Digital Life

Alan Turing: 100. Geburtstag des Codeknackers

Als Alan Turing am 8. Juni 1954 tot in seinem Haus gefunden wird, liegt ein angebissener Apfel neben seinem Bett. Selbstmord durch Zyanidvergiftung, befindet der Gerichtsmediziner später, angeblich werden Spuren des Giftes an dem Apfel entdeckt. Mit einer verzweifelten Tat endete das Leben des wichtigsten Theoretikers der Computerwissenschaft, der im Zweiten Weltkrieg die Nazi-Chiffriermaschine „Enigma" entschlüsselte. Dass er aus seiner Homosexualität kein Hehl machte, wurde Turing im puritanischen England zum Verhängnis. Am Samstag wäre er hundert Jahre alt geworden.

Bücher zur Quantenmechanik
Der am 23. Juni 1912 in London geborene Turing schmökert schon als Teenager in Einsteins Relativitätstheorie und Büchern zur Quantenmechanik. Er ist ein Einzelgänger: Eine 1923 von der Mutter gezeichnete Skizze zeigt einen kleinen Jungen mit Hockeyschläger in der Hand, der lieber den Blumen beim Wachsen zuschaut, als mit Freunden zu spielen.

Im Alter von nur 24 Jahren entwirft der eigenwillige Forscher nach dem Studium in Cambridge und Princeton in einem Aufsatz das Konzept der Turing-Maschine und damit die Grundlage für die Entwicklung von Computern. Er beschreibt das abstrakte Modell eines Rechners, der mit nur drei Operationen - Lesen, Schreiben und dem Bewegen des Lesekopfes - sämtliche berechenbare Probleme lösen kann. „Das Modell ist heute immer noch die Grundlage jedes Informatik-Lehrbuchs", sagt der Mathematiker Günter M. Ziegler von der Freien Universität Berlin.

Führender Kopf der Codeknacker
Im Zweiten Weltkrieg wird der britische Geheimdienst auf Turing aufmerksam: Im abgeschiedenen Bletchley Park bei London wird der Mathematiker zum führenden Kopf der Codeknacker, denen es gelingt, „Enigma" zu überlisten. Die mechanische Chiffriermaschine der Deutschen mit ihren - je nach Modell - mehr als 200 Trilliarden Verschlüsselungsmöglichkeiten gilt bis dahin als unüberwindbar.

Turing und seine Kollegen suchen gezielt nach Schwachstellen und versuchen den Code zu verstehen, indem sie nach gängigen Formulierungen wie „Oberkommando der Wehrmacht" oder „Heil Hitler" fahnden. Mit dem Computerschrank „Colossus" können ab 1943 Nachrichten über deutsche Manöverbewegungen binnen Minuten entschlüsselt werden - ein kriegsentscheidender Beitrag.
Von Turings Erkenntnissen profitiert bis heute die Kryptographie, etwa wenn es um Sicherheitskonzepte für Online-Banking geht. „Wissenschaftlich war Turing unbestritten ein Gigant", sagt Ziegler.

Weit voraus
Ob künstliche Intelligenz, Sprachverschlüsselung oder Mustererkennung in der Natur - seine Arbeiten dazu „waren weit außerhalb des Bereiches, den die Wissenschaft bis dahin entdeckt und abgegrast hatte".

Als Anfang 1952 bei Turing eingebrochen wird, outet ein Verdächtiger den Forscher als homosexuell. Dieser bekennt sich vor der Polizei zu seiner - gesetzlich verbotenen - Neigung. „Turing war ziemlich offen, was sein Schwulsein anging. Er war auch in dieser Hinsicht seiner Zeit voraus", sagt sein Biograph Andrew Hodges einmal in einem Interview. Um nicht ins Gefängnis zu müssen, stimmt Turing einer Östrogen-Therapie zu, die seine Libido lahmlegen soll. Als Resultat nimmt er stark zu, dem passionierten Marathon-Läufer wachsen sogar Brüste.

Ende der Geheimforschungen
Der zum Sicherheitsrisiko gewordene Forscher muss seine geheimen Computerforschungen aufgeben. Er verfällt in Depression, zwei Jahre später ist er tot. Erst 2009 räumt der damalige britische Premier Gordon Brown offiziell ein, Turing sei „absolut unfair" behandelt worden. Die Arbeiten über „Enigma" bleiben jahrzehntelang unter Verschluss, zwei Aufsätze Turings wurden erst im April diesen Jahres veröffentlicht.

Von Homosexuellen wird Turing heute als Held verehrt. Pünktlich zu seinem Geburtstag steht am Samstag auch der Berliner Christopher Street Day unter dem Motto „Wissen schafft Akzeptanz". Auf dem Turing gewidmeten Wagen der britischen Botschaft will auch Ziegler mitfahren: „Bei einer halben Million Besuchern wird das wohl die größte Geburtstagsfeier aller Zeiten für einen Mathematiker."

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