Vor einem Jahr begannen die weitreichenden NSA-Enthüllungen von Edward Snowden
Vor einem Jahr begannen die weitreichenden NSA-Enthüllungen von Edward Snowden
© Reuters/UESLEI MARCELINO

Ein Jahr NSA-Skandal

"Der größte Whistleblower aller Zeiten"

Als am 6. Juni 2013 bekannt wurde, dass der US-Mobilfunkanbieter Verizon in großem Stil Kundendaten an die National Security Agency (NSA) übermittelt, war schnell klar, dass hier Überwachung in einem ungewöhnlichen Ausmaß betrieben wird. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt ahnte die breite Öffentlichkeit wohl nicht, was noch kommen sollte. Es war der Beginn der Enthüllungen von Edward Snowden, die im folgenden Jahr aufdeckten, wie die Privatsphäre von Internetnutzern weltweit bis hin zu Staatschefs von den Geheimdiensten untergraben und ausgehöhlt wird.

Die massenhafte Überwachung löste sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf politischer Ebene große Empörung aus. Bald war über den NSA-Skandal oder das Schnüffelprogramm PRISM täglich in den Schlagzeilen zu lesen. Doch die schier unüberschaubaren Ausmaße dieser Massenüberwachung führten auch zu Resignation, zu Ernüchterung, und soweit, dass das Internet, wie von Autor und Journalist Sascha Lobo, gleich für ganz "kaputt" erklärt wurde.

Wie sich das Netz in Zukunft weiterentwickeln wird und ob die Menschen online je die Einhaltung ihrer Grundrechte zurück erlangen, wagt derzeit wohl niemand zu sagen. Nach einem Jahr Snowden-Enthüllungen steht jedenfalls fest: Auf politischer Ebene ist es kaum zu Veränderungen gekommen und den einen Lösungsweg aus dieser Internetkrise gibt es nicht, wie Markus Beckedahl, Gründer von Netzpolitik.org und Mitorganisator der Internetkonferenz re:publica, für die futurezone analysiert.

“Kopf in den Sand”

“Durch Edward Snowden wurde die Frage beantwortet, wie wir in großem Stil überwacht werden. Erschreckend daran ist nach einem Jahr der Enthüllungen vor allem, dass die Regierungen bisher einfach weitgehend den Kopf in den Sand stecken”, sagt Beckedahl. “Die Geheimdienste vieler Länder stecken in der Sache wohl viel tiefer drin als zugegeben wird.” Der Netzpolitik-Experte kritisiert auch, dass die NSA-Affäre in Deutschland von Regierungsseite her etwa erst dann zum “Skandal” wurde, als bekannt wurde, dass auch Kanzlerin Angela Merkel abgehört worden war. “Die Massenüberwachung der normalen Bürger wurde mehr oder weniger schulterzuckend hingenommen”, sagt Beckedahl.

Positiv sei, dass man in Deutschland, anders als in vielen anderen Ländern, zumindest in den Medien und der Öffentlichkeit sehr kritisch über die Massenüberwachung diskutiere. Es gebe jedoch eine große Diskrepanz zwischen dieser öffentlichen Debatte und dem, was die Regierung tatsächlich tue. “Staatswohl wird über gesellschaftliches Wohl gestellt und damit die Grundrechte der Bürger verletzt.”

Kein einfacher Ausweg

Den einen Lösungsweg aus dieser Überwachungsaffäre gibt es laut Beckedahl nicht. “Man muss in der Sache sowohl politisch als auch auf technischer Ebene Schritte ergreifen.” Es fange bei den einzelnen Bürgern an: “Jeder sollte sich die Frage stellen, ob man sich weiterhin nur auf die großen US-Anbieter einlassen will, die vielfach in die Massenüberwachung involviert sind.”

Außerdem sei es an der Zeit, Verschlüsselungstechnologien so zu vereinfachen, dass sie auch von der breiten Masse zum Schutz der persönlichen Privatsphäre eingesetzt werden können. “Zurzeit kann man seine Grundrechte eigentlich nur dann schützen, wenn man sehr technisch versiert ist”, sagt Beckedahl. “Ich frage mich, wo die großen Aufklärungskampagnen im Stile der AIDS-Kampagnen in den 80er-Jahren zu diesem Thema sind. Damals wurde den Leuten ganz eindringlich klargemacht: Leute, schützt euch.” Google hat zuletzt angekündigt, Verschlüsselung in seinem E-Mail-Dienst Gmail per Webbrowser-Erweiterung anzubieten.

