"Das Mobiltelefon wird verschwinden"
Der österreichische Leiterplatten-Hersteller AT&S zählt zu den weltweit führenden Unternehmen bei der Weiterentwicklung von Bauteilen, die das Nervenzentrum jedes elektronischen Geräts, vom Fitnesstracker bis zum Flugzeug, bilden. Beim AT&S Technologieforum am Red Bull Ring in der Steiermark wurden gemeinsam mit Kunden Probleme und Lösungen für die fortschreitende Miniaturisierung elektronischer Komponenten erörtert. Die futurezone war ebenfalls eingeladen und lud AT&S-CEO Andreas Gerstenmayer zu einem Interview.
futurezone: Beim iPhone 7 wurde die Kopfhörerbuchse weggelassen, weil angeblich kein Platz mehr dafür war. Ist die Lage bei der Miniaturisierung tatsächlich so dramatisch?
Andreas Gerstenmayer: In vielen Geräten wird um jeden Mikrometer gerungen. Auch bei der Leiterplatte diskutieren wir, ob wir ein, zwei, drei Mikrometer dünner werden können, um die Dicke des Gerätes zu reduzieren. Es ist alles so dicht bepackt, dass um den kleinsten Raum gekämpft wird. Der Durchmesser eines Klinkensteckers kann da schon eine Rolle spielen. Das ist ein vergleichsweise massives Teil. Außerdem glaube ich, dass es modernere Technologien gibt. Dass der Stecker wegfällt, ist ein normaler Entwicklungsschritt.
Wie hat sich die Situation bei der Miniaturisierung in den letzten Jahrzehnten entwickelt?
Die letzten 50 Jahre in der Elektronikindustrie waren geprägt von Moore's Law. Das hat die komplette Elektronikindustrie vor sich her getrieben. Leistungsfähigere, kleinere Prozessoren brauchen natürlich ein entsprechendes Umfeld. Leiterplatten müssen die winzigen Strukturen von Prozessoren wiederspiegeln, um Anschlüsse möglich zu machen. Und so wurde Moore's Law in der gesamten Elektronik fortgesetzt. Ich gehe davon aus, dass es so weitergeht. Vielleicht nicht in der gleichen Logik wie bisher.
Was wird sich ändern?
Es wird zunehmend andere Architekturen geben, das sieht man an allen Ecken. In der Halbleiterindustrie gibt es etwa das 3D-Stacking von Chips, bei uns gibt es das Embedding von Chips in Leiterplatten, um ein ganzes Package daraus zu machen. Die Packungsdichten werden vorangetrieben. Im Jahr 2020 oder 2021 wird es bei Mobiltelefonen das so genannte All-in-One-Package geben. Man wird die komplette Funktionalität eines Mobiltelefons auf zwei mal zwei Zentimetern haben. Das ist nicht mehr weit weg. Leute machen sich jetzt schon darüber Gedanken.
Mit der Smartwatch wird man dann also auch telefonieren können.
Zum Beispiel, ja. Das ist auch meine Hypothese, dass das Telefon in der aktuellen Form irgendwann verschwinden wird. Man braucht dann nur noch ein anderes Interface, um Dinge anzuzeigen - wenn das überhaupt gebraucht wird. Es gibt ja andere Interaktionskanäle, etwa Sprachsteuerung.
Das Embedding von elektronischen Komponenten wie Chips in der Leiterplatte scheint ein großer Trend zu sein. Welche Vorteile bietet das?
Wenn man Bauteile wie ein WLAN-Modul oder ein Stromwandler-Modul in der Leiterplatte einbettet, anstatt sie oben drauf zu montieren, spart man 40 bis 50 Prozent Raumvolumen. Das ist ein wesentlicher Vorteil. Der zweite ist die Verkürzung der Signalwege. Der dritte Vorteil ist die die extrem kosteneffiziente Möglichkeit, ein 'System in Package' herzustellen. Das wird in einem Produktionsdurchlauf hergestellt.
Embedding soll ja auch Industriespionage bzw. Reverse Engineering schwieriger machen.
Klar, alle Teile sind da in der Leiterplatte drin und es ist erst mal schwierig, das zu zerlegen. Aber am Ende bekommt man die Informationen auch da raus. Man muss das Teil halt zerstören. Mit Embedding erreicht man definitiv einen höheren Sicherheitsstandard. Die anderen genannten Vorteile würde ich aber höher einschätzen.
Wie stark ist hier der Konkurrenzkampf und wie ist AT&S positioniert?
