"Hitman ist ein bisschen wie ein Emmentaler"
Hannes Seifert hat das goldene Zeitalter der österreichischen Games-Entwicklung nicht nur miterlebt, sondern aktiv gestaltet. Mit Whale’s Voyage legte er den Grundstein für Neo Software, das später zu Rockstar Vienna wurde. Nach einigen Zwischenstationen landete er bei dem dänischen Studio IO Interactive, das er mittlerweile leitet.
Als Entwickler und Producer war er an namhaften Titeln beteiligt, wie Der Clou 1 und 2, Rent-a-Hero, Kane & Lynch 2, Hitman: Absolution und die Konsolen-Versionen von Max Payne 2, GTA III und GTA: Vice City. Auf der GDC Europe sprach Seifert mit der futurezone über die österreichische Entwicklerszene und sein aktuelles Projekt Hitman, das mit einem neuen Vertriebskonzept für Aufmerksamkeit sorgt.
futurezone: Kann man als Österreicher in der Spielebranche nur noch als Solokünstler zu internationalem Erfolg kommen?
Hannes Seifert: Nein, natürlich nicht. Der Vorteil des kleinen Österreichs war, dass wir von Anfang an für den internationalen Markt entwickelt haben. Als die Produktionskosten gestiegen sind und die Deutschen deshalb Probleme bekommen haben, hat es aus Österreich internationale Erfolge gegeben, wie die Anno-Serie und Games von JoWood und Neo Software. Im skandinavischen Raum gibt es eine große Entwicklerszene und Studios wie IO Interactive, Dice oder Mojang. Das beweist, dass internationaler Erfolg nicht von der Landesgröße abhängig ist.
Aus diesen Ländern kommen Hits wie Minecraft, Hitman, Battlefield und Max Payne. Was machen diese Länder besser als Österreich?
Österreicher treten oft nicht sehr selbstbewusst auf, wenn sie etwas neues machen. Das liegt auch daran, wie Games in Österreich gesehen werden. Wenn du in Skandinavien sagst, dass du Videospiele machst, fragt dich niemand, ob du davon leben kannst. In Österreich finden es immer noch Leute komisch, wenn jemand an Games arbeitet, obwohl in Zeiten von GTA, Candy Crush und Mobile Games jeder irgendetwas spielt.
Woran liegt das, sind die Österreicher zu ignorant?
Nein, nicht ignorant. Aber es scheint etwas urtypisches österreichisches zu sein, dass man sagt: „Um erfolgreich zu sein musst du mal im Ausland gewesen sein.“ Wenn du zurückkommst, nehmen dich die Leute vielleicht ernst. Das ist schade, weil so die heimischen Firmen nicht geschätzt werden.
Also sollte man als Games-Entwickler ins Ausland gehen?
Ins Ausland gehen ist eine persönliche Entscheidung und in der Gaming-Branche auch üblich. Ich bin seit über 27 Jahren in der Branche, seit fünf Jahren bei IO. Ich bin auch nicht der einzige Österreicher bei IO. Bei Neo Software bzw. Rockstar Vienna waren damals auch die Hälfte der Mitarbeiter nicht aus Österreich. Wir hatten Zeiten, da hatten wir Mitarbeiter von allen Kontinenten. Ich glaube, es ist auch wichtig, wenn man internationale Spiele macht, dass man diese Mischung dabei hat.
Traditionell sind wir bessere Entwickler als Verkäufer, in allen Branchen. Das Potenzial ist auf jeden Fall da in Österreich. Man braucht, wie auf jeden Markt, ein oder zwei Aushängeschilder, die das Selbstbewusstsein der heimischen Studios stärken und die internationalen Augen auf das Land lenken. In Dänemark gibt es sicher 100 Entwickler, aber erst Titel wie Hitman lenken die Aufmerksamkeit auf das Land.
Du wurdest damals in einer Umstrukturierungsphase zum Studioleiter von IO, bei der Personal gekündigt werden musste. Hast du das Gefühl gehabt, dass du als Rausschmeißer angeheuert wurdest?
Nein, ich habe 2010 angefangen. Damals war der Auftrag Hitman: Absolution fertig zu machen. Square Enix hat sich für eine Umstrukturierung entschlossen und wollte, dass die Studioleiter Entwickler sind. Vorher waren es Manager, mein Vorgänger war zB. Anwalt. Die Anfangsphase war schwer, weil ich wieder Geschäftsführertätigkeiten übernehmen musste und natürlich ist es immer schwierig wenn der Mitarbeiterstand reduziert wird – das war bei allen Square-Enix-Standorten so. Das ist nie schön, aber es wurde zumindest fair mit den Mitarbeitern umgegangen. Ich habe schon andere Konzerne gesehen, da war das nicht so.
