Zugsimulator LISA macht Tod einer Kuh spürbar
Im Führerstand des railjet sieht für den erstmaligen Besucher erstmal buchstäblich alles ganz einfach aus. Schalter, Hebel, Bildschirme muten allesamt relativ unspektakulär an. Ein dickes, weißes Heft, das alle Informationen über Fahrgeschwindigkeiten, Bahnhöfe oder Strecke enthält – wie auf Nachfrage erklärt wird – , verstärkt diesen Eindruck. „Das ist der Buchfahrplan", sagt Matthias Mösl, der in den kommenden 41 Minuten den Zug vom Wiener Westbahnhof nach St. Pölten führen wird. Ab Dezember 2012 wird dieser in allen Zügen durch ein Notebook ersetzt werden.
Kurz nach Planabfahrt um 13.14 Uhr verstummt Mösl. Das Wort übernimmt Instruktor Harald Parzer, der mit dem im Führerstand steht. „Ab sofort ist höchste Konzentration gefragt", so Parzer, der regelmäßig einige der rund 4200 sogenannten Triebfahrzeugführer der ÖBB aus- und weiterbildet.
Das Cockpit
Links der Fahrschalter, um die Geschwindigkeit zu regulieren, rechts die Bremsen. Dazwischen: der Buchfahrplan, den es händisch umzublättern gilt. Robert Zeller hat das „Triebfahrzeugführer-Informations-Managementsystem" bereits vor sich und stets einen Blick darauf. Seine Blicke wechseln unentwegt zwischem dem Buch, andere Bildschirme und dden Gleise richten, um sicherzugehen, dass alles planmäßig läuft.
Wenn dem Lokführer beispielsweise plötzlich unwohl wird, dann kommt die Sicherheitsfahrschaltung, kurz Sifa, zum Einsatz. Zeller hält seit der Fahrt ein Pedal gedrückt. Wenn er es nicht mehr betätigen würde, käme es zur Zwangsbremsung."
Sifa im Einsatz
Im ÖBB-Bildungszentrum in Wörth wird dann das Gesehene und Gesagte umgesetzt. Robert Zeller erklärt zunächst an einem statischen Lok-Simulator, einer überdimensionierten Spielekonsole gleich, was zu tun ist. Der Fuß auf dem Pedal, damit es zu keiner „Sifa"-Meldung und damit Zwangsbremsung kommt. Die linke Hand umfasst den Fahrschalter. Der Blick auf den Bildschirm gerichtet, der noch einen Bahnhof zeigt. Vor-, dann Hauptsignal geben, grünes Licht. Es geht los. „Immer gerade aus und: Das Pedal betätigen." Es klappt. „Geschwindigkeit auf 120 km/h erhöhen." „Jetzt Tempo reduzieren." Nächste Herausforderung: Halt, da alle Signale in der Ferne auf Rot stehen. Dass der Bremsweg 500 bis 1000 Meter lang sein kann, wie zuvor erklärt, wird nun klar. Der Versuch eines sanften Halts wird zur Vollbremsung. Zeitgleich ertönt Chris Lohners Stimme: „Sifa! Sifa!" Zwangsbremsung. Der Fuß war während des Bremsversuches nicht mehr auf dem Pedal. Nach diesem statischen Lok-Simulator folgt schließlich LISA, das Herzstück der Ausbildung.
Simulator bedient alle Sinne
Im „Locomotive Interactive Simulator for Austrian Railways" stellen sich Triebfahrzeug-Führer seit 2003 dem Ernst- und Extremfall. LISA entspricht auf den ersten wie auf den zweiten Blick, von außen wie von innen, 1:1 dem Führerstand des railjet. Statt wie zuvor von Wien nach St. Pölten soll es für den absoluten Anfänger von Götzendorf nach Bruck an der Leitha gehen. Die Fahrzeit beträgt laut digitalem Buchfahrplan 15 Minuten. „Der Simulator ist so konzipiert, dass Sie auf dem Fahrersitz Bewegungen wie Beschleunigung, Bremsen oder das Fahren über Weichen spüren werden." Nicht nur das. Die 3-D-Darstellung ist beeindruckend echt und für den Laien Respekt einflößend. Diesmal ist der Fuß fest am Pedal. Die linke Hand am Fahrschalter. Grünes Licht. Zug fährt ab. Bald ist der Bahnhof nur noch im virtuellen Seitenspiegel zu sehen. Tempo 60, 90, dann, weil der Schirm es zeigt: 120 km/h. Spürbar im Sessel. Sichtbar am Schirm.
Kuh tot und Verspätung
Das wohlige Gefühl, einen Zug führen zu können, lässt nach, als Regen einsetzt. Frappierend real wirkender Regen. Die Scheibenwischer bewegen sich im Takt, der Zug mit 120 km/h. „Geschwindigkeit reduzieren", sagt Instruktor Zeller. Der Versuch scheitert. Kläglich. „Sifa! Sifa!" Wieder ist der Fuß in der Aufregung vom Pedal. Diesmal ist die Zwangsbremsung hör- und spürbar. Es dauert, bis Technik und Instruktor gleichsam wieder grünes Licht geben. Dem Regen folgt Nebel und: Wie aus dem Nichts steht eine Kuh mitten auf den Gleisen. Ernst- wie Echtfall. Die einzig denkbare Möglichkeit, ein Unglück zu verhindern: Bremsen. Undenkbar bei dem Tempo. Erst linker Hand die Geschwindigkeit reduzieren, dann rechter Hand bremsen, dann: Ein spürbarer Rumpler. „Die Kuh ist tot." Der Zug rollt weiter. Körperlich angespannt, gespannt, was als Nächstes kommt, lichtet sich der virtuelle Himmel. Bahnhof in Sicht. Der Zug fährt ein. Nach 30 statt 15 Minuten.
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