"Gesellschaft entscheidet, wie smart der Alltag sein soll"
In einigen Teilen der Gesellschaft sei die Cloud bereits heute ein unverzichtbarer Teil des beruflichen und privaten Alltags, die Allgemeinheit sei davon aber noch weit entfernt, sagte der Zukunftsforscher Andreas Reiter, der beim Cloud Competence Day von T-Mobile am Donnerstag in Wien über das Leben in der Cloud sprach. Das werde aber nicht so bleiben. "Das mobile Standby-Verhalten, der Wunsch, von überall Zugriff auf die eigenen Daten zu haben, wird sich extrem weiterentwickeln. Partizipative Netzwerke werden Einfluss auf alle Bereiche des Alltags haben, von neuen Modellen in der Ökonomie bis hin zur Politik", sagt Reiter zur futurezone.
Staatsgarantie gefordert
Bedenken was Sicherheit und Datenschutz angeht, hält Reiter keineswegs für unlösbar. "Die Technologie ist der Gesellschaft immer einen Schritt voraus. Hier ist die Politik gefordert, eine demokratisch abgesicherte, kollektive Lösung anzubieten, die so sicher wie möglich gestaltet werden muss." Dass auch Staatsorgane im Lichte der Enthüllungen der Internet-Überwachung durch die Geheimdienste nicht besonders vertrauenswürdig wirken, sieht der Zukunftsforscher ein. "Es muss eine politische Lösung geben. Einzelne Unternehmen können hier nichts erreichen. Die Bürger müssen Staaten zwingen, sich an die Spielregeln zu halten."
Sicherheit werde laut dem Forscher immer ein offenes Thema bleiben, müsse aber so weit in den Griff bekommen werden, dass User vertrauen haben können. "Nur dann können Unternehmen das Innovationsmöglichkeiten der entstehenden Netzwerke nützen. Die Balance zwischen Sicherheit und Ausschöpfen des Potenzials ist entscheidend", so Reiter.
Fragmentierte Politik
Vor allem Entwicklungen im Bereich der Machine-to-Machine-Kommunikation sollen den Trend zur Vernetzung weiter verstärken. "Hier stehen wir noch am Anfang. Konzepte wie Smart-City oder Smart-Grid werden hier für große Sprünge sorgen", erklärt Reiter. Durch die stärkere Vernetzung und die Auwslagerung von immer mehr Informationen in die Wolke soll sich auch die Struktur der Gesellschaft ändern. "Gesellschaft und Organisationen werden immer dezentraler und unabhängiger organisiert sein. Während die Individualisierung voranschreitet, nimmt aber eben auch die Vernetzung zu, was viele neue Möglichkeiten schafft", so Reiter.
Einige Spuren dieser Veränderungen glaubt der Zukunftsforscher bereits zu erkennen. "Die Fragmentierung auf den parteipolitischen Landkarten Europas ist ein Zeichen dafür. Die großen Volksparteien verlieren an Bedeutung und verschiedene Kleinparteien erscheinen und vergehen. Es entsteht in der Gesellschaft langsam eine Netzwerkstruktur", betont Reiter.
Warten auf Cyborgs
Für die zunehmende Vernetzung und die wachsende Datenflut in der Cloud gibt es aber auch Grenzen. "Am Ende entscheidet immer die Gesellschaft, wie smart die Umgebung werden soll. Das ist eine philosophisches Problem. Bequemlichkeit und Mehrwert sind zwar starke Triebkräfte, es gibt aber immer Punkte, die vielen Menschen Unbehagen bereiten", sagt der Zukunftsforscher. Das sei auch ein Grund dafür, warum sich intelligente Kühlschränke und selbstfahrende Autos nicht ohne weiteres durchsetzen werden.
Die Grenzen verschieben sich aber. "Ich kenne schon länger einen Club in Barcelona, dessen Mitglieder sich einen Zugangschip unter die Haut implantieren lassen. Die Elektronik rückt derzeit auch in der breiten Masse immer näher an den Körper. Wenn die Hemmschwelle weiter sinkt, könnte dieser evolutionäre Prozess irgendwann bei Cyborgs enden", so Reiter.
Henne und Ei
Die Entwicklungsprozesse in der Technologie und der Gesellschaft befruchten sich laut Reiter gegenseitig. "Die Strukturen der entstehenden Cloud-Welt und der Gesellschaft von morgen ähneln sich nicht zufällig. Es handelt sich um ein Henne-Ei-Problem, es ist nicht zu sagen, wo der Wandel begonnen hat", fasst Reiter zusammen. "Große Veränderungen brauchen Zeit."