Neue App soll Angehörige von Demenzkranken unterstützen
In Österreich leben 115.000 bis 130.000 an Demenz erkrankte Personen. Der Großteil davon, rund 85 Prozent, wird daheim von Angehörigen gepflegt. Rund 300.000 Personen kümmern sich in ihrer Freizeit oder in Vollzeit um ihre Familienmitglieder. Da die durchschnittliche Lebenserwartung steigt und das Demenzrisiko mit dem Alter zunimmt, wird für die kommenden Jahrzehnte ein deutlicher Anstieg dieser Zahlen erwartet. Demenz bedeutet nicht nur für direkt Betroffene eine tiefgreifende Veränderung ihres Lebensstils, auch ihre Pfleger sind hochgradig belastet. Die FH Campus Wien hat nun in Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen und Firmenpartnern im Rahmen eines Forschungsprojektes eine App entwickelt, die jene Menschen in ihrem anstrengenden Alltag unterstützen soll.
Massive Veränderung
"Wenn einer der eigenen Angehörigen dement wird, ändert dies das Gefüge in der ganzen Familie. Man muss plötzlich ganz anders mit den Betroffenen reden, wird vielleicht sogar mit Aggressivität konfrontiert", sagt Franz Werner, FH-interner Leiter des Projekts DEA Lebensfreude und Leiter des interdisziplinären Masterstudiums Health Assisting Engineering. "Die Pflege ist oft eine zeitintensive Zusatztätigkeit neben der eigenen Arbeit. Man kann nichts dagegen tun, und weiß nicht, was noch auf einen zukommt." Auf die Idee, dass eine App hier hilfreich sein könnte, sei das Projektteam durch multidisziplinäre Zusammenarbeit gekommen.
"An der FH Campus Wien gibt es ja Ausbildungen in den Bereichen Gesundheits- und Krankenpflege, Ergotherapie, Physiotherapie. Wir dachten uns, dass die Expertise in diesen Bereichen zu einem kleinen Teil digitalisiert und als App zur Verfügung gestellt werden könnte", meint Werner. Dabei zeigten sich unterschiedliche Sichtweisen. "Ergotherapeuten schauen etwa darauf, was mit vorhandenen Fähigkeiten noch möglich ist." Der Ansatz wurde auch in der App verfolgt, die nicht nur eine Demenz-App ("DEA") sein, sondern auch einen positiven Zugang zum Thema Demenz ("Lebensfreude") schaffen sollte.
Aktivitätenvorschläge
Was kann die App alles? Laut Werner ist ihre wesentlichste Funktion, Vorschläge für sinnstiftende Aktivitäten mit Demenzkranken zu machen. Der Nutzer wird zunächst einmal nach einigen Angaben zu seinem Angehörigen gefragt, die dabei helfen sollen, einzuschätzen, welche Aktivitäten überhaupt machbar sind. Das Geschlecht spielt dabei eine Rolle, Vorlieben in der Vergangenheit, sowie der Grad an Mobilität, Orientierung und Ausdrucksfähigkeit. Die insgesamt 46 Aktivitäten wurden so gewählt, dass Demenzkranke sowohl geistig gefordert, unterhalten, aber auch in Haushaltsaufgaben eingebunden werden.
"Hier kann man sich Anregungen holen für die Tagesgestaltung, wie beispielsweise gemeinsam Musik hören, gemeinsam Kochen oder die Angehörigen beim Wäschemachen mitmachen lassen", sagt Werner. "Auf viele Vorschläge könnte man auch von alleine kommen, aber viele denken gar nicht daran, dass bereits kleine, ganz alltägliche Dinge helfen können." Demenzkranke mit realen Aufgaben im Haushalt zu konfrontieren, sei aber maßgeblich: "Wenn man Personen stärker in den Alltag einbindet, dann bleibt ihre zeitliche und räumliche Orientierung eher erhalten. Wenn Personen in einem sozialen Setting aktiv bleiben, schreitet die Erkrankung weniger stark voran, als wenn sie alleine Puzzles oder Sudokus lösen."
Seelische Unterstützung
Eine weitere Funktion der App ist Information. Man findet darin etwa praktische Tipps und Kontakte zu Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. "Hier erfährt man, was man in herausfordernden Situationen tun kann oder auch, wo man selbst seelische Unterstützung bekommt." Für die App war ursprünglich auch eine Kommunikationsfunktion geplant, mit der sich etwa mehrere Pfleger zu ihrem Patienten austauschen sollten. Werner: "Wir haben aber realisiert, dass das am Bedarf vorbeigeht. Die Menschen haben meist bereits Messenger-Apps, über die sie kommunizieren."
Marktstart geplant
Die DEA Lebensfreude App wurde gemeinsam mit dem Softwareunternehmens Nous Wissensmanagement GmbH entwickelt und bereits einem Praxistest unterzogen. Bevor 45 Nutzer die App ausprobieren konnten, wurde sie einem Usability-Test mit Experten unterzogen. Der Praxistest brachte vielversprechende Rückmeldungen. Werner: "Die Probanden fühlen sich von der App unterstützt und wollen diese auch nach der Studie weiternutzen." Das positive Feedback bestärkte das Projektteam in seinem Plan, DEA Lebensfreude auf den Markt zu bringen. Innerhalb weniger Monate soll eine erste Version für Android erscheinen. Sie wird bezahlpflichtig und werbefrei sein.
Bei den Funktionalitäten soll sich künftig einiges weiterentwickeln: "Abhängig von Bewertungen sollen vorgeschlagene Aktivitäten häufiger oder seltener erscheinen. Außerdem sollen sie sich über den Zeitverlauf ändern, etwa abhängig von Jahreszeiten oder Feiertagen."
Erste Lösung
Aufgrund der niedrigen Eintrittsschwelle biete die App bereits jetzt maximalen Privatsphärenschutz, meint Werner. "Man muss kein Profil anlegen, keine Namen eingeben. Die Daten, die man eingibt, sind sehr grobkörnig. Man kann daraus nicht schließen, um welche Person es sich bei dem Demenzkranken handelt." Auf dem App-Server gespeicherte Daten, etwa IP-Adressen und MAC-Adressen, würden anonymisiert. "Wir haben die App bewusst so entwickelt, dass sie personalisiert ist, aber nichts hinterlegt wird, was einer spezifischen Person zugeordnet werden kann."
Ob die DEA Lebensfreude App pflegende Angehörige von Demenzkranken tatsächlich entlasten kann, konnte bislang wissenschaftlich nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen werden. "Aber es gibt positive Indizien", meint Werner. Die App sei nicht dafür gedacht, als alleinige Hilfemaßnahme zu dienen, sondern als niederschwellige Informationsplattform zum Thema. Selbsthilfegruppen und gemeinnützige Organisationen seien besonders sinnvolle Anlaufstellen, zu denen die App auch vernetzt. "Für viele Menschen ist es aber aufgrund der Pflegesituation nicht möglich, irgendwohin zu kommen. Zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen ist für manche Menschen außerdem eine viel größere Hürde, als eine App zu nutzen. Die App ist also quasi als erste Lösung gedacht."
Dieser Artikel ist im Rahmen einer Kooperation zwischen futurezone und FH Campus Wien entstanden.