Energiewende: Mehr Flexibilität statt Blackout-Gefahr
Die Vorstellung eines Blackout, also eines großflächigen, lang andauernden Stromausfalls, ist beunruhigend. Die Aussicht darauf, über Tage im eigenen Zuhause campieren zu müssen, veranlasst viele Menschen, sich mit Wasservorräten, Konservennahrung, Kurbelradios und anderen Dingen für den Ernstfall einzudecken. Man könnte vermuten, dass die Energiewende ein Faktor ist, der Unsicherheit im Stromnetz bringt. Schließlich werden viele kurzfristig regelbare Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke ausgemustert und eine Vielzahl großer und kleiner Wind-, Solar- und Wasserkraftwerke an das Netz angeschlossen, deren Stromproduktion fluktuiert.
Mehr Eingriffe notwendig
"Es ist eine herausfordernde Zeit. Mit der Komplexität des energiewirtschaftlichen Gesamtsystems hat sich die Notwendigkeit von Eingriffen extrem erhöht", meint Christoph Schuh von Austrian Power Grid (APG). Der heimische Übertragungsnetzbetreiber muss immer häufiger eingreifen, um Angebot und Nachfrage auszubalancieren, also etwa Kraftwerke zuzuschalten.
Dieses "Redispatching" ist notwendig, um die Stromfrequenz nahe ihrem Idealwert von 50 Hertz zu halten. Treten lokal gröbere Abweichungen von diesem Wert auf, kann sich das in einer Kaskade auf weitere Teile des gesamteuropäischen Stromnetzes auswirken. Ein Teil nach dem anderen schaltet aus Schutz vor Überlastung ab. Ein Blackout droht. Zuletzt war es am 8. Jänner 2021 soweit. Bei dem damaligen Vorfall wurde Gefahrenstufe 2 von 3 erreicht, der Blackout wurde aber dank einer raschen Reaktion abgewehrt.
Kein Anstieg durch Energiewende
"Solche Vorfälle zeigen, dass die Zusammenarbeit innerhalb Europas funktioniert", sagt Helfried Brunner vom Austrian Institute of Technology (AIT). "Tausende Menschen arbeiten in Europa 24 Stunden am Tag daran, dass es nicht zu Blackouts kommt und die reibungslose Stromversorgung funktioniert." Durch die Energiewende sei die Anzahl kritischer Vorfälle nicht gestiegen. Wenn es zu einem Vorfall komme, gelange es aber stärker in die öffentliche Wahrnehmung. "Früher haben größere Einheiten das System stabil gehalten, diese Funktionalitäten werden nun aber auch von kleineren Einheiten übernommen", erklärt Brunner. Bei Solar- oder Windparks könne man die Leistung einfach zurückregeln, nur spontan mehr Strom damit zu erzeugen sei unmöglich. Dafür könne man Stromverbraucher in die Pflicht nehmen, mit denen vereinbart ist, dass sie im Notfall auf einen Teil der Stromzufuhr verzichten.
Netzausbau notwendig
Ein großes Problem im Stromnetz der Energiewende sei laut Christoph Schuh, dass es große Versäumnisse beim Ausbau der Übertragungskapazitäten gebe. "Die Hochspannungsleitung in Salzburg kommt etwa 10 Jahre zu spät. Das verursacht 10 Millionen Euro an Kosten monatlich, weil wir die Kapazitäten in der Strominfrastruktur nicht haben, um Erfordernisse auch ohne Eingriffe managen zu können." Es bedarf einer Gesamtsystemplanung, die den Ausbau von Netzen und die Schaffung von mehr Flexibilität beinhaltet.
Neue Speichermöglichkeiten
Flexibilität erreicht man unter anderem durch den Ausbau von Speichern. Pumpspeicherkraftwerke seien ideal, weil sie sowohl überschüssigen Strom speichern, als auch sofort wieder abrufen können, sagt Brunner. Zukünftig gelte es, weitere Speichertechnologien zur Verfügung zu haben, etwa in Form von Batterien oder der Umwandlung von Strom in Wasserstoff und umgekehrt. "Das Ganze wird langfristig bis zum Heimspeicher im Haus gehen oder zum Elektroauto mit bidirektionaler Ladefähigkeit." Sollte kurzfristig ein Angebotsmangel im Strom herrschen, könnten aus einer Vielzahl kleiner Speicher minimale Mengen entnommen werden, um Stabilität zu schaffen.
Ausfälle durch Extremwetterereignisse
In den kommenden Jahren könnte es laut Schuh wegen extremer regionaler Wetterereignisse häufiger zu ungeplanten, lokalen Stromausfällen kommen, etwa durch Hochwasser, Stürme oder Lawinen in alpinen Regionen, sagt Schuh. Grund dafür sei der Klimawandel, zu dessen Einbremsung die rasche, sichere Umsetzung der Energiewende beitragen soll. Auch Brunner betont, dass erneuerbare Energien nicht das Problem für die Stabilität des Stromnetzes seien, sondern ein Teil der Lösung.
Schnell wieder im Einsatz
Generell sei die Stromversorgung in Österreich laut beiden Experten sehr sicher. Sollte es dennoch einmal zu einem Blackout kommen, zeigen Simulationen dass das Stromnetz innerhalb weniger Stunden bis maximal einem Tag wieder hochgefahren werden könnte. Österreich sei hier in der glücklichen Lage, über Pumpspeicherkraftwerke zu verfügen, die "schwarzstartfähig" sind. Sie können also ohne externe Energiezufuhr mit der Stromproduktion beginnen und auch dem Rest des europäischen Stromnetzes wieder auf die Beine helfen.
Warum es manchmal kritisch wird
In den vergangenen Jahren ist es vereinzelt zu Vorfällen gekommen, die die Stabilität des europäischen Stromnetzes ernsthaft gefährdet haben. Vielen Menschen noch in Erinnerung ist der 8. Jänner 2021. Damals wurde extrem viel Strom vom Südosten Europas Richtung Nordwesten übertragen. Ein Element im Umspannwerk Ernestinovo in Kroatien war überlastet und schaltete sich automatisch ab. Der Strom suchte sich einen alternativen Weg und überlastete damit auch Infrastruktur in umliegenden Ländern, was zu einem großen Ungleichgewicht zwischen den Teilen Europas sorgte. Das Netz wurde in zwei Teile gespalten (siehe Grafik unten).
Im Sommer 2021 kam es zu einem ähnlichen Ungleichgewicht, als ein Waldbrand eine Hochspannungsleitung zwischen Frankreich und Spanien beschädigte. Damals wurde die gesamte iberische Halbinsel kurzfristig vom Rest des europäischen Netzes getrennt. Im deutschen Münsterland kam es 2005 zu einem tagelangen Blackout wegen ungewöhnlich starken Schneefalls.
Ein Jahr später, im November 2006, kam es in weiten Teilen Europas zu Stromausfällen, weil ein neues Kreuzfahrtschiff aus einer Werft in Norddeutschland gebracht wurde. Dafür wurde eine Hochspannungsleitung abgeschaltet, alternative Leitungskapazitäten aber nicht angepasst. Menschliches Versagen ist auch oft der Grund für kleinere Stromausfälle. Der Klassiker: Ein Bagger, der ein Kabel durchtrennt.