Weltraummüll: Im Orbit ist die Hölle los
Jedes Mal, wenn eine Rakete einen Satelliten ins All bringt, wird Abfall produziert. Ausgebrannte Raketenstufen, Treibstofftanks, Satelliten-Teile, abgelöste Halterungen, Farbsplitter ganze Satelliten, die nicht mehr funktionieren befinden sich dann im All. Dazu kommen Trümmer, die durch Antisatellitenwaffen verteilt wurden und Fragmente, die von bereits erfolgten Kollisionen stammen.
Millionen Geschosse
Rund 16.000 Teile im Orbit sind größer als zehn Zentimeter. Objekte dieser Größe können mit optischen Teleskopen, Radar und Lidar erfasst werden. Das geschieht auch. Die NASA und die ESA betreiben etwa Teleskope, die einzig der Verfolgung und Katalogisierung von Weltraummüll dienen. Kleinere Teile entziehen sich jedoch jeglicher Überwachung, stellen aber ein enormes Risiko dar. Zwischen 300.000 und 740.000 Objekte sind zwischen einem und zehn Zentimeter groß. Wird ein Satellit von so einem Teil getroffen, sind zumindest einzelne Subsysteme bedroht, die einen Satellit dysfunktional machen können.
Aber auch Einschläge noch kleinerer Objekte sind nicht zu unterschätzen. Mit Geschwindigkeiten von mehreren tausend km/h können auch Objekte, die nur einen Millimeter bis einen Zentimeter groß sind, Löcher in Raumanzüge (etwa während Außenbordmissionen von Astronauten) reißen und Satelliten beschädigen. Von diesen Kleinstobjekten gibt es geschätzte 300 Millionen.
Vor dem großen Sturm
Ein großer Teil des Weltraummülls sammelt sich dort an, wo die meiste Aktivität herrscht: Im geostationären Orbit. Wie ein Ring über dem Äquator umkreist dieser die Erde und bietet beispielsweise Kommunikationssatelliten, die relativ zur Erde an einem Fixpunkt geparkt werden sollen, einen idealen Standort. Das Risiko für einen Satelliten, von einem eins bis zehn Zentimeter großen Müllstück getroffen zu werden, liegt derzeit laut der EU-Publikation "Let`s embrace Space" bei einem Mal alle drei Jahre. Von kleineren Objekten werden Satelliten rund 170 Mal pro Jahr getroffen.
Da viele Treffer zu neuen Trümmern führen, kommt es zu einem Schneeballeffekt. Das schlimmste Resultat daraus nennt sich Kesslersyndrom. Der NASA-Wissenschaftler Donald Kessler entwarf 1978 ein Extremszenario, bei dem sich der orbitale Müllhaufen quasi in einen allesvernichtenden Sturm verwandelt und sowohl den Einsatz von Satelliten als auch jegliche Raumfahrt verhindert.
Doch noch kann diese Katastrophe verhindert werden. Abgesehen vom zutiefst kontraproduktiven Einsatz von Antisatelliten-Raketen (zuletzt durch die USA und China) gibt es internationale Bemühungen, den bereits bestehenden Weltraum-Müllberg zumindest konstant zu halten und nicht weiter zu vergrößern. Die EU hat im Rahmen des siebenten Forschungsrahmenprogramms (FP7) einen eigenen Schwerpunkt zum Thema Weltraummüll vorgesehen. Darin geht es um die Verbesserung der Müllbeobachtung, der schnellen Beseitigung von Satelliten am Ende ihrer Einsatzzeit und der Verbesserung des Schutzes der Weltrauminfrastruktur.
Zusätzlichen Müll vermeiden
Die meisten Satelliten, die heute gestartet werden, kehren am Ende ihrer Einsätze auf die Erde zurück und verglühen in der Atmosphäre. Zwei EU-Projekte beschäftigen sich mit einer Beschleunigung dieses Prinzips.
Bei BETs fährt ein Satellit eine kilometerlange entblößte, elektrodynamische Leine (Bare Electrodynamic Tether) aus. Diese Leine sammelt Elektronen in der Ionosphäre (85 bis 600 Kilometer Höhe) ein, wodurch ein schwacher Strom durch die Leitung fließt. Das dadurch enstehende Magnetfeld tritt mit dem Erdmagnetfeld in Wechselwirkung. Der Satellit und das Kabel daran werden abgebremst und verlieren an Höhe, bis es zum Wiedereintritt kommt. Das ganze Leinen-Paket im Satellit soll weniger wiegen als ein zusätzliches Triebwerk und damit mehr Nutzlast zulassen. BETs wird momentan in Simulationen getestet. Das Projekt wurde 2010 begonnen und endet im November 2013.
Das Projekt DEORBITSAIL sieht vor, dass ein ausrangierter Satellit ein Segel ins Jenseits setzt. Aus einem nur drei Kilogramm schweren Paket entfaltet sich ein 25 Quadratmeter großes Solarsegel. Dieses fängt den Strahlungsdruck des Sonnenlichtes ein wie ein Bootssegel den Wind und kann den Satelliten damit in eine gewünschte Richtung antreiben. Das Prinzip des Sonnensegels wird bereits erfolgreich angewendet, erfordert jedoch viel Geduld. Ein in 1000 Kilometern Höhe geparkter, 500 Kilogramm schwerer Satellit bräuchte 25 Jahre bis zum Wiedereintritt. In einem ersten Versuch soll ein winziger Cubesat-Satellit mit einem Segel ausgestattet werden. Dieser Prototyp, der in seiner Größe
Mit bestehendem Müll umgehen
Während es bei BETs und DEORBITSAIL um die Vermeidung zusätzlichen Weltraummülls geht, beschäftigt sich das EU-Projekt P2-ROTECT mit der Entwicklung eines Einschätzungsinstruments für das Risiko einer Weltraumkollision und für die Verwundbarkeit eines Raumfahrzeugs. Diese Software verwendet das ESA-Weltraummüll-Dynamikmodell MASTER (Meteoroid and Space Debris Terrestrial Environment Reference) um festzustellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Weltraummissionen erfolgreich durchgeführt werden können.
