden?
Die Kontrolle über die Daten, die wir als private Individuen generieren, sollte bei uns bleiben. Das muss respektiert und sollte auch gesetzlich festgeschrieben werden.

Der Freigabe von Daten als Open Data wird in urbanen Prozessen ein großes Potenzial zugeschrieben.
Ich war lange Zeit und bin wohl auch noch der Meinung, dass Transparenz und Offenheit der beste Weg sind, um Missbrauch zu verhindern. Offenheit kann für bestimmte gesellschaftliche Gruppen aber auch nachteilige Wirkungen haben. Das wird vor allem von Immigranten-, Queer- und feministischen Communities thematisiert.

Welche Bereiche des urbanen Lebens werden sich in den nächsten Jahren am stärksten verändern?
Die vernetzte Informationstechnologie wird wohl zuerst im Bereich der Mobilität wirklich spürbar werden. Die persönliche Mobilität wird sich in den nächsten fünf Jahren radikal verändern. Dabei werden offene Programmierschnittstellen und kleinteilige Vernetzungen eine große Rolle spielen.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Ich arbeite gerade an einem Buch zu diesem Thema, das "Transmobility" heißen wird, und in dem ich das veranschaulichen werde. Sie werden wohl warten müssen, bis das Buch erscheint.

Wie werden Städte in 15 Jahren aussehen?
Das ist schwer zu sagen. Ich halte schon Fünf-Jahres-Prognosen für langfristig. Die Städte werden wohl auch in 15 Jahren noch so aussehen, wie sie es heute tun. Aber die Institutionen und das Verhältnis der Bürger zu diesen Institutionen wird sich verändern. Wir haben ein breites Repertoire an gesellschaftlichen Organisationsformen, die heute fast vergessen sind. Es gab Kooperativen, Syndikate und Gilden. Ich glaube, dass vernetzte Informationstechnologie solche Organisationsformen wieder beleben werden. Ich denke etwa an föderierte Netzwerke aus lokalen Kollektiven. Ich halte das für eine sehr aufregende Perspektive, mit solchen Organisationsformen auf Problemen beizukommen, die sich uns im Alltag stelllen. Das wird die Zukunft unsere Städte mehr prägen als alles andere.

Der Autor, Urbanist und Informationsarchtitekt beschäftigt sich seit Jahren mit Schnittstellen zwischen Technik und urbanem Alltag. In seinen Büchern "Everyware. The dawning age of ubiquitous computing" (2006) und "Urban Computing and its discontents" (2007) untersuchte Greenfield die Auswirkungen der zunehmenden Durchdringung des städtischen Lebens mit Computern. Mit seinem Unternehmen Urbanscale berät er Städte und Organisationen. Derzeit lebt Greenfield in London, wo er an der London School of Economics (LSE) forscht.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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