Headspace: "Meditieren ist heute niemandem mehr peinlich"
Meditations-Apps sind längst ein Massenphänomen. Mit Meditationsanleitungen und kurzen Videos sollen die Anwendungen ihren Nutzern dabei helfen, Stress und Ängste abzubauen und besser zu schlafen. Blaupause dafür ist das Konzept der Mindfulness oder Achtsamkeit, das seinen Ursprung in der buddhistischen Lehre hat, aber seit den 1970er Jahren auch in der Psychotherapie zum Einsatz kommt.
Marktführer bei Meditations-Apps ist das 2012 gegründete britisch-amerikanische Start-up Headspace, das weltweit mehr als 25 Milliionen Nutzer zählt. Ein Einführungskurs kann bei Headspace kostenlos genutzt werden. Wer auf Spezialpakete zugreifen will, muss rund zehn Euro monatlich oder 72 Euro pro Jahr bezahlen. Megan Jones Bell, die die Wissenschaftsabteilung bei Headspace leitet, war Ende Mai in Wien beim Pioneers Festival zu Gast. Die futurezone hat mir ihr über den Hype um die Achtsamkeit, Überstimulation durch Technologie und glückliche Fabrikarbeiter gesprochen.
futurezone: Meditations-Apps wie Headspace boomen. Warum?
Megan Jones Bell: Weil wir sie brauchen. Wir schauen die meiste Zeit auf Bildschirme und sind ständiger Stimulation ausgesetzt. Unsere Umwelt ist von Technologie durchdrungen. Wir beschäftigen uns mit allen möglichen Dingen, wir sind aber nicht präsent. Es besteht ein großer Bedarf danach, wieder zu lernen, im Moment zu leben.
Warum sollte ausgerechnet das
Smartphone, das an der Überstimulation nicht ganz unbeteiligt ist, uns dabei helfen, bewusster zu leben?
Die Leute hängen an ihren Smartphones und daran wird sich auch nichts ändern. Wir müssen also unser Verhältnis zu der Technologie verändern. Genauso wie wir gelernt haben, dass wir, wenn uns im Zug oder in der U-Bahn langweilig ist, Social-Media-Apps, den Kalendar oder E-Mails aufrufen, können wir lernen, uns einen Moment Zeit zu nehmen und zu meditieren.
Was bringt das?
Meditieren hat positive Auswirkungen auf uns und auf unsere Umwelt. Forschungen zeigen, dass man mit Meditation Ängste, Depressionen und Stress verringern und abmildern kann. Meditieren macht glücklicher, hilft uns dabei, uns zu konzentrieren und besser zu schlafen. Wir entwickeln auch mehr Mitgefühl für andere und werden weniger aggressiv und weniger reizbar.
Ist die Ablenkung durch Technologie auch der Grund, warum Achtsamkeit in der Technologiebranche und im
Silicon Valley so populär ist?
Im Silicon Valley ist man immer am nächsten großen Ding interessiert. Viele Firmen von dort zählen zu unseren Kunden. Das Tempo hat sich im Silicon Valley dramatisch verändert. Ich bin in Palo Alto aufgewachsen. Was heute dort passiert ist verrückt. Viele Leute durchleben physische Krisen, sie haben also einen erhöhten Bedarf - und natürlich wollen sie auch immer neue Apps ausprobieren.
Es gibt heute so etwas wie eine Glücksindustrie. Warum suchen so viele Leute professionelle Hilfe, um glücklich zu werden?
Es gibt Statistiken, wonach einer von fünf Menschen unter psychischen Störungen leidet. Das ist ein großes Problem. Man tut sich heute immer noch schwer, zu sagen, ich brauche eine Therapie. Wenn ich aber sage, ich suche nach Möglichkeiten, um glücklicher zu werden, dann ist das nicht mit einem Stigma behaftet. Apps wie Headspace sind zugänglich und bieten einfach und unkompliziert Hilfe. Meditieren ist heute auch niemanden mehr peinlich. Das war nicht immer so. Es hat auch einen Kulturwandel gegeben.
Wenn ich eine Depression habe, reicht es vermutlich nicht, zu meditieren.
Ganz sicher nicht. Meditieren ist nicht das Einzige, was sie tun sollten, um ihre Gesundheit zu verbessern. Das würden wir auch niemals behaupten. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass Angebote, die leicht zugänglich sind, eher ausprobiert werden. Betroffene sind danach auch eher bereit, professionelle Hilfe zu suchen. Headspace ist ein guter erster Schritt für viele Leute und ein wertvoller Begleiter für weitere Maßnahmen.
Im Zusammenhang mit Meditations-Apps ist immer wieder das Wort "McMindfulness" zu hören. Ärgert Sie der Vergleich mit McDonalds?
Wir versuchen Leute zu erreichen, die sonst nicht meditieren würden. Unsere App ist so gestaltet, dass sie auch von Leuten, die nicht Mönch werden wollen, genutzt werden kann. Sie wollen besser schlafen, sich weniger gestresst und glücklicher fühlen. Davon abgesehen sind wir sehr vorsichtig, was wir über unsere Produkte behaupten. Wir haben ein siebenköpfiges Team aus Wissenschaftlern und arbeiten mit akademischen Institutionen aus aller Welt zusammen. Wenn wir etwas behaupten, dann können wir es auch belegen.
Sie bieten in ihrer App viele thematische Meditationen an, etwa zur Reduktion von Ängsten und Stress oder Meditationen für die Fahrt zur Arbeit. Welche Themen kommen bei Ihren Nutzern besonders gut an?
Die populärsten Themenpakete sind Angst, Stress und Schlaf, aber auch Selbstachtung und Glück. Vor kurzem haben wir ein Themenpaket veröffentlicht, das Leuten, die trauern unterstützen soll. Das ist erstaunlich gut angekommen.
Gibt es in der Nutzung der App Unterschiede zwischen Altersgruppen oder Geschlechtern?
Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist ziemlich ausgeglichen. Das ist auch für mich überraschend, weil Übungen zu mentalem Wohlergehen üblicherweise eher mit Frauen in Zusammenhang gebracht werden. Auch bei den Altersgruppen gibt es kaum Unterschiede. Wir haben auch viele Eltern, die Headspace gemeinsam mit ihren Kindern nutzen.
Sie sind auch bei Firmenkunden sehr erfolgreich. In welchen Branchen wird Headspace genutzt?
Das ist sehr unterschiedlich. Neben Unternehmen wie Linkedin, Google oder Apple zählen wir etwa auch einige der größten Firmen aus der Finanzbranche oder Automobilhersteller zu unseren Kunden. Unsere App findet sich eigentlich in allen Branchen. Häufig auch im produzierenden Gewerbe. Sie haben festgestellt, dass Mitarbeiter am Fließband fokussierter arbeiten und erwarten sich einen Rückgang bei Fehlern und gleichzeitig eine Verbesserung der Sicherheit und der Produktivität.
Bislang gibt es ihre App nur in englischer Sprache. Planen Sie auch andere Sprachversionen?
In unseren größten Märkten wird Headspace mehr genutzt als jede lokale Meditations-App. Wir sehen ganz klar den Bedarf für eine lokale Version unserer App und prüfen das gerade.
Welche Apps nutzen Sie eigentlich?
Kalendar, E-Mail und Headspace. Davon abgesehen will ich mein Telefon nicht benutzen. Ich habe einen kleinen Sohn und das Letzte was ich tun will, ist auf mein Smartphone zu starren, während ich mit ihm zusammen bin. Das gilt auch für mein Team bei der Arbeit. Ich bin also ziemlich App-frei.