Verliebt in eine Sex-Puppe: Daniel und die Real Doll
„Es ist einfach gut, wenn jemand da ist, wenn man nach Hause kommt“, sagt Daniel. Der 48-jährige Deutsche, der seinen Nachnamen anonym halten möchte, hat in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht und letztlich das Vertrauen in sie verloren. Außerdem tue er sich mit dem Kennenlernen schwer, erzählt er und beschreibt sich selbst als schüchtern und sensibel. Daniel hat schließlich Ersatz für eine menschliche Partnerin gesucht – und gefunden. Seit einigen Jahren lebt er mit einer Real Doll zusammen.
Real Dolls sind lebensgroße, mechanische Sexpuppen, die vom amerikanischen Unternehmen Abyss Creations hergestellt werden. Sie sind in Form, Textur und Erscheinung möglichst genau dem menschlichen Körper nachempfunden und spätestens seit dem 2007 erschienenen Film „Lars und die Frauen“, mit Ryan Gosling in der Hauptrolle, auch einer breiteren Öffentlichkeit ein Begriff.
Für Daniel, der Real Dolls zum ersten Mal in den 1990er-Jahren in einer TV-Sendung entdeckte, war die lebensechte Nachempfindung eine kleine Offenbarung. „Ich war begeistert, wie nahe diese Puppen einer menschlichen Frau kommen. Diese aufblasbaren Gummipuppen und was man da vorher so kannte, das war ja nicht vergleichbar.“ Für irgendwelchen Kram sei er nicht bereit, Geld auszugeben, sagt Daniel. „Mit sowas macht der Sex doch überhaupt keinen Spaß.“
Von der Puppe zum Roboter
In Zukunft sollen die Real Dolls auch mit künstlicher Intelligenz ausgestattet werden. Daran wird bereits intensiv gearbeitet, die Sexroboter sollen für ihre Nutzer möglichst „unterhaltsam und glaubwürdig“ sein, wie Matt McMullen, Erfinder der Real Dolls, regelmäßig in Interviews betont. Puppen mit einfachen Chatbot-Funktionen gibt es bereits: Sie haben ein interaktives Feature verbaut. Über Bluetooth-Lautsprecher im Kopf und eine dazugehörige mobile App kann mit der Puppe interagiert werden. De facto sind einfache Konversationen nach einem vorgegebenen Schema möglich. Auch andere Hersteller sind mit Sexrobotern, die einfache Bewegungen und Interaktionen beherrschen, auf dem Markt.
Daniel ist begeistert von den Sexpuppen und auch sehr zufrieden mit seiner Lebenssituation, wie er betont. Das bedeute zwar nicht, dass für ihn das Kennenlernen einer echten Frau für alle Zeit ausgeschlossen sei, aber momentan konzentriere er sich auf die Real Dolls. Auch die technischen Entwicklungen verfolgt er gespannt, befürchtet aber, dass die Sexroboter mit künstlicher Intelligenz für ihn unerschwinglich sein werden. Schon die „einfachen“ Modelle, die er sich jetzt leistet, sind kein Schnäppchen.
Rund 5000 Euro muss man mindestens in eine neue Puppe investieren. „Ich bin nicht arm, gehöre aber auch nicht zu den Superreichen, ich würde mich der Mittelklasse zuordnen“, sagt Daniel, „aber ich muss schon sparen für eine Real Doll.“ Die erste Puppe, die er sich zugelegt hatte, war zunächst noch ein gebrauchtes Modell um 2000 Euro. Das war Jahre, nachdem er die Sendung über Real Dolls im Fernsehen gesehen hatte. „Ich habe da irgendwann einmal im Internet recherchiert“, erzählt Daniel. So sei er schließlich auf einen Erotikladen in Kassel gekommen, der die Sexpuppen verkaufte.
