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Spieletest

Watch Dogs im Test: Hacken für Dummies

Smart City: In Zukunft soll alles - sei es Verkehr, Strom oder Videoüberwachung - miteinander vernetzt und zentral steuerbar sein. Das Thema wird heftig diskutiert und findet nahezu ebensoviele Befürworter wie Kritiker. In Watch Dogs wagt Ubisoft einen kurzen Blick in die Zukunft der vernetzten Stadt, dürfte dabei aber eher den Kritikern Futter liefern. Lediglich mit einem Smartphone bewaffnet kann dort alles, das mit einem Computer-Chip ausgestattet ist, gehackt und kontrolliert werden.

Watch Dogs ist eines der ersten Highlights dieses Jahres für die Next-Gen-Konsolen und kann mit Whistleblowern, einer Anonymous-ähnlichen Hacker-Gruppe sowie Kritik an der modernen Datensammelwut aufwarten. Mit Ubisoft Montreal wurde das Spiel zudem von jenem Studio entwickelt, das sich für die Assassins Creed- und Splinter Cell-Reihen verantwortlich zeichnet. Auf dem Papier klingt das alles nach einem erstklassigen Spiele-Blockbuster. Doch der interessante Mix hat unglücklicherweise ein großes Problem. Die futurezone ist für einige Tage in die Welt von Watch Dogs eingetaucht.

In Watch Dogs übernimmt der Spieler die Rolle von Aiden Pearce, einem Hacker und Gauner, der sich nun auf einem Rachefeldzug befindet. Bei einem Auftrag war der Partner von Aiden zu gierig und das Team wurde entdeckt. Aiden wurde daraufhin Ziel eines Attentatsversuchs, bei dem seine Nichte ums Leben kam. Seitdem lebt er im Verborgenen und sucht nach dem Grund für den Angriff und die Hintermänner. Doch die Suche verkommt zur Nebensache, als plötzlich sein alter Partner auftaucht und der verbliebene Rest seiner Familie verschwindet. All das spielt in Chicago in einer nicht allzu fernen Zukunft.

In dieser Welt dominiert der Konzern “Blume” den Software-Markt. Nahezu jedes Gerät basiert auf dem Betriebssystem ctOS. Das eröffnet Aiden und anderen Hackern unendliche Möglichkeiten, denn nun reicht ein Smartphone aus, um das Bankkonto einer Person leer zu räumen oder um Kontrolle über das Sicherheitssystem einer Bank zu übernehmen. Der Spieler hält dafür lediglich eine Taste gedrückt, schon ist der Spuk vorbei. Einzige Bedingung ist jedoch, dass man das Hack-Ziel sehen kann. Am häufigsten hackt Aiden Überwachungskameras. Über diese hangelt man sich von Raum zu Raum, bis letztendlich das Terminal erreicht wird, mit dem sich die Türe öffnen lässt.

Es ist aber auch möglich, Gegner per Hacks abzulenken oder auszuschalten. So können in einigen Abschnitten alle Gegner eliminiert werden, ohne einen einzigen Schuss abzugeben oder überhaupt das Gelände zu betreten. Irgendwas könnte ja immer explodieren, seien es Wasser- und Gasleitungen, Stromkästen oder die Granaten, die einige Gegner am Gürtel tragen. Durch geschicktes Beobachten und Ausnutzen der Gegebenheiten lassen sich so viele Mühen und Munition ersparen. Die Gegner sind nicht dumm, brauchen aber ein wenig Zeit, bis sie den Ernst der Lage erfassen können. Warn-Dreiecke, die sich langsam füllen, warnen den Spieler, wenn er Gefahr läuft, entdeckt zu werden. Ist er einmal enttarnt, verhalten sich die Gegner relativ clever und versuchen den Spieler zu flankieren und ihn in die Ecke zu drängen.