Es scheint Square Enix wieder bessern zu gehen - auf den Messestand der GDC Europe sucht IO neue Mitarbeiter.
Wir müssen dafür sorgen, dass das Spiel so gut wie möglich wird und sich so gut wie möglich verkauft und dazu brauchen wir sehr gute Leute – und die suchen wir immer. Wir wollen ein ehrliches und offenes Studio sein und hier auf der GDC Europe kann man mit seinen zukünftigen Vorgesetzen direkt reden. Das unterscheidet uns von der Konkurrenz, bei der ist nur die Personalabteilung vor Ort.
(lacht) Wenn man in dieser Branche immer komplett unter Strom ist, tut einem das nicht gut. Ich bin Spieleentwickler aus tiefstem Herzen und die Spielebranche ist jedes halbe Jahr anders. Das hält einen frisch und jung. Ich bin in Dänemark gelassener geworden, als ich es vorher in Österreich war. Es wird sehr multikulturell gearbeitet, man kriegt viele Mentalitäten mit. Das gefällt mir, das ist schön in der Branche. Wir machen Spiele für Millionen Menschen. Das Gefühl, das man rein bringt in die Entwicklung, das spüren die Leute, weil wir emotionale Produkte machen. Und ich hoffe, dass ich auch etwas von mir in Hitman reinbringe.
Das neue Hitman soll wieder zu den Wurzeln der Serie zurückkehren. Liegt das daran, dass Hitman: Absolution bei den Fans nicht angekommen ist?
Die Serie gibt es seit 15 Jahren. Wir haben uns angesehen, was den Fans gut gefallen hat und versuchen das Beste zusammenzuführen. Bei Absolution haben sie gemocht, wie es sich gespielt hat. Deshalb haben wir die Sandbox, KI und Grafik-Engine aus Absolution übernommen. Bei Blood Money hat ihnen gefallen, dass die Story nicht linear war und die Levels offen. Das bringen wir zusammen. Wir haben auch neue Features, sonst wäre es ja same-old-same-old.
Wir wollen sehr nah am Fan sein. Gerade bei AAA-Titeln (Blockbuster-Titeln) sitzt man in einem Elfenbein-Turm. Nach jahrelanger Arbeit bringt man das Spiel raus, man sieht die YouTube-Videos, sieht die Kommentare, aber es dauert wieder Jahre, bis das nächste Spiel kommt und man die Wünsche der Spieler umsetzen kann. Deshalb bringen wir Hitman zuerst digital raus und werden es im Laufe der Monate, anhand des User-Feedbacks, weiterentwickeln, bis das finale Spiel Ende 2016 auf Disc erscheint.
Dieses neue Konzept scheint noch nicht ganz angekommen zu sein. Manche glauben, dass Hitman, das am 8. Dezember erscheint, Early Access bzw. ein Episodenspiel ist.
Es ist nicht Early Access: Was wir am 8. Dezember veröffentlichen ist fertig. Es ist nichts unfertiges, nichts ungetestetes. Die Story könnte man als episodenhaft bezeichnen. Sie wird sich weiterentwickeln, man wird mit der Zeit immer mehr erleben. Die Story wird nicht linear sein, man kann sich selbst entscheiden, wo man hin und was man zu welchem Zeitpunkt machen möchte. Es wird mit der Zeit auch neue Locations geben.
Es kann nicht der Markt etwas für dich designen, es ist unser Job, das bestmögliche Spiel zu machen. Aber wir können sehr wohl auf die Leute hören und schauen was ihnen gefällt und nicht gefällt. Es gibt zwei Feedback-Quellen: Metriken, wie etwa Statistiken. Das sind die harten Fakten, die einem helfen Entscheidungen zu treffen. Dann gibt es die weichen Fakten, wie etwa Kommentare von Usern auf Facebook, in Foren oder auf Fantreffen. Auf diese Leute hören wir sehr. Es sind nicht nur die laustesten Spieler, sondern auch die, die viel Zeit und damit einen Teil ihres Lebens in das Spiel investieren. Diese zwei Informationen bringen wir zusammen.
Sie haben vielen Spielern aus der Seele gesprochen als Sie gesagt haben, dass kostenpflichtige DLCs Abzocke sind. Zu Micro Payments haben Sie nichts gesagt. Wird es so etwas in Hitman geben?
Am 8. Dezember bekommt man für den Preis alles was das Spiel ausmacht. Es gibt keine kostenpflichtigen Add-ons, DLCs und keine Micro Transactions. Es gibt sicher Produkte wo das Sinn macht, es gibt ja auch gute Season Passes. Für uns ist das nicht das Richtige. Wir haben eine gewisse Menge an Spiel im Sinn und das soll der Spieler auch für das Geld bekommen.