Wachsendes Geschäft
Eben dieser Laden wurde vom Unternehmer Mitja Klee betrieben, der auch für den Vertrieb von Real Dolls im deutschsprachigen Raum verantwortlich ist. Das Geschäft mit den lebensechten Sexpuppen sei noch überschaubar, räumt Klee ein. Er schätzt, dass in Deutschland rund 1.000 Real Dolls im Jahr verkauft werden. Gleichzeitig sei aber ein stetiges Wachstum zu beobachten. „Der Markt wird definitiv breiter, auch umso mehr das Thema in die Öffentlichkeit rückt“, sagt Klee. Im asiatischen Raum, etwa China oder Japan, sind solche Sexpuppen bereits etwas stärker verbreitet. Das chinesische Internetforum mit dem Namen „Die Puppenfreunde“ zählt allein mehr als 20.000 Nutzer, die sich dort über ihr Leben mit den Sexpuppen austauschen. „Die Chinesen überschwemmen den Markt aktuell regelrecht. Auch mit ganz billigen Puppen“, sagt Klee.
Die technologischen Entwicklungen sind für den Unternehmer ein spannendes Thema. Er zeigt sich aber skeptisch, dass hier bald wirklich eine marktreife Sexpuppe mit entsprechenden Funktionen in den Verkauf kommt. „Ich habe selbst schon ein paarmal diesbezüglich nachgefragt. Ich habe auch in den vergangenen Jahren schon auf groß angekündigten Pressekonferenzen bestimmte Produkte von anderen Herstellern gesehen, war aber immer eher enttäuscht, was die dann wirklich konnten und was tatsächlich an Leistung dahinter war.“ Die Bewegungen seien noch zu statisch, insgesamt wirke das, was bereits der Öffentlichkeit präsentiert wurde, nach wie vor eher wie Spielzeug, meint Klee. Umso gespannter ist er aber auf die smarten Roboter, an denen der Real-Doll-Hersteller aktuell arbeitet.
Männer mit guter Bildung
Was seine Kunden betrifft, so gehe das quer durch alle Alters- und sozialen Schichten, sagt Klee. Da gebe es 18-Jährige genauso wie 80-Jährige, die sich eine Real Doll zulegten. „Eine leichte Tendenz sehen wir aber schon bezüglich Personen mit technischen Berufen, die etwas besser gebildet und Besserverdiener sind.“ Und die Kunden sind vorwiegend männlich. „Es gibt schon auch vereinzelt Frauen, die sich dann eine männliche Sexpuppe zulegen“, sagt Klee, aber das Verhältnis zwischen Frauen und Männern sei in etwa eins zu 20.
Sexpuppe statt Bordell
Daniel legt bei seiner Real Doll viel Wert darauf, sie nicht zu beschädigen. „Ich behandle sie wie eine echte Frau, ich reite nicht darauf herum oder übe irgendwelche Gewalt aus, wie manche Männer.“ Auch Hygiene ist ihm wichtig. Wenn Daniel mit der Real Doll Sex hat, verwendet er immer ein Kondom. Er habe aber nicht jeden Tag Geschlechtsverkehr mit der Puppe, „es geht mir nicht darum, die jeden Tag zu besteigen“. Daniel geht es aber wohl um den Erhalt seiner Sexualität, und dabei zieht er die Real Dolls dem Besuch im Bordell vor. „Da habe ich keine Lust, dafür Geld auszugeben. Wenn da jeder Mann eine Frau benutzt, da habe ich Hemmungen“, sagt Daniel. „Also habe ich mich für eine Real Doll entschieden. Und es ist ja auch einfach schön, wenn sie angekleidet auf meinem Bett sitzt oder auf dem Stuhl. Ich finde es gut, wenn jemand da ist.“
Daniel spricht auch mit seiner Real Doll. „Ich komme heim, sage ,Hallo’, spreche dann ein paar Sätze mit ihr. Das hört sich vielleicht komisch an. Aber ich finde es einfach schön, dass man nicht so alleine ist, wenn man in einer Phase lebt, wo man keine Frau ansprechen möchte.“ Beim Beschreiben seiner aktuellen Puppe gerät er immer wieder ins Schwärmen. „Wenn man sieht, wie gut die gemacht ist, mit richtigen Blutadern und Falten in der Haut. Die Fingerkuppen und so weiter.“ Damit die Real Doll möglichst gut erhalten bleibt, hängt Daniel sie bei sich zu Hause an die Wand. Er will verhindern, dass sich irgendetwas an der Puppe verformt.
