Warum für YouTube nur mehr schlechte Videos produziert werden
Die Macht der großen Onlineplattformen ist auf der diesjährigen re:publica ein großes Thema. Gerade auf der 5. Media Convention, die als Teil der Digitalisierungskonferenz stattfindet, wird rege darüber diskutiert. Der Analyst Bertram Gugel hat die großen Plattformen Facebook und YouTube genauer unter die Lupe genommen und stellt fest, dass die Algorithmen, die bestimmen, was die Besucher zu sehen bekommen, großen Einfluss auf die Art der Inhalte haben, die für diese Portale produziert werden. "Diese Plattformen haben so viele Nutzer und Werbekunden, dass das Prüfen der Videos, die Verteilung von Werbeeinschaltungen und die Gewichtung beim Ausspielen nur noch automatisiert bewältigt werden können. Das führt dazu, dass die Plattformen ein Eigenleben entwickeln, das den Versprechungen des Managements der Betreiber oft zuwiderläuft", sagt Gugel.
Dabei wird Werbung, die Kunden schalten, oft in Verbindung mit zweifelhaften Inhalten ausgespielt. Aufnahmen der Exekution von Saddam Hussein sind für die meisten Unternehmen wohl nicht der Kontext, in dem sie ihr Angebot beworben sehen wollen. Die Antwort der Plattformbetreiber ist, dass weitere Optimierung der Systeme, vor allem durch künstliche Intelligenz, diese Probleme beheben werde. Bisher hat dieser Ansatz aber kaum Erfolge zu verzeichnet. Stattdessen wird das Problem auf die Produzenten abgewälzt. Viele gute Inhalte werden von den Algorithmen als zweifelhaft markiert und lassen sich nicht mehr vermarkten. So formt das System langsam eine Norm, der die Videos entsprechen sollen.
Schmierentheater
Gleichzeitig sorgen auch einige der beliebtesten Produzenten, etwa der YouTuber PewDiePie, mit Skandalen, im konkreten Fall mit antisemitischen Äußerungen. YouTubes Reaktion darauf ist, diese Stars aus ihrem VIP-Programm zu schmeißen. Kontroverse Inhalte sind aber attraktiv und werden vom System deshalb verstärkt vermarktet. Die Werbepartner springen zwar in einigen Fällen kurzzeitig ab, sind aber meist wieder zurück, sobald Gras über den jeweiligen Skandal gewachsen ist. "Das ist ein Schmierentheater. Wer sagt, dass diese Plattformen ein sicheres Werbeumfeld bieten, lügt", sagt Gugel.
Durch die Automatisierung werden die Produzenten der Inhalte austauschbar. Die Videos werden zur nicht mehr unterscheidbaren Massenware. "Es geht immer billiger und einfacher. Mittlerweile bestehen viele Videos nur noch aus zusammengehackten Screenshots mit Automatenstimmen. Dieses Rennen kann kein normaler Produzent gewinnen", sagt der Analyst. Die Plattformen haben zudem ihren Ansatz geändert und fokussieren nicht mehr auf einzelne Videos, sondern auf Gruppen. Das hat für viele Produzenten zu Reichweitenrückgängen von bis zu 80 Prozent geführt. "Man darf nicht vergessen, dass hinter solchen Zahlen Menschen stehen, die ihre Jobs verlieren. Kleine Änderungen im System haben hier massive Auswirkungen. So hat der Algorithmus eine mystische Qualität bekommen. Die Produzenten füttern diese Götzen, ohne sie zu verstehen", sagt Gugel.
Verschwörung und Propaganda
Die Videomacher sehen oft, dass etwas ihre Reichweite erhöht und versuchen dann, mehr davon zu produzieren. Durch diesen Mechanismus bekommt der Algorithmus direkten Einfluss auf Produzenten und Inhalte. "Die YouTuber sehen, dass Emotionen gut ankommen, also machen sie mehr davon", sagt Gugel. Die Algorithmen verschaffen über ihre Bevorzugung von neuen und zuletzt auch diverseren Inhalten bei der Erstellung von Trends und Empfehlungen ein Umfeld, in dem Quantität wichtiger wird als Qualität. "In den Trends tauchen Videos auf, die teilweise suspekte Inhalte promoten, die den Richtlinien des Managements widersprechen. Ein Video, das ich dort gefunden habe, hatte nur 470 Aufrufe. Das macht es für Produzenten einfacher, sich in diese Listen zu hacken", sagt Gugel.
Die Sichtbarkeit entspreche nicht mehr der Zahl der Aufrufe. Viele populäre Kanäle stagnieren, während neue, die zwei bis vier Videos pro Tag produzieren, schnelles Wachstum verzeichnen. Kanäle von Medienhäusern wie der deutschen Tagesschau-YouTube-Kanal bekommen Probleme, weil sie keine große Community haben. Das führt dazu, dass der Algorithmus nicht weiß, wie er sie einordnen soll. So bekommen Besucher der Tageschau auf YouTube oft Propaganda und Verschwörungstheorien als weitere Vorschläge angezeigt.
Nutzen statt benutzt werden
Als alternatives Modell führt Gugel Plattformen wie Netflix oder Spotify an, bei denen die Vorschläge zu den beliebtesten Features gehören. "Die Leute lieben das. Der Unterschied zu YouTube und Facebook ist, dass hier Menschen mit Maschinen zusammenarbeiten, um die Listen zu erstellen. Zudem werden neue Inhalte mit viele Geld und kreativer Freiheit produziert. Das hat einen positiven Effekt auf das Ökosystem und die Produzenten können auch bezahlt werden", sagt Gugel. Dadurch seien auch Medienhäuser, die ihre Videoteams noch vor kurzem entlassen mussten, wie BuzzFeed oder Vox, auf diesen Kanälen erfolgreich. "Im Gegensatz zu Facebook und YouTube sehen sich diese Plattformen als Medienunternehmen", sagt Gugel.
Seine Empfehlung ist, YouTube und Facebook andere Rollen zuzuweisen. "Wir sollten sie als Marketingplattformen sehen. Hier kann man kein Geschäft aufbauen. In Deutschland gibt es nur 631 Leute, die davon leben können. Wenn wir das verstanden haben, können wir auch diese Kanäle nutzen, statt von ihnen benutzt zu werden", sagt der Analyst.