Red foxes roam amid the coronavirus disease (COVID-19) restrictions in the Israeli city of Ashkelon
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Meinung

Die Epidemie ist auch keine Lösung

Es ist so herzzerreißend romantisch, wie ein Sonnenuntergang über der Giftmülldeponie: In der Corona-Krise holt sich die Natur den Planeten zurück. Die Menschen bleiben zu Hause, dafür streifen Füchse durch die Städte. In Venedig freuen sich die Fische über klares Wasser, die Luftverschmutzung nimmt ab, genau wie der Ausstoß von Treibhausgasen. Jetzt wird alles gut! Wer Extra-Ökoromantik-Punkte sammeln will, darf jetzt noch mit erhobenem Zeigefinger hinzufügen: Vielleicht ist der Mensch das Virus! Und COVID-19 ist die Heilung!

Fast alles an diesen Gedanken ist falsch. Die Corona-Krise wird unsere Umweltprobleme nicht lösen. Aber vielleicht ist sie ein Anlass, einige Denkfehler loszuwerden.

Zuallererst sollten wir damit aufhören, alle Umweltprobleme in einen Topf zu werfen: Klimawandel, Luftverschmutzung, Tierschutz – das sind alles wichtige Themen, die teilweise miteinander zusammenhängen. Aber sie sind nicht dasselbe. Es ist erstaunlich, welche Antworten man bekommt, wenn man nach Klimaschutzmaßnahmen fragt: Müll trennen! Eier aus Freilandhaltung kaufen! Mit der Mehrweg-Stofftasche in den Supermarkt gehen! Das ist alles schön, aber für das Klima nicht entscheidend. Entscheidend sind Kohle, Öl und Gas.

Eine Delle ist keine Trendwende

Tatsächlich dürfte der CO2-Ausstoß im Jahr 2020 um einige Prozent zurückgehen, das genaue Ausmaß ist schwer zu prognostizieren. Aber die CO2-Konzentration ist derzeit mit 418 ppm höher als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Nur weil derzeit ein bisschen weniger dazukommt, nimmt die CO2-Menge noch lange nicht ab.

Die schlimmsten Klimaprobleme wurden durch die Corona-Krise kaum berührt. Der größte Verursacher von CO2-Emissionen ist nach wie vor der Energiesektor, mit seinen Kohle- und Gaskraftwerken. Der Lockdown senkt zwar den Stromverbrauch, weltweit werden wir 2020 trotzdem deutlich über 90 Prozent der üblichen Energiemenge benötigen. Ähnliches gilt für den Transport und die Industrie. Der Flugverkehr ging drastisch zurück, aber der ist nur für wenige Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich.

Die Corona-Krise widerlegt die romantische Hoffnung, dass wir das Klima ganz einfach retten können, wenn sich einfach jeder von uns ein bisschen einschränkt, wenn wir etwas weniger konsumieren und ein etwas kleineres Wirtschaftswachstum in Kauf nehmen. Wir erleben gerade mit brutaler Härte, dass es so nicht funktioniert: Auch durch die schlimmste Wirtschaftskrise, die wir je erlebt haben und ein bisher für undurchsetzbar gehaltenes Ausmaß an Verzicht wird der Klimawandel nicht gebremst.

„Für mich bitte mit etwas weniger Gift, vielen Dank!“

Was machen wir, wenn wir erfahren, dass aus unserer Wasserleitung bleiverseuchtes Wasser kommt? Wir denken nicht darüber nach, wie wir unseren täglichen Wasserkonsum ein bisschen einschränken können. Wir greifen radikal durch und ersetzen die Blei-Leitungen durch ungiftige Rohre. Ebenso können wir unsere Wirtschaft nicht auf ein klimaverträgliches Maß herunterschrumpfen. Wir brauchen radikale Schritte: Schluss mit Kohle, Öl und Gas, massive Investitionen in Photovoltaik und Wind, Umstellung des Transportsektors – und viel Forschung.

Es ist löblich, auf Unnötiges zu verzichten, oder ab und zu mal mehr Geld auszugeben und klimaschonendere Produkte zu wählen. Aber oft dienen solche kleinen Symbolhandlungen eher der eigenen Gewissensberuhigung als dem Weltklima. Weder eine Pandemie noch die Klimakrise kann man auf individueller Ebene lösen. Die kleinen Schritte bringen nichts, wenn wir nicht auch die großen wagen.

Wer weiß: Vielleicht bietet uns die Wirtschaftskrise die wertvolle Chance, einige rettende Kurskorrekturen durchzusetzen. Zumindest werden in einer Krise Ideen denkbar, über die noch vor Monaten niemand diskutiert hätte. Das sollten wir nützen.

 

Zur Person

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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