Beim Thema Chip-Embedding gibt es momentan viel Bewegung am Markt. Wir haben einen gewissen technologischen Vorsprung, weil wir sehr früh mit dem Thema begonnen haben. Die Wettbewerber investieren aber viel Geld und versuchen aufzuholen. Viele Unternehmen bangen um ihr bisheriges Kerngeschäft, sogar Foxconn oder Pegatron. Ein großer Teil ihres Geschäfts ginge verloren, wenn das Bestücken wegfiele. Die würden nur noch fertige Teile zusammenbauen.
Wie sieht es mit Partnerschaften und Allianzen aus?
Wird man sich natürlich auch überlegen müssen: Kann man alles alleine machen oder gibt es strategische Partner, mit denen man kooperiert.
Das Thema autonomes Fahren ist ja für AT&S sehr wichtig. Wie engagiert sich AT&S dabei?
Verschiedenartigst. Wir kooperieren mit vielen Fahrzeugherstellern und Tier-1-Zulieferern. Beim autonomen Fahren kommt es sehr auf Kommunikation und Sensorik an. Daten müssen ich Echtzeit verarbeitet werden. Ich kann da keine Verzögerungen haben, wie ich sie von
Windows kenne. Zentralrechner müssen Signale in Millisekunden verarbeiten und sofort eine Aktion daraus ableiten. In all diesen Bereichen werden Leiterplatten gebraucht. Auch bei der Motorsteuerung oder beim Batteriemanagement von Elektroautos.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei AT&S?
Eine große. Wir recyceln Wasser, filtern Lösungsmittel aus der Abluft. Wir waren das erste Unternehmen in der in der Leiterplattenindustrie, das sich über den Kohlendioxidausstoß Gedanken gemacht hat. Außerdem geht es bei 'Corporate Social Responsibility' ja auch darum, wie ich Mitarbeiter vernünftig behandle. Wir haben hohe Standards aufgestellt, um Mitarbeiter zu halten.
Welche Maßnahmen, um Mitarbeiter zu halten, hat AT&S denn getroffen?
Wir haben Schulungsprogramme, wir haben Gesundheitsprogramme. In Shanghai haben wir einen Shuttledienst, damit die Mitarbeiter in ihren eigenen Wohnungen, nicht in beengten Arbeiterquartieren, wohnen können. Es gibt ein Gratis-Mittagessen. In Indien haben wir in eine kleine Schule mit angeschlossenem Gesundheitszentrum investiert. Wir wollen zeigen: Wir sind nicht da um euch auszubeuten, sondern wollen Teil der Gesellschaft sein.
AT&S hat ja Werke in Österreich, in China, Indien, Korea. Sollte AT&S weiter wachsen, wo würde das nächste Werk entstehen?
Wir haben erst im Frühjahr 2016 einen neuen großen Produktionsstandort in Zentralchina, in Chongqing, eröffnet. Im ersten Werk läuft die Serienproduktion bereits. Im Moment konzentrieren wir uns darauf, Schritt für Schritt das zweite Werk hochzufahren.
In Österreich wird oft der Fachkräftemangel beklagt. Wie sehen Sie das?
Ich kann das bestätigen. Wir tun uns extrem schwer, gute Ingenieure zu finden. Bei uns ist das Problem noch einmal verschärft, weil es Leiterplatten bzw. Verbindungstechnologien nicht als Studium gibt. Es ist ein Zusammenwirken verschiedenster Technologien. Wir holen uns Leute aus Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie, Physik, aber auch die müssen viele Jahre lang lernen. Wir bräuchten mehr Leute, die fächerübergreifend denken können.
Wie könnte sich Ihrer Meinung nach die Situation in Österreich verbessern?
Man muss zunächst einmal Leute verstärkt zu naturwissenschaftlichen Disziplinen locken. Junge Menschen tendieren eher zu Gesundheitswesen, Betriebswirtschaft, Jus. Ingenieursstudiengänge sind für die meisten ja nicht so attraktiv, dabei sind sie die Basis des gesamten Wohlstandes in Zentraleuropa. Wir müssen einen Weg finden, um MINT-Fächer so zu gestalten, dass sie nicht gleich jedem ein Gräuel sind. Die Bildung ist ein wesentlicher Faktor. Ein anderer ist die Gesellschaft.
Welches Problem in der Gesellschaft sehen Sie?
Es gibt nach wie vor eine gewisse Technologiefeindlichkeit. Jeder will Technik anwenden, aber Fabriken will keiner. Auch wenn es um Technologieentwicklung geht, ist die Aversion relativ groß. Man braucht sich nur die Diskussion um autonomes Fahren ansehen. Anstatt uns draufzustürzen und zu sagen 'Das ist eine Riesenchance!' sagen viele 'Das ist ja nicht sicher. Was da alles passieren kann.' Auf diese Weise werden wir es immer wieder schaffen, dass Innovationen spurlos an Europa vorüber gehen.