Wir geben noch vor dem Start genau bekannt, wann was kommt und was zum Start enthalten ist. Was wir jetzt schon sagen können: Wenn das Spiel rauskommt, wird es wöchentliche Ereignisse geben und bestimmte Zielpersonen, die zB. nur für 48 Stunden da ist. So wie man sie erledigt, so ist es im Profil gespeichert und man kann es nicht nochmal machen. Das ist ein Hardcore-Gamer-Feature.
Wie hält man die Spieler bei der Stange, bis die nächste große Story-Mission veröffentlicht wird?
Alleine die Paris-Location in Hitman ist fünf Mal so groß wie das größte Level in Absolution. Bei den ersten Tests haben die Spieler vier bis fünf Stunden die Mission gespielt, bis sie fertig sind. Darin tummeln sich bis zu 300 komplett simulierte NPCs, das sind alles valide Ziele, die man erledigen kann. Und dann gibt es noch die Crowd, das sind 1000 zusätzliche Personen im Level. Das lädt zum Experimentieren und zum immer wieder spielen des Levels ein. Die Levels in Hitman sind auch alle für Contracts geeignet. Bei Absolution waren es nur die großen, die gut geeignet waren.
Ist ein Multiplayer-Part geplant oder bleiben die Contracts die einzige Möglichkeit sich mit anderen Spielern zu messen?
Wir haben schon bei Absolution darüber nachgedacht. Die Fans waren gegen einen Multiplayer-Modus. Dann haben wir gesehen was die Leute auf YouTube machen. Bei Hitman: Blood Money haben sie was Verrücktes gemacht und mit einem Video andere aufgefordert es nachzumachen. So sind die Contracts bei Absolution entstanden. Spieler legen in einer Mission das Ziel und Parameter fest, andere Spieler können diese Herausforderung annehmen. Eine Million haben Contracts erstellt, drei Millionen haben gespielt. Diesen asynchronen Multiplayer-Modus wird es auch im neuen Hitman wieder geben.
Das haben wir noch nicht genau festgelegt, aber es ist nicht unwahrscheinlich.
Neben Early Access muss das neue Hitman auch mit einem weiteren Missverständnis kämpfen: Open World.
Hitman ist kein Open-World-Spiel, es hat die High-Density-Hitman-Sandbox. Es sind nicht hunderte Kilometer leere Landschaften, sondern jede Raum und jede Person zählt. Du kannst mit allen interagieren was du siehst. Open World ist es nur im Sinne davon, dass man keinen fixen Weg gehen muss. Es ist ein bisschen wie ein Emmentaler, in dem man durch verschiedene Löcher rein und raus kann. Man kann sich im Anzug durch die Party arbeiten, durch den Dachboden hineinklettern oder sich als Personal verkleiden und über die Verladestation infiltrieren. Das Empfinden manche als Open World, weil es frei steht, was man macht. Wir haben keine Triggerboxen, keine fixen Abläufe. Man kann Ereignisse kombinieren. Die Fans versuchen so das Spiel auszutricksen und das ist cool, das wollen wir.
Wie ist die Policy von IO bei Modding? Einige große Studios gehen derzeit gegen das Modding in ihren Spielen vor.
Wir werden es nicht unterbinden. Die Leute sollen mit unserem Spiel den Spaß haben, den sie wollen.
Ja, das kann sein (lacht). Man sagt es sind immer dieselben zwei Spiele besonders: Das Erste und das Aktuelle. Die ersten Games als Indie-Entwickler waren noch nicht so gut. Auf das Vierte, Whale‘s Voyage, bin ich noch immer sehr stolz. Es war der erste internationale Erfolg und der Grundstein für meine Karriere. Cursed Mountain war auch ein interessantes Spiel und sicher das unlustigste Game, dass ich je gemacht habe. Es war sehr ernst, sehr Horror und kontroversiell, weil es auf der Nintendo Wii erschienen ist. Aber auch an GTA, Dead Island und Max Payne habe ich gern gearbeitet – eigentlich habe ich an alle Spiele gute Erinnerungen.
Wann kann man noch von Indie Studio sprechen? In der heutigen Zeit ist das Self Publishing von Games relativ einfach möglich.
Ist Kochmedia Indie? Ein Major ist es auch nicht, aber es ist eine große Firma. Es ist eine Frage des Produkts. Heute wird unter Indie eher verstanden, dass es künstlerische oder experimentelle Spiele sind. Es gibt so gesehen dann auch sehr große Indie Studios, wie Dontnod, die für Square Enix gerade das Episodenspiel Life is Strange machen.
Disclaimer: Die Pressereise zur GDC Europe und Gamescom wurde vom Österreichischen Verband für Unterhaltungssoftware (ÖVUS) und futurezone bezahlt.