Einige Gegner können zudem Verstärkung rufen, sodass das Spiel durchaus jene belohnt, die im Sam Fisher-Stil bedächtig aus dem Hinterhalt agieren. Leider sind die Nahkampfangriffe recht beschränkt. Kommt der Spieler einem Gegner nahe genug, kann dieser auf Knopfdruck eine zufällige Nahkampfattacke mit Aidens Schlagstock ausführen, beispielsweise diesen erwürgen. Das Kampfsystem wurde recht simpel gehalten, frustriert aber hin und wieder. Schießen aus der Deckung ist nicht möglich und das Wechseln von der Deckung in das freie Zielen ist, gerade wenn man in Bedrängnis ist, sehr mühsam.
Apropos Gewalt: Das Spiel verzichtet weitestgehend auf eine überzeichnete Darstellung von Gewalt. Gegner gehen zwar zu Boden, es fließt dabei aber kaum Blut und es gibt keine sichtbaren Wunden. Auch die Glieder bleiben alle dran. Hin und wieder ist es sogar möglich, mit viel Schleich-Arbeit ans Ziel zu kommen, ohne dabei einen einzigen Schuss abzugeben. Das ist aber eher die Ausnahme als die Regel, denn sehr oft lautet das Spielziel sogar „Schalte alle Gegner aus“. Die Szenarien der Missionen sind recht abwechslungsreich, sei es vom Gefängnis über den Szene-Nachtclub bis hin zum Leuchtturm, selten wiederholt sich ein Gebiet in den knapp 40 Missionen. Neben den Baller- und Schleichsequenzen gibt es auch “Rätsel”. So müssen beispielsweise Satellitenschüsseln per Hack so angeordnet werden, dass der Spieler darüber in einen abgesperrten Bereich kommt. Meist lassen sich die Rätsel aber durch simples „Try and Error“ lösen.

Ist das Spiel nun beim “Hacken” näher am spannenden, textbasierten Uplink oder doch eher der hoffnungslos überzeichneten Darstellung in Hollywood-Filmen a la “Password: Swordfish” oder “Stirb langsam 4.0”? Leider ist Letzteres der Fall, “gehackt” wird in einem simplen Mini-Spiel, bei dem, wie im Klassiker Pipe Mania, Rohrelemente so gedreht werden müssen, dass gewisse Bereiche mit Energie versorgt werden. Das ist vor allem in den ersten drei Kapiteln sehr simpel, erst später wird es durch eine “Firewall” - ein Zeitlimit, das beim Drehen gewisser Elemente aktiviert wird - fordernder. Das Spiel ist kurzweilig und kommt pro Mission höchstens ein bis zwei Mal zum Einsatz. Die meisten hackbaren Objekte lassen sich auch ohne das Mini-Spiel übernehmen.

Abseits der Missionen lädt die Welt von Watch Dogs auch zum Erkunden ein. Neben Shops und Mini-Spielen - dem “Smartphone-Spiel” NVZN, bei dem Aliens rund um Aiden auftauchen und abgeschossen werden müssen - gibt es auch zahlreiche Zusatz-Missionen. Dabei tritt Aiden als “Superheld” auf und verhindert Verbrechen oder schaltet Verbrecher-Konvois aus. Für diese Missionen erhält Aiden Reputations-Punkte, die bestimmen, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Tötet Aiden beispielsweise auf einer Verfolgungsjagd viele Passanten, sinkt sein Rang und es wird schneller die Polizei gerufen, wenn er eine Straftat begeht. Im Spiel war es allerdings nahezu unmöglich, unter den Mittelwert zu fallen, es sei denn, man zettelt einen Amoklauf an und schießt wahllos auf Passanten.
Neben Reputations- gibt es auch Erfahrungspunkte für Aiden. So steigt er bis Level 50 auf und kann seine Fähigkeiten in einem recht umfangreichen Skillbaum verbessern. So kann er beispielsweise neue Hacks erlernen, mit denen er Gasleitungen auf der Straße explodieren lassen oder Helikopter ausschalten kann. Diese Fähigkeiten werden rasch sehr wichtig, denn eine Verfolgungsjagd findet nahezu in jeder zweiten Mission statt. Auch der Umgang mit Waffen und Fahrzeugen kann verbessert sowie das Bauen neuer Gegenstände erlernt werden. Neben herkömmlichen Granaten verfügt Aiden auch über Haftbomben, “Jam Coins” (unterbrechen Funkverbindungen) sowie dem “Blackout”, das für mehrere Sekunden einen ganzen Häuserblock vom Strom abschneidet. Dieser ist für die Flucht vor der Polizei bei Nacht nahezu unersetzbar.