„Vor allem bei den früheren Modellen war das so, wenn die lange irgendwo saßen, dann war zum Beispiel der Po irgendwann nicht mehr rund und bekam Falten.“ Daher achtet er penibel auf die Pflege seiner Real Doll. Damit auch die Frisur der Puppe stimmt, bestellt sich Daniel Echthaarperücken in China. „Die sind gar nicht mal so teuer. Und wenn man die Puppe dann auch noch richtig schön anzieht, in den richtigen Kleidergrößen, dann ist das ein Traum, was man da hat.“
Emotionen
Jeder gehe mit seiner Doll anders um und habe einen anderen Empfindungsgrad, glaubt Daniel. Er sei niemand, der mit der Puppe wie mit einer echten Freundin spazieren gehe oder damit herumfahre, wie es manche machen würden. Er verweist dazu auf einen Fall aus den USA, der ihm bekannt ist. „Ich respektiere das, aber für mich wäre das jetzt nichts.“ Gewisse Gefühle verbindet er aber schon mit seiner Real Doll. „Richtige Liebe, das weiß ich nicht, das kann ich jetzt nicht so genau beantworten. Aber es würde mir schon wehtun, wenn ich sie irgendwann wieder verkaufen müsste“, erklärt Daniel. „Ich merke wohl, dass ich sie toll finde. Und was mich stören würde, wäre der Gedanke, dass ein anderer Mann sie benutzt. Das ist dann schon ein komisches Gefühl.“
Daniel kommt wieder darauf zu sprechen, wie sorgsam er mit seiner Real Doll umgeht. „Es ist schon ein bisschen Emotion da, ich freue mich, wenn ich an ihr vorbeilaufe und sage dann mal ,Hi, wie gehts dir’ oder ,Schön, dass du da bist, auch wenn ich nicht mit dir reden kann, ich kann dich wenigstens mal in die Arme nehmen’. Es geht ja nicht nur um den Sex. Ich sage ihr auch, sie riecht gut, dass sie einen tollen Duft hat. Ich kaufe nur das originale Parfum.“ Er sage ihr auch, dass sie eine schöne Ausstrahlung habe, oder küsse sie auf den Hals – emotionale Handlungen also, die über einen rein sexuellen Akt weit hinausreichen.
„Ich bin wirklich dankbar, auch den Herstellern, dass die da so an die Männerwelt gedacht haben“, sagt Daniel. „Ich bin froh, dass ich sie habe.“ Anfangs hätte er die Puppe schon wieder verkaufen wollen, sei dann aber zu Mitja Klee zurückgefahren und habe sie wiedergeholt, erzählt Daniel. „Ich hab ihr dann gesagt, dass es blöd war, dass ich sie hergegeben habe und ich so froh war, dass ich sie wieder hatte.“
Außergewöhnlich
Obwohl Klee seit Jahren in dem Geschäft tätig ist und mit seinen Kunden viele ungewöhnliche Situationen erlebt, gibt es auch für ihn immer wieder Erlebnisse, auf die er nicht vorbereitet sei, sagt der Unternehmer. So habe es etwa einen Fall gegeben, bei dem sich Mutter und Tochter gemeinsam eine männliche Real Doll bestellt hatten und sich diese teilen wollten. Bei der Auslieferung sei er dann mit Kaffee und Kuchen erwartet worden, mit der Bitte, die Puppe doch gleich auszupacken und mit an den Tisch zu setzen. „Es gibt schon Situationen, wo es dann schwerfällt, ernst zu bleiben“, sagt Klee. Auch er tue sich manchmal schwer, nachzuvollziehen, wie stark die Puppen zum Teil vermenschlicht würden. „Für manche Leute ist es wirklich ein kompletter Beziehungsersatz, die lieben diese Real Dolls.“
Chancen und Risiken
Auch in der Wissenschaft beschäftigt man sich bereits ausgiebig mit dem Thema Sexroboter, welche Vorteile sie für Menschen wie Daniel bringen können, aber auch welche Risiken und Nachteile damit einhergehen. Fürsprecher glauben, dass sie vor allem jenen Menschen ein Sexualleben ermöglichen werden, die bisher leer ausgehen. Der von Daniel beschriebene Punkt der Alternative zu Prostitution wird von Experten ebenfalls diskutiert.
