Entscheidung rund um Nadelöhr in Österreichs Stromnetz
Österreichs Hochspannungsnetz ist in den vergangenen Jahren laut Betreiber Austrian Power Grid in eine angespannte Lage geraten. Der Stromverbrauch steigt, der internationale Strommarkt wird immer belebter und der Anteil erneuerbarer Energiequellen steigt. Strom muss über immer weitere Strecken transportiert werden, um den Bedarf im In- und Ausland zu decken. Außerdem steigt der Regelbedarf, um die Stromfrequenz von 50 Hertz möglichst konstant einzuhalten. Das Stromnetz stößt dabei immer häufiger an seine Kapazitätsgrenzen. Einen besonderen Problemfall stellt dabei eine Art Nadelöhr zwischen dem Westen und dem Osten Österreichs dar.
Lücke schließen
In beiden Landeshälften gibt es bereits gut ausgebaute Netzwerke von 380-Kilovolt-Leitungen. Das sind die Leitungen mit dem aktuell größten Transportvermögen. Zwischen dem Osten und dem Westen läuft die Verbindung allerdings über schwächere 220-Kilovolt-Leitungen. Die Lücke verhindert die Übertragung größerer Strommengen, die aus mehreren Gründen notwendig wäre. Austrian Power Grid will sie schließen. In Salzburg soll eine bestehende 220-kV-Leitung durch eine neue 380-kV-Leitung ersetzt werden. Der Stromnetzbetreiber hält dieses "Upgrade" für unbedingt notwendig. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) entscheidet in den nächsten Tagen darüber, ob gebaut werden darf oder nicht.
Genauer gesagt, soll eine 128 Kilometer lange Trasse mit Hochspannungsmasten entstehen, die vom Netzknoten St. Peter in Oberösterreich bis zum Netzknoten Tauern in Salzburg führt. Die bereits bestehende 192 Kilometer lange Trasse der 220-kV-Leitung würde abgerissen werden. Das Projekt hat mehrere Gegner, darunter etwa drei Gemeinden, die die neue Trassenführung ablehnen. Die Interessensgemeinschaft IG Erdkabel verlangt, die Trasse unterirdisch zu verlegen.
Dringender Bedarf
Austrian Power Grid (APG) sitzt unterdessen sprichwörtlich auf Nadeln. Das Genehmigungsverfahren für die neue Hochspannungsleitung dauert bereits mehr als vier Jahre. Geplant wurde das Projekt vor noch längerer Zeit. Die Notwendigkeit, das Nadelöhr Salzburg zu schließen, ist in der Zwischenzeit laut dem Betreiber immer dringender geworden. Grundsätzlich liege das an einer Diskrepanz zwischen Handel und Physik, erklärt APG bei einem Hintergrundgespräch mit der futurezone. Während Strom am Markt frei gehandelt wird, kann das heimische Netz Lieferungen nur mit kostspieligen Hilfsmaßnahmen erfüllen.
In Deutschland wird derzeit etwa viel Strom aus Windkraft angeboten, der dank Förderungen relativ günstig ist. Dieser Strom wird unter anderem von Ländern wie Ungarn und Slowenien importiert. Das Transitland Österreich hat jedoch nicht die Kapazität, die angeforderte Strommenge zu übertragen und muss daher die Liefermenge beschränken.
West-Ost-Verschiebung
Im Inland wiederum steigt der Anteil an Ökostrom. Fluss-, Wind- und Solarkraftwerke sind vor allem im Osten Österreichs angesiedelt. Je nach Jahreszeit und Wetter liefern sie mal mehr, mal weniger Strom. Ist es mal mehr, könnte der Strom theoretisch an Pumpspeicherkraftwerke im Westen Österreichs geliefert werden, die Wasser in hochgelegene Speicherbecken pumpen, um es bei Stromknappheit aus der Höhe auf Turbinen abzulassen. Durch fehlende Kapazitäten im Stromnetz können die Überschüsse jedoch derzeit nicht in vollem Umfang transportiert werden.
Im umgekehrten Fall können Stromengpässe im Osten nicht vollständig durch Strom aus Pumpspeicherkraftwerken im Westen gedeckt werden. Stattdessen werden mit hohem finanziellen Aufwand thermische Kraftwerke angeworfen - was wiederum nicht zur anvisierten Energiewende, also der vermehrten Deckung des Bedarfs aus erneuerbaren Energiequellen, passt. Für die Betreiber von thermischen Kraftwerken rentiert sich der Betrieb kaum, weil Preise für Treibstoff hoch und Einkünfte aus dem Stromverkauf niedrig sind. Der durch Förderungen günstige Ökostrom ist dafür mitverantwortlich. APG muss daher Betreiber thermischer Kraftwerke durch Sonderverträge "bei Laune halten". Der Strombedarf im Osten könnte ansonsten kaum gedeckt werden, wenn die Ökostrom-Erzeugung temporär nachlässt.
Netzausbau und Ökostrom
Ökostrom an sich sei allerdings absolut nicht das Problem, betont APG. Der Hochspannungsnetz-Betreiber befürwortet die Verwendung erneuerbarer Energiequellen, plädiert aber für einen raschen Ausbau der Infrastruktur, um den erhöhten Regelbedarf erfüllen zu können. Solar-, Wind- und Wasserkraft sorgen im Netz für massive Leistungsschwankungen, die ausgeglichen werden müssen. Durch immer rascheren Zukauf und Verkauf von Strom, sowie durch Produktionsanpassungen muss sichergestellt werden, dass die Stromfrequenz von 50 Hertz eingehalten wird. Sämtliche Geräte, die mit Netzstrom arbeiten, sind davon abhängig.
Erneuerbare Energiequellen müssen deshalb synchron mit dem Stromnetz ausgebaut werden, fordert APG. Das Unternehmen hat einen umfassenden, milliardenschweren Netzentwicklungsplan. Alleine das Projekt in Salzburg soll zwischen 600 und 700 Millionen Euro kosten. Gibt der VwGH seine Freigabe, könnte die neue Hochspannungsleitung bis 2023 fertiggestellt sein. Entlastung für das Stromnetz könnte in Zukunft aber neben dem Ausbau der Transportkapazitäten auch die Flexibilisierung von Endkunden bringen. Smart Meter sollen Verbraucher etwa motivieren, Strom dann zu verbrauchen, wenn am meisten davon vorhanden ist. Hoffnungen von APG liegen auch auf Elektroautos. Sie könnten in Zukunft vermehrt als Speicher dem gesamten Stromnetz zugutekommen.