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Mit dem Badewasser vom Nachbarn heizen

Der Zug in Richtung „Klimaneutralität 2040“ zeigt sich mitunter an sonderbaren Stellen. Etwa im Abwasserkanal. Alles geht derzeit weg von den fossilen Energien hin zu erneuerbarer, nachhaltiger Energieerzeugung, also Wasserkraft, Windkraft, Photovoltaik und Biomasse. Und nun auch die „Abfallenergie“ oder Anenergie. Das ist laut Lexikon „derjenige Teil der eingesetzten Energie, der durch Reibungs- sowie Wärmeverluste für eine nachfolgende weitere Nutzung verloren geht“. 

In Zukunft wird diese Energie aber nicht mehr verloren gehen. Denn in unserem Kanalsystem befinden sich enorme Potenziale zur Energieversorgung: Wir brauchen recht viel Energie, um Wasser soweit zu erwärmen, dass unser Bade- oder Duschwasser angenehm wird. Das warme Wasser rinnt aber schnell über den Abfluss in den Kanal, und die gespeicherte Wärmeenergie ist verloren. 

Jetzt nicht mehr: Für den Neubau der „Wien Kanal“-Zentrale in Inzersdorf in Wien Favoriten kommt ein Abwasser-Energienetz zur Anwendung. Das knapp 4.000 Quadratmeter große Gebäude wird künftig zur Gänze mit Energie, die aus dem Abwasserkanal in der Großmarktstraße durch Wärmetauscher gewonnen wird, geheizt und gekühlt.

Dem warmen Abwasser im Kanal wird über Wärmetauscher  Energie entzogen, die wieder verwendet wird

100 Prozent abgedeckt

„Mit der Pilotanlage erreichen wir eine Einsparung von 65 Prozent der Heiz- und 100 Prozent der Kühlenergie unseres Betriebsgebäudes“, erklärt der Wien Kanal-Direktor Andreas Ilmer. „Mit der neuen Anlage decken wir sogar 100 Prozent des gesamten Heiz- und Kühlbedarfs mit Energie aus Abwasser.“ Beide Anlagen liefern im Vollbetrieb bis zu 700 Kilowatt Heiz- und 630 Kilowatt Kühlleistung. Das ist zum Vergleich dieselbe Energiemenge, mit der über 200 Haushalte versorgt werden können.

Dieses enorme Potenzial will die Stadt Wien auch in Zukunft verstärkt nutzen. Der Abwasserkanal als riesiger Energieschatz? „So ist es. Es gibt Studien, die davon ausgehen, dass rund 14 Prozent der gesamten Energie, die man fürs Heizen und Kühlen benötigt, mit der Energie aus Abwasser abgedeckt werden kann“, sagt Ulrike Rabmer-Koller, Geschäftsführerin der Rabmer Gruppe und von 2015 bis 2017 Vorstand im Hauptverband der Sozialversicherungsträger.

Kritische Größe

Rabmer erklärt, dass es immer individuelle Lösungen und eine kritische Größe brauche, damit sich die Investition auch rentiert. „Es muss schon ein großer kommunaler Kanal mit mindestens 10 Litern Durchfluss pro Minute sein, um ausreichend Energie zu liefern. Das Abwasser von einem großen Wohnhaus alleine reicht nicht. Im kommunalen Kanal steht das Abwasser rund um die Uhr zur Verfügung und kann so auch in der Nacht zum Heizen und Kühlen der Gebäude verwendet werden.“

Rabmer-Koller weist auch die Politik darauf hin, die Entwicklung voranzutreiben. „Diese erneuerbare Energiequelle sollte wesentlicher Teil der zukünftigen Wärmestrategie sein. Bei jedem Projekt müssen die Einsatzmöglichkeiten vorab geprüft werden und mit berücksichtig werden. Wir brauchen überdies österreichweite Förderungen sowie eine Wärmelandkarte, um ungenutzte Potenziale der Abwasserenergie festzustellen und nutzen zu können.“

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Bernhard Gaul

Geboren in Wien-Penzing, Jahrgang 1974. Einst u.a. Redakteur bei Krone.at. Seit März 2005 im Innenpolitik-Ressort des KURIER. Kernthemen Bildung und Klimapolitik. EU-Korrespondent von Februar 2009 bis April 2012 in Brüssel. Als Journalist bei den UN-Klimakonferenzen Bali (2007), Cancún (2010), Paris (2015), Katowice (2018), Madrid (2019), Glasgow (2021), Sharm el-Sheik (2022) und Dubai (2023). Verheiratet, eine Tochter. Kleingärtner, Wiener. E-Mountainbiker, Skifahrer, Snowboarder.

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