Goldener Reis: Wenn Technikfeindlichkeit tötet
Vitamin-A-Mangel ist eines der großen Gesundheitsprobleme in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern. Am schlimmsten betroffen sind kleine Kinder. Hunderttausende erblinden jedes Jahr, sie sind besonders anfällig für Infektionskrankheiten, man schätzt dass jedes Jahr 670.000 Kinder im Alter von weniger als fünf Jahren daran sterben.
In Europa verdient man Geld mit Schlankheitstipps und Abmagerungskuren, man diskutiert über die gesundheitsfördernde Wirkung irgendwelcher neuer Lifestyle-Grüntee-Mixgetränke, man erkundigt sich, ob das Biovollkornbrot auch mit energetisiertem Wasser gebacken wurde. Und gleichzeitig sterben auf der anderen Seite der Erde Menschen an Vitamin A-Mangel. Das Schlimmste daran ist: Man könnte das ändern. Doch das erlauben wir nicht.
Vitamin-A-Magel betrifft vor allem Länder in Afrika und Südostasien. Wer sich abwechslungsreich ernährt und viel Gemüse isst, der muss davor keine Angst haben. Doch wer in Staaten wie Indien, Bangladesch oder den Philippinen wenig Geld hat, versorgt seine Familie hauptsächlich mit Reis, und genau dadurch kommt es zu Mangelkrankheiten.
Die Biologen Ingo Potrykus von der ETH Zürich und Peter Beyer von der Universität Freiburg beschlossen, dagegen etwas zu unternehmen. Sieben Jahre lang arbeiteten sie daran, Reispflanzen gentechnisch so zu verändern, dass sie Beta-Carotin produzieren. Dieses Provitamin, das beispielsweise auch in der Karotte vorkommt, wird vom menschlichen Körper in das lebenswichtige Vitamin A umgewandelt.
1999 hatten sie es schließlich geschafft: Es war gelungen den „Goldenen Reis“ zu entwickeln, der sich in den Mangelgebieten genauso anpflanzen lässt wie die üblichen Reissorten. Der Goldene Reis enthält genug Beta-Carotin um Mangelerscheinungen vorzubeugen, dieses Carotin ist auch für die goldgelbe Farbe der speziellen Reissorte verantwortlich.
Man müsste also diesen Goldenen Reis bloß unter den bedürftigen Leuten verteilen. Doch das erlauben wir nicht.
Das Projekt wurde zwar mit dem „Patents for Humanity Award“ ausgezeichnet und von der Bill & Melinda Gates Stiftung gefördert, doch angepflanzt darf der lebensrettende Reis nicht werden. Dagegen wird nämlich heftig protestiert – insbesondere von westlichen Anti-Gentechnik-Aktivisten, die vor Mangelernährung ihr Leben lang keine Angst haben müssen. Greenpeace sieht im Goldenen Reis ein mögliches „Trojanisches Pferd“, das bloß die Akzeptanz von genveränderten Pflanzen erhöhen und den Widerstand dagegen aushöhlen soll. Versuchsfelder auf den Philippinen wurden von Gentechnik-Gegnern gestürmt und verwüstet. Patrick Moore, einer der Gründerväter von Greenpeace und ehemaliger Chef von Greenpeace Kanada, hat sich nicht zuletzt wegen der Gentechnik-Diskussion von Greenpeace abgewandt. Heute setzt er sich vehement für den Goldenen Reis ein – die Politik von Greenpeace konnte er damit bisher aber auch nicht ändern.
Manchmal heißt es, der Goldene Reis sei ein Trick, um die kleinen Bauern in armen Regionen abhängig zu machen, sie mit heimtückischen Lizenzverträgen an große Biotechnologie-Firmen zu ketten, von denen sie dann nicht wieder loskommen. Doch das stimmt nicht.
Goldener Reis soll frei von Lizenzgebühren abgegeben werden. Die 32 verschiedene Patentinhaber, die Rechte an den verwendeten Verfahren hielten, gaben ihre Zustimmung, der Goldene Reis dürfte gratis verwendet werden. Die notleidenden Bauern könnten mit der neuen Sorte genauso umgehen wie Generationen von Reisbauern vor ihnen auch mit ihren Pflanzen umgegangen sind. Sie dürften das Saatgut im nächsten Jahr wieder aussäen, es tauschen oder verkaufen. Niemand würde sich daran bereichern. Es geht darum, mit einer guten wissenschaftlichen Idee Menschenleben zu retten und Kinder vor dem Erblinden zu bewahren. Doch das erlauben wir nicht.
Mit genmanipulierten Pflanzen wird mittlerweile schon lange experimentiert, in der Landwirtschaft wird sie in vielen Ländern längst verwendet, und nach zwanzig Jahren Gentechnik gibt bisher keine Hinweise, dass irgendetwas an ihnen schädlich sein könnte. Wenn trotzdem jemand gegen Gentechnologie ist, dann finde ich das in Ordnung. Man kann über alles diskutieren. Aber wenn wir in Europa an unseren vitaminreichen Biokarotten kauen und durch Anti-Gen-Lobbying hunderttausende Menschen im Jahr sterben lassen, nur weil wir tief in der Magengegend eine undefinierte, irrationale Angst vor bösen Genen haben, dann ist das unmoralisch. Wenn man etwas Lebensrettendes verbieten will, dann braucht man bessere Argumente als einen erhobenen Zeigefinger und den Vorwurf „Man darf doch nicht in die Schöpfung eingreifen!“.
Natürlich könnte man die Mangelernährung in Südostasien auch auf andere Weise bekämpfen. Anti-Gentechnik-Aktivisten schlagen vor, Vitaminpräparate zu verteilen. Das ist an Ironie kaum zu überbieten: Man hat Angst, Bauern von bösen Saatgutfirmen abhängig zu machen, hat aber kein Problem damit, ihr Überleben an die Lieferung pharmazeutischer Produkte zu binden? Über die organisatorische und logistische Machbarkeit eines solchen Projektes muss man wohl ohnehin nicht diskutieren.
Dann setzen wir doch durch, dass die Menschen in Südostasien alle eine abwechslungsreiche Ernährung bekommen, mit Fleisch und viel Gemüse! Dann brauchen wir keine Gentechnik! – Das ist genauso sinnvoll, wie einem Ertrinkenden zuzurufen, man werde sich in Zukunft für Schwimmkurse schon im Kleinkindalter einsetzen. Sehr schön. Ich bin vorbehaltlos dafür. Aber können wir jetzt bitte die Leute retten, die sonst in ein paar Jahren tot sind?
Ein Kind, das heute verhungert, ist ermordet worden, sagt der Soziologe Jean Ziegler. Wir hätten die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun, entscheiden uns aber, es bleiben zu lassen. Bei den Mangelerkrankungen ist es genauso. Unser technologiekritischer Natürlichkeits-Lifestyle tötet Millionen kleiner Kinder. Man muss so deutlich ausdrücken.
„Wenn sie kein Gemüse haben, dann sollen sie doch Karottenkuchen essen“, würde Marie Antoinette heute vielleicht sagen. Wir sollten seit ihrer Zeit doch ein bisschen dazugelernt haben.