Offenherzige Passagiere reisen künftig schneller
"Business Intelligence" ist eine der Top-Prioritäten, in die alle großen Fluglinien der Welt in den nächsten drei Jahren investieren wollen. So lautet eines der Ergebnisse des aktuellen Airline IT Trends Survey. Fluglinien und Flughäfen wollen immer besser über ihre Kunden Bescheid wissen, um ihnen einen bestmöglichen Service zu bieten. Dasselbe Ziel wird mit immer präziseren Vorhersagen über Verzögerungen, Passagierstaus und Auslastungsspitzen verfolgt. Das nennt sich dann "Predictive Analytics". Business Intelligence und Predictive Analytics basieren auf der Verarbeitung riesiger Datenmengen, um Trends schneller herauszufinden. In der IT-Welt kennt man diesen Vorgang unter dem kurzen Begriff "Big Data".
Harter Wettbewerb
Warum die Luftfahrt-Industrie große Hoffnungen auf massive Datenverarbeitung setzt, ist schnell erklärt: Der Wettbewerb wird härter. Zahlreiche Fusionen - ob durchgeführt oder geplant - und negative Geschäftsberichte zeugen davon. Fluglinien suchen daher vehement nach neuen Profitquellen. Zusatzdienstleistungen bzw. "Ancillary Sales" an Bord sind eine Möglichkeit, die immer öfter eingesetzt wird. Allerdings gibt es Grenzen. Passagiere lassen sich für größere Sitzabstände oder zusätzliche Gepäckstücke nicht unbeschränkt zur Kasse bitten. Stattdessen sollen neue Kunden durch mehr Komfort gewonnen werden. Mehr Effizienz ist der Schlüssel dazu.
Mehr Analyse, mehr Effizienz
"Predictive Analytics. Funktioniert dieses Zeug wirklich?", fragt John-Paul Clarke, Professor am Air Transportation Laboratory an der Georgia Tech Universität, in den Raum. Clarke ist einer von mehreren Experten, die beim SITA Air Transport IT Summit zu dem Thema Stellung nehmen. Der Vergleich zeige: "Unternehmen, die Predictive Analytics verwenden, übertreffen ihre Konkurrenten fast ausnahmslos." In der Luftfahrt lasse sich mit möglichst viel gesammelter Information etwa die Erfolgsrate von Pilotenanwärtern berechnen. Mit rigorosem Aussieben untalentierter Kandidaten spare man sich Trainings-Kosten. Mit Predictive Analytics kann man auch das Versagen diverser Flugzeug-Komponenten besser vorhersagen oder die Anzahl von Passagieren, die bei ihrem Flug nicht am Gate auftauchen.
Aus personalisierten Daten lässt sich erkennen, welche Passagiere den höchsten Wert für eine Fluglinie besitzen und besser auf diese eingehen. Am Flughafen kann man Ineffizienzen und potentielle Probleme bereits Stunden vor deren Eintreten erkennen und Gegenmaßnahmen treffen. Beispiele dafür sind etwa die ungeplante gleichzeitige Ankunft mehrerer Großraumflugzeuge oder längere Taxiing-Zeiten von Flugzeugen während Hochbetriebszeiten. Bei der Behandlung solcher Probleme sei eine Frage wichtig, die sich Passagiere ständig stellen, meint Clarke: "Warum gibt es niemals genügend Boden-/Immigrations-/Zoll-/Check-In-/Sicherheits-/Gate-Personal, wenn ich da bin?"
Cloud als Datenpool
"Es gibt so viele Daten da draußen und wir nutzen sie nicht vollständig. Wenn wir das tun, könnten wir das Kundenerlebnis verbessern", sagt Clarke. Mehrere Luftfahrt-Akteure lassen sich das nicht zweimal sagen. Sie sammeln Daten, wo es nur geht und lassen sie dann von Analyseprogrammen aufbereiten. Die einen sagen "Big Data" dazu, die anderen nennen es "Deep Analytics", so wie Joshua Marks, der CEO des Luftfahrt-Beratungsunternehmens masFlight. "Wir haben heute die Möglichkeiten, Datensätze im Terabyte- und Petabyte-Bereich zu analysieren. Aber die Kooperation mit Partnern, integrierte Information ist wichtig." Wetterdaten, Radardaten, Gate-Informationen, Passagierflüsse am Flughafen: Diese interne und externe Daten müssen gesammelt werden.