Das Projekt ReVus widmet sich der Verringerung der Verletzbarkeit von Raumfahrzeugen. Seit März 2011 werden die Trümmer-Einschläge auf zwei Satelliten im Low Earth Orbit (LEO, bis 2.000 Kilometer Höhe), einem in 515 Kilometer Höhe, einem in 820 Kilometer Höhe, gemessen. Dabei wurde festgestellt, dass die Einschlagshäufigkeit mit abnehmender Größe der Trümmer stark zunimmt. Als Lösung wird deshalb eine dreistufige Strategie vorgeschlagen: Gegen kleine Trümmer (bis zu ein Zentimeter) sollen künftige Satelliten durch Schilde geschützt werden, bei Einschlägen von Trümmern mit bis zu 5 Zentimeter Größe müssen Bordsysteme architektonisch abgesichert werden, etwa durch eine redundante Auslegung oder eine möglichst risikolose Platzierung an Bord im Verhältnis zur Flugrichtung. Größere Trümmerteile können vom Boden erkannt werden. Bei Kollisionskurs muss ein Raumfahrzeug solch einem Objekt mittels Bordantrieb ausweichen.
Schilde, die Raumfahrzeuge vor Weltraummüll und kleinsten Meteoriten schützen, sind keine Seltenheit im All, vor allem bei bemannten Missionen. Die Internationale Raumstation (ISS) weist gleich mehrere unterschiedliche Schilde auf. Einige der Module der ISS besitzen einen von der Hülle abgehobenen Aluminiummantel, der Objekte in viele kleine Bruchstücke aufspalten soll, sodass diese auf der eigentlichen Modulhülle weniger Schaden anrichten. Am sichersten vor Einschlägen sind die russischen Module der ISS. Diese besitzen eine mehrschichtige, wabenförmige Umhüllung aus Plastik, Aluminium und Glasfaser. Bei Notfällen zieht sich die Besatzung daher in diesen Bereich zurück. Katalogisierten, größeren Objekten muss jedoch auch die riesige Raumstation ausweichen. Bei drei Vorfällen musste die Crew sogar aus Sicherheitsgründen in die permanent angedockte Soyuz-Raumkapsel, die als Rettungsboot dient, flüchten.
Müllabfuhr
Die NASA und das US-Verteidigungsministerium arbeiten unterdessen an Konzepten zur aktiven Beseitigung von Weltraummüll. Vor allem große Trümmer, etwa ausrangierte Satelliten, seien dafür verantwortlich, dass immer mehr Müll im gefährlichen Größenbereich über 10 Zentimeter die Erde umkreist. Durch Kollisionen wird mehr Müll erzeugt als durch Wiedereintritte in die Erdatmosphäre abgebaut werden kann. Laut NASA-Studien könnte bereits die Entsorgung von fünf kritischen Objekten pro Jahr dafür sorgen, dass sich die Weltraummüll-Landschaft langfristig stabilisiert. Die orbitale Müllabfuhr könnte etwa durch einen Satelliten mit Greifarm erfolgen. Die schweizerische Ecole Polytechnique Federale de Lausanne bereitet mit CleanSpace One ein derartiges Projekt vor.
Viel schwieriger stellt sich jedoch das Problem dar, wie man kleinere Weltraummüll-Stücke beseitigt. Die schiere Anzahl von fünf Millimeter bis einem Zentimeter großen Objekten erfordert den Einsatz von Mitteln, die noch nicht einmal ansatzweise existieren. Wie die NASA beschreibt, wären etwa Kollektoren vonnöten, die jährlich mehrere tausend Quadratkilometer abdecken, um eine halbwegs bedeutende Müllmenge zu entfernen. Ein Vorschlag sieht den Betrieb von Laser-Systemen vor, mit dem kleine Müllstücke verbrannt werden sollen. Dieses Konzept erfordert jedoch einen enormen Energieaufwand einerseits, andererseits müsste erst ein Verfahren entwickelt werden, um solch kleine Teile überhaupt anzuvisieren.
Warten auf den Müllregen
Die realistischste Variante zur Entfernung des Kleinmülls ist einfaches Abwarten. Kleine Partikel stürzen relativ schnell ab. Dies zeigt sich unter anderem an der Beobachtung der Bruchstücke, die bei der Kollision zweier Satelliten (Iridium 33 und Kosmos 2251) im Jahr 2009 entstanden. Von anfänglich 163.000 Stücken im Größenbereich von fünf Millimeter bis einem Zentimeter sind 2013 noch 87.000 Stück übrig. Die vorhandenen Bruchstücke sinken immer mehr ab und verglühen am Ende nach und nach in den dichteren Luftschichten der Erde.
Wer beim Thema Weltraummüll am Ball bleiben will, findet im Übrigen mit den Orbital Debris Quarterly News der NASA eine vierteljährlich erscheinende Online-Publikation.
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