Viele Waffen und Fahrzeuge

Ohnedies hat unter dem Mantel von Aidan einiges Platz. Ein Limit für Waffen oder Gegenstände gibt es nicht. Insgesamt stehen mehr als 30 Waffen zur Auswahl, darunter Granatwerfer, schwere Maschinengewehre, Scharfschützengewehre und Maschinenpistolen. Auch bei den Fahrzeugen gibt es ein umfangreiches Sortiment. Laut Ubisoft stehen mehr als 65 Fahrzeuge zur Verfügung, darunter auch Motorräder und Boote. Die Fahrzeuge steuern sich gut und weisen unterschiedliches Fahrverhalten sowie ein detailliertes Schadensmodell auf. Wer Lust hat, kann auch “Digitale Drogen” konsumieren. Der Spieler erlebt dann psychedelische Mini-Spiele, in denen er beispielsweise von einer riesigen Blume zur nächsten springen muss. Zum Ende landet der Spieler dann irgendwo verkatert in einem Kanal.

Die Grafik auf der getesteten PlayStation 4-Fassung war in jeder Hinsicht ein Augenschmaus. Die Framerate von 30 Bildern pro Sekunde blieb stets stabil, nur sehr selten brach sie leicht ein, beispielsweise bei mehreren schweren Explosionen gleichzeitig. Dabei fiel sie aber nie auf Daumenkino-Niveau ab. Die von Ubisoft entwickelte “Disrupt”-Engine lässt ihre Muskeln vor allem bei der Darstellung von Gesichtern spielen. Die Modelle waren sehr modelliert und erreichen in Cutscenes nahezu unheimlich realistisches Niveau. Hin und wieder waren jedoch Ton und Lippen nicht synchron. Ebenso gut gelungen sind die Animationen, sowohl in Cutscenes als auch im Spiel.

Etwas überzeichnet wirkt es jedoch, wenn es Aiden durch die Luft schleudert, beispielsweise nach einem Motorrad-Unfall. Er fliegt dabei wie eine Puppe herum und erleidet geradezu absurde Verrenkungen. Der Übergang zwischen Tag und Nacht geht hin und wieder etwas zu schnell vonstatten, der Sonnenaufgang sieht sowohl zwischen Wolkenkratzern oder Bäumen stets beeindruckend aus. Die Welt von Watch Dogs kann zwar nicht die Detailverliebtheit von GTA V erreichen, dennoch wirkt alles stimmig. Von generischer Gestaltung kann nicht die Rede sein, auch die Bezirke lassen sich gut voneinander unterscheiden. Sei es Downtown, die Vororte oder das ländliche Paradies Pawnee, in dem ctOS nur eine Randerscheinung ist, für Abwechslung ist gesorgt.

Der wohl mit Abstand größte Schwachpunkt von Watch Dogs ist die Geschichte. Selten hatte ein Thema wie “Hacker” so viel Potenzial wie heute. Ubisoft verschenkt dieses Potenzial jedoch mit platten Dialogen und einer vor Klischees strotzenden Handlung. Lead Writer Kevin Shortt hat sich offenbar sehr viele Anleihen an Hollywood-Filmen wie “Stirb langsam 4.0”, “Staatsfeind Nummer 1”, “Das Mercury-Puzzle” oder “Taken” genommen, verzichtet dabei aber weitestgehend auf eigene Ideen. Auch der Spannungsbogen der Geschichte ist geradezu unfassbar flach, hin und wieder vergisst man sogar, was denn nun eigentlich das übergeordnete Ziel ist.