“Im Bett mit der NSA”

Auf politischer Ebene schätzt Beckedahl die Situation noch weit schwieriger ein. “Zunächst einmal müssten Datenaustauschprogramme mit den USA wie SWIFT oder Safe Harbor sofort gestoppt werden. Das ist allerdings so lange unrealistisch, wie die europäischen Regierungen mit der NSA und auch dem britischen Geheimdienst GCHQ ins Bett gehen.” Die deutsche Bundesregierung sei derzeit sogar eher dabei, zu jenen Überwachungsmaßnahmen, wie sie in den USA betrieben werden, “aufzuschließen”, anstatt sich in die andere Richtung zu bewegen.

Ganz offensichtlich will nach wie vor kaum jemand in Europa auf politischer Ebene die Beziehungen zu den USA ernsthaft aufs Spiel setzen. Asyl für Edward Snowden wird in vielen Ländern vergeblich gefordert, die Regierungen sehen sich nicht dazu veranlasst, den Aufdecker vor einer Auslieferung an die USA zu schützen. In den Vereinigten Staaten sind immer noch viele Bürger der Meinung, Snowden müsse für seine Taten vor ein Strafgericht. Zumindest in jüngeren Bevölkerungsschichten wird der Whistleblower mittlerweile aber als so etwas wie ein Held angesehen, da er im öffentlichen Interesse gehandelt habe.

US-Präsident Barack Obama nahm im vergangenen Jahr ein paar kosmetische Anpassungen vor. Telefondaten beispielsweise darf die NSA nicht mehr selbst speichern. Auf die allermeisten Vorschläge einer unabhängigen Expertengruppe, die die Praktiken der NSA untersucht hat, ist man bisher jedoch nicht eingegangen.

“Wir waren zu naiv”

Dass das Internet, nach all dem, was im vergangenen Jahr ans Tageslicht kam, nun kaputt ist, will Beckedahl anders als Lobo nicht behaupten. “Das liegt vielleicht daran, dass ich mir in vielerlei Hinsicht schon davor keine allzu großen Illusionen gemacht habe. Generell waren wir aber wohl zu naiv und zu sorglos in dem Glauben, dass das Internet zu einer besseren Welt verhelfen könnte”, meint Beckedahl. Es sei zu wenig an das Potenzial krimineller Geheimdienste und repressiver Staaten gedacht worden und was diese mit der Technologie anrichten könnten.

Dass nun alle resigniert aufgeben und sich im Umfeld der Massenüberwachung bequem zurücklehnen, will Beckedahl auch nicht glauben. Das Problem sei eher darin begründet, dass man es nun eben mit einem viel komplexeren Thema zu tun habe als etwa bei den Protesten gegen das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen ACTA. Damals habe es ein konkreteres und recht genau benennbares Ziel gegeben, daher sei es einfacher gewesen, sich dagegen aufzulehnen.

“Das Problem liegt jetzt aber auch darin, dass diese Massenüberwachung für die meisten Menschen nicht unmittelbar sprübar ist”, sagt Beckedahl. Man müsse daher weiterhin versuchen zu vermitteln, was die Speicherung der Daten eigentlich bedeutet und worin die Überwachung im schlimmsten Fall enden kann.

“Der größte Whistleblower aller Zeiten”

Und was wird am Ende von der Person Edward Snowden übrig bleiben? “Er wird jedenfalls als der - zumindest bis dato - größte Whistleblower aller Zeiten in die Geschichte eingehen”, sagt Beckedahl. “Ich hoffe, dass er die verdiente Anerkennung für seine Taten erfährt und nicht bestraft wird.”

“Außerdem hoffe ich, dass wir unsere Grundrechte online in Zukunft wieder schützen können”, so Beckedahl. Große Euphorie sei mit dem Blick auf die Zukunft zwar nicht angebracht, aber es sei zumindest positiv, dass nach den Enthüllungen nun öffentlich über Massenüberwachung geredet werden könne - “ohne, dass man gleich als Verschwörungstheoretiker abgetan wird”, sagt der Netzpolitik-Experte. “Letztlich hoffe ich, dass die Entwicklung ähnlich verlaufen wird, wie das beispielsweise bei der Anti-Atomkraftbewegung war. Da hat es auch einfach sehr lange gedauert, bis wirklich etwas in Bewegung kam.”

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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