Auch ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen könnten profitieren. Im Juli dieses Jahres erschien eine ausführliche Studie der „Foundation for Responsible Robotics“, die sich mit Chancen wie auch Risiken der smarten Sexpuppen auseinandersetzt. Gewarnt wird vor allem vor Kinder-Sexrobotern oder, dass die Roboter zum Ausleben von Vergewaltigungsfantasien benutzt werden könnten.
Tabuthema
Eine zu überwindende Hürde, um zu einem Thema für die breite Masse zu werden, wird jedenfalls die Akzeptanz von Sexrobotern sein. Sexpuppen sind noch weithin ein Tabuthema, weshalb auch Daniel seine Identität lieber nicht preisgeben will. In seinem privaten und beruflichen Umfeld wissen die meisten nicht, dass er mit einer Real Doll zusammenlebt. „Bei mir wissen das nur zwei Leute. Wenn ich mir eine neue Doll abhole, dann nur abends.“ Austausch zu seiner Lebenssituation pflegt Daniel aber dennoch – über Internetforen. „Da gibt es auch Plattformen, wo Fotos gepostet werden. Ich schaue mir das gerne an, weil ich mir Anregungen hole, wie die Leute die Real Dolls anziehen, wie sie ihr Make-up gestalten. Da frag ich dann auch gerne mal nach Tipps.“
Der Umgang mit den Sexpuppen ist natürlich typabhängig. „Das ist komplett unterschiedlich, wie offen die Leute das ausleben, manche sind sehr verklemmt, andere haben überhaupt kein Problem damit“, berichtet Klee über seine Kunden. Manche hätten so große Angst, „ertappt“ zu werden, dass sie überhaupt nur anonym bei ihm anriefen und nur bar bezahlten, sagt Klee. „Andererseits gibt es welche, die sind so offen damit, da weiß es einfach jeder.“ Generell beobachte der Unternehmer eine steigende Akzeptanz in der Gesellschaft. Eine Altersfrage sei das aber eher nicht. Es gebe durchaus auch junge Menschen, die mit dem Thema ein Problem hätten, sagt Klee.
Akzeptanzfrage
Dass die Akzeptanz weiter steigen werde, davon ist der Geschäftsmann überzeugt. Allein durch die mediale Thematisierung von Sexpuppen und Sexrobotern würden gewisse Hürden abgebaut, glaubt Klee. Horrorszenarien befürchte er mit der Verbreitung der Roboter keine. „Ich denke, dass das einfach der Wandel der Gesellschaft ist, man entwickelt sich weiter.“ Viele andere Entwicklungen – Klee spricht Leistungsdruck, Schönheitswahn und das Aufbrechen klassischer Beziehungsmodelle an – würden das Thema begünstigen und die Zielgruppe wachsen lassen.
„Ich glaube, dass da immer mehr Bedarf besteht.“ Selbst kann er sich eine Beziehung mit einem Roboter nicht vorstellen, verrät aber, dass er die Real Dolls schon auch ausprobiert hat. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Akzeptanz letztlich davon abhängen wird, wie realistisch die Sex-Bots sind. Ein mögliches Szenario ist unter anderem, dass die zwischenmenschliche Interaktion abnimmt, weil man mit Robotern unkomplizierter interagieren kann.
Bewusste Entscheidung
Für Daniel steht für die nächste Zeit jedenfalls fest, dass er bei Real Dolls bleiben wird. „Ich hab auch schon eine Anzahlung für eine weitere Puppe gemacht“, sagt er. „Das ist eine, die auf dem allerneuesten Stand ist.“ Daniel schwärmt vom „besonders weichen Material“. „Das ist wirklich fast schon wie eine echte Frau.“
"Sex-Roboter werden noch länger ein Nischenthema bleiben" - Medienpsychologin Martina Mara vom Ars Electronica Futurelab über die möglichen Auswirkungen von realitätsnahen Sex-Puppen