Meinung

Wie man den Verstand verliert

Der Wahnsinn begann ziemlich harmlos. Gleich zu Beginn der Corona-Krise versuchten uns manche Leute einzureden, die Krankheit sei weniger gefährlich als die Grippe. Das war zwar falsch, aber immerhin im Bereich des ganz gewöhnlichen Unsinns, wie wir ihn seit Jahren kennen.

Doch es wurde schlimmer: 5G-Mobilfunknetze seien verantwortlich für Corona, hieß es dann. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht ähnlich unsinnig als hielte ich Lady Gagas neues Album für die Ursache des Schokopuddings in meinem Kühlschrank.

Und nun scheinen alle Dämme des Wahnsinns gebrochen: Wirre Verschwörungstheoretiker erklären, Bill Gates habe die Pandemie in die Welt gesetzt um uns dann bei der Impfung Chips zu implantieren, mit denen man uns fernsteuern kann. Obskure Webseiten behaupten, die Welt sei in der Hand dunkler US-Eliten, die unschuldige Kinder entführen um aus ihrem Blut Adrenochrom zu gewinnen, das als Verjüngungselixier dienen soll. Die Corona-Pandemie sei nur erfunden, um Trumps heldenhaften Krieg gegen diese Kindesentführer zu verschleiern.

Das ist natürlich haarsträubender Unsinn, ohne jeden Funken Wahrheitsgehalt. Solche Behauptungen sind so dumm, dass die Vorstellung, irgendjemand könnte das ernsthaft glauben, schon selbst fast wie eine Verschwörungstheorie klingt.

Die „Sunk Cost Fallacy“

Aber wie kommt es dazu, dass manche Leute solchen haarsträubenden Unsinn für wahr halten? Das hat vielleicht mit einem Denkfehler zu tun, den man auch aus der Wirtschaft kennt: Der Trugschluss der versunkenen Kosten.

Angenommen, wir lümmeln auf dem Sofa herum und sehen uns einen Film an. Wenn wir feststellen, dass der Film eigentlich ziemlich mies ist, dann schalten wir um. Anders sieht die Sache im Kino aus: Wir haben zwölf Euro bezahlt, um diesen Film ansehen zu dürfen, da werden wir doch den Saal nicht gleich wieder verlassen. Wir halten also durch, und vielleicht reden wir uns am Ende sogar ein, dass der Film gar nicht so übel war. Sonst müssten wir ja zugeben, zwölf Euro vergeudet zu haben.

Das ist eigentlich irrational: Die zwölf Euro sind ja ohnehin bereits weg, egal was wir tun. Es handelt sich um „versunkene Kosten“, an denen wir nichts mehr ändern können. Sie sollten für unsere weiteren Entscheidungen also eigentlich gar keine Rolle mehr spielen. Wenn uns der Film mehr Ärger als Freude bringt, ist es in jedem Fall sinnvoll, nach Hause zu gehen.

In der Politik gibt es ähnliche Effekte: Man hat Milliarden in einen Flughafen investiert, aber das Projekt lief schlecht, der Finanzrahmen wurde längst gesprengt. Vielleicht wäre es billiger, den Flughafen niederzuwalzen und anderswo einen neuen zu bauen – aber das macht man nicht. Man hat ja bereits Milliarden investiert und will nicht zugeben, dass diese Investitionen umsonst waren.

Schritt für Schritt immer tiefer in den Unsinn

Und ähnlich geht es wohl auch leichtgläubigen Leuten, die sich auf Verschwörungstheorien einlassen: Man glaubt zuerst die Dinge, die noch nicht ganz so verrückt klingen. Dann treibt man sich immer länger auf irgendwelchen obskuren Internetseiten herum und versinkt immer tiefer in zunehmend irrwitzige Thesen. Und irgendwann hat man bereits so viel Zeit und emotionale Energie investiert, dass man nicht mehr zurück kann: Man müsste ja zugeben, sich geirrt zu haben. Dann lieber Zähne zusammenbeißen und die neuen, noch wahnsinnigeren Ideen auch noch glauben!

Wie lösen wir das Problem? Versunkene Kosten kann man nicht zurückholen – das gilt auch hier. Aber zumindest kann man Verschwörungstheoretikern die Rückkehr in die Welt der Vernunft möglichst kostengünstig gestalten: Wer Unsinn verbreitet, soll ruhig kritisiert und ausgelacht werden. Wer aber erkennt, früher Unsinn geglaubt zu haben und sich dann davon abwendet, soll nicht als Ex-Verschwörungstheoretiker abgewertet werden. Im Gegenteil: Solchen Leuten sollten wir anerkennend auf die Schulter klopfen und sagen: Gratuliere! Sich von solchem Unsinn zu lösen ist nicht einfach! Schön, dass du es geschafft hast! Willkommen zurück in der Welt des Verstandes!

Zur Person

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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