Keine Panik vor der Dunkelflaute!
Erneuerbare Energie ist ja ganz schön. Aber was ist, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Daran haben sie nicht gedacht, diese Experten! Dann fällt der Strom aus, die Zivilisation bricht zusammen, Tod und Verderben sind unvermeidlich!
Auf diese Sichtweise stößt man häufig, wenn man über die Energiewende diskutiert – oft gewürzt mit überheblichen Witzen über naive Energiewende-Fans, die zu dumm sind, dieses einfache Problem zu erkennen.
Das ist erstaunlich. Denn tatsächlich ist das ein äußerst naheliegender Einwand. Wie kommt man also auf die Idee, dass Leute, die sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit erneuerbarer Energie befassen, daran nicht denken? Es ist ein bisschen als würde man einem Polarforscher vor seiner Abreise mit selbstbewusst erhobenem Zeigefinger erklären: „Du musst etwas Warmes zum Anziehen mitnehmen, weißt du? Am Pol ist es kalt, das hast du sicher nicht bedacht!“ Ja, vielen Dank aber auch!
Das Problem ist bekannt, und es gibt ziemlich viele Ideen, wie man es lösen kann. Trotzdem bleibt das Schreckgespenst der „Dunkelflaute“ bestehen, als angeblich unüberwindlicher Endgegner, an dem die Energiewende nicht vorbeikann. Das ist unwissenschaftlich, irrational und technologiefeindlich. Die Gefahr der Dunkelflaute wird dramatisch überschätzt.
Strom verteilen und speichern
Die einfachste Versicherung gegen eine Dunkelflaute ist ein gutes Stromnetz. Denn Europa ist groß und hat nie ein einheitliches Wetter. Wenn im einen Land Windstille herrscht, liefern anderswo die Windkraftwerke reichlich Strom. Wenn in einem Land dicke Wolken die Sonne verdunkeln, produzieren anderswo die Photovoltaik-Anlagen immer noch volle Leistung.
Wir können aber auch Energie speichern. Batteriespeicher werden derzeit rasant billiger. Man wird in Zukunft recht einfach Geld verdienen können, indem man Strom in Spitzenzeiten einspeichert und in Zeiten hoher Nachfrage freigibt. Wenn Elektrofahrzeuge in der Garage stehen und man weiß, dass man sie in den nächsten Stunden nicht brauchen wird, kann man sie als Energiespeicher verwenden, der je nach Bedarf geladen und entladen werden kann.
Das bietet auch Chancen für die Industrie: Je nach Wetterbericht lässt sich gut vorhersagen, wann besonders viel billiger Strom zur Verfügung steht. Besonders energieintensive Arbeitsschritte kann man genau dann durchführen – und somit dafür sorgen, dass Angebot und Nachfrage übereinstimmen.
Sommer und Winter
Aber was ist mit längerfristigen Schwankungen? Wie können wir einen Ausgleich zwischen Sommer und Winter erreichen? Das gelingt schon mal ganz gut durch eine geeignete Balance aus Photovoltaik und Windenergie. Die Sonne dominiert im Sommer, dafür weht im Winter mehr Wind. Wenn man das Gesamtsystem richtig plant, gleicht sich das ganz gut aus.
Aber was ist, wenn tatsächlich eine große Dunkelflaute kommt? Wenn im Winter für längere Zeit kaum Wind weht? Selbst in diesem Fall wäre die Stromproduktion nicht null. Moderne Photovoltaik liefert auch bei dicker Wolkendecke einen gewissen Grundstrom, und moderne, sehr hohe Windräder drehen sich fast immer.
Wir müssen also niemals 100% des Strombedarfs aus Speichern decken, sondern immer nur einen gewissen Rückgang ausgleichen. Und dafür gibt es viele Möglichkeiten: Wir können in Zeiten mit Stromüberfluss Wasserstoff oder Methan gewinnen und einspeichern. Wir können unsere Pumpspeicherkraftwerke einsetzen. Wir können Großanlagen bauen, die in chemischen oder thermischen Speichern Energie über Wochen und Monate aufbewahren.
Darf’s ein bisschen mehr sein?
Und wir können die allereinfachste aller Maßnahmen ergreifen und einfach auf Überproduktion setzen. Photovoltaik und Wind werden immer billiger. Wir können bei der Energiewende einfach übers Ziel hinausschießen und höhere Kapazitäten aufbauen, als wir eigentlich benötigen. Dann ist unser Bedarf auch dann noch gedeckt, wenn die Bedingungen gerade nicht so günstig sind.
Die Technologien, die wir brauchen, um die ach so gefürchteten Dunkelflauten zu überstehen, gibt es längst. Wir müssen sie nur einsetzen. Einfach ist das natürlich nicht. Aber wer das Problem für unlösbar und die Energiewende für undurchführbar erklärt, verhält sich wie ein Festnetztelefon-Verkäufer in den 1990erjahren, der ganz fest versichert, dass es niemals möglich sein kann, überall Mobilfunkmasten zu bauen. Jede flächendeckende Technologie-Transformation ist schwierig. Und vielleicht fühlt sie sich sogar unmöglich an – bis sie dann da ist. Zum Glück kümmern sich die Fakten nicht um unsere Gefühle.