"Ein vereinheitlichter Datenpool erlaubt, Information zu bearbeiten und Dinge zu sehen, die davor nicht sichtbar waren", meint Marks. Man könne etwa die Genauigkeit des Flugplans verbessern, wenn man genau weiß, welches Gate zu welcher Taxi-Zeit führt. Vielflieger könnten bei Langstreckenflügen sogar über Flughäfen geführt werden, an denen die Verzögerungszeiten zum jeweiligen Zeitpunkt besser sind, als bei anderen Flughäfen. Marks betont auch die Rolle der Cloud bei der Analyse großer Datenmengen. Die Verarbeitung von beinahe unendlich großen Datensätzen sei erst durch die Cloud ermöglicht worden. In dezentralen Servern können auch Informationen aus vielfältigen Quellen einfacher gesammelt werden.
Steigende Verbreitung
Für führende Fluglinien habe sich Big Data mit der Cloud bereits ausgezahlt, meint Marks. Die Profitabilität hänge heute sehr davon ab, neue Effizienz in Operation und bei Einnahmen zu finden. Die Rate, mit der Business Intelligence angewendet wird, sei in den letzten Jahren schneller gestiegen, als Experten dies vermutet haben. Auch die erhältichen Werkzeuge haben sich schnell weiterentwickelt.
Noch gibt es allerdings einige Hürden. Flugunternehmen präzisieren dabei etwa inkompatible Computersysteme, Fachkräftemangel und fehlende Rechenleistung. Außerdem gelten Datenstandards bei Business Intelligence als wenig ausgereift und auch die Organisation vieler Fluglinien ist noch nicht auf Business Intelligence eingestellt. Dennoch wird prognostiziert, dass Airlines im Jahr 2016 einen wesentlich tieferen Einblick in das Verhalten und die Wünsche ihrer Kunden, sowie die Leistung ihres eigenen Personals haben.
Garantierte Ankunftszeit
"Ihr Flugerlebnis wird so personalisiert sein, dass es eine Garantie auf ihre Ankunftszeit geben wird", meint John-Paul Clarke. Der nächste Schritt in der Betreuung von Flugpassagieren soll zum Erfolgsrezept für viele Fluglinien werden. "Garantierte Ankunftszeiten sind ein großer Komfort und Passagiere werden dafür zahlen", meint Clarke. Er vergleicht eine heute kompliziert erscheinende zivile Flugreise quer durch die USA mit einem Militärtransport, bei dem man wesentlich rascher vorankommt. Auch ein weiteres Argument für garantierte Pünktlichkeit fällt dem Uni-Professor ein: "Das ist der Grund, warum manche Leute in Privatjets fliegen!"
Wer in Zukunft freizügiger beim Übermitteln von Daten ist, könnte dem angedachten Prozess entgegenkommen und dafür von gewissen Vorteilen profitieren. Unter diese Daten könnte beispielsweise der Zugang zu Fotos auf einem Social Network gehören, um Boarding- und Bordpersonal die Identifizierung zu erleichtern. Preisgegebene persönliche Details könnten dem Sicherheits- oder Immigrationspersonal helfen. Bei all diesen Szenarien stellt sich freilich die Frage nach der Grenze zwischen Notwendigkeit und unheimlicher Datensammelwut.
Freiwillige Datenpreisgabe
Freiwilligkeit sei dabei ein Schlüsselaspekt, meint John-Paul Clarke: "Lass die Leute für sich selbst entscheiden, wo die Grenzen liegen. Lass sie selbst bestimmen, wie viel Information sie preisgeben wollen." Ob man es als unheimlich empfindet, wenn man etwa von einem Flugbegleiter mit vollem Namen angesprochen wird, sei individuell völlig unterschiedlich. Joshua Marks ist davon überzeugt, dass viele Passagiere freiwillig Daten preisgeben, wenn sie dadurch schneller durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen kommen. Clarke ist von einer rationellen Denkweise der meisten Passagiere überzeugt: "Wenn Sharing für dich einen Vorteil hat, machst du`s. Nach dem Motto: Gib deine Fingerabdrücke her, weil es den Aufwand wert ist."
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