Es wirkt sogar so, als hätte man Begriffe wie “Whistleblower” oder das an Anonymous angelehnte “DedSec” lediglich in das Spiel eingebaut, damit diese überhaupt Erwähnung finden. Denn zum Spiel tragen diese kaum bei, sie sind Randerscheinungen. Das selbe Problem gibt es mit den von ctOS gesammelten Profilen der Bewohner. Sie wurden zwar mit recht viel Liebe zum Detail gestaltet und üben recht subtil Kritik am “gläsernen Bürger”, im Spiel kommen sie aber viel zu selten zum Einsatz. Da erfährt man mal, dass jemand süchtig nach Pornos ist oder trotz HIV-Diagnose Blut spendet, im Spiel lässt sich das aber nicht einsetzen. Etwas mehr Social Engineering wäre nett gewesen, da das ja auch zum Repertoire von Hackern gehört.

Der Multiplayer-Modus ist solide und bietet insgesamt sechs verschiedene Spielmodi. Diese sind recht nahtlos in die Kampagne integriert, immer wieder erhält der Spieler Einladungen. Bei “Tailing” muss beispielsweise ein gegnerischer “Fixer” so lange wie möglich verfolgt werden, ohne dass man selbst entdeckt wird. Ähnlich funktioniert “Online Hacking”, bei dem ein Fixer gehackt werden muss und man dabei nicht entdeckt werden darf. Bis zu acht Spieler dürfen bei den Online-Rennen und “Online Decryption” mitspielen. Bei Decryption jagen mehrere Spieler nach einer Datei, die in der Stadt versteckt ist.

Etwas ungewöhnlich ist der Companion-Modus, in dem ein Spieler über eine App für iOS und Android mitspielt. Je nach Art des Spiels arbeiten die beiden Spieler gegen- oder miteinander. So kann der Spieler am Tablet die Rolle der Polizei übernehmen und versuchen, den PC- oder Konsolen-Spieler einzufangen. Der Spielmodus konnte im Test nicht ausprobiert werden, da die uPlay-Server stets hoffnungslos überlastet waren. In “Free Roam” kann die ganze Stadt mit zahlreichen anderen Spielern erkundet werden. Hier genießt man quasi Narrenfreiheit, jeder kann tun, wonach ihm ist.

Es ist eigentlich unfassbar, dass ein so gutes Spiel mit einem derart mageren Hollywood-Flickwerk einer Geschichte auskommen muss. In fünf Jahren gab es mit Wikileaks und den Snowden-Enthüllungen ausreichend Material, mit dem sich unzählige spannende Hacker-Geschichten schreiben ließen. Die gute Nachricht ist: So schlecht die Handlung auch sein mag, das Grundgerüst von Watchdogs hat Potenzial für einen zweiten Teil. Dieser könnte in diesem Punkt von den Fehlern des Vorgängers lernen. Sonst gibt es ja kaum welche.

Dennoch macht Watch Dogs sehr viel Spaß und bietet mehr als nur kurzweilige Unterhaltung. Die Kampagne allein hat eine Spieldauer von rund 20 Stunden, für die Zusatz-Missionen darf man mit weiteren 20 Stunden rechnen. Die Missionen sind abwechslungsreich und es macht einfach Spaß, per Hacks Gegner auszuschalten und den perfekten Weg durch feindliches Gebiet zu suchen. Somit ist das Spiel, auch wenn es die ohne Zweifel riesigen Erwartungen nicht wirklich erfüllen kann, eine Kaufempfehlung, vor allem für die Next-Gen-Konsolen. Das Spiel ist ab sofort für 59,99 Euro für PC sowie um 69,95 Euro für PS3, Xbox 360, Wii U, PS4 und Xbox One erhältlich.

tl;dr: Großartiges Open-World-Spiel mit mieser Hollywood-Story

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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