Wie sehr wir bei der Erreichung der Klimaziele auf Schiene sind
Der steigende Treibhausgasgehalt heizt die Erdatmosphäre unaufhaltsam auf. 2015 haben die Staaten der Welt in Paris beschlossen, den Temperaturanstieg durch gemeinsames Vorgehen zumindest auf halbwegs vertretbarem Niveau zu halten. Bis zum Jahr 2100 sollen es maximal 2 Grad Celsius mehr als zu vorindustriellen Zeiten sein, wenn möglich gar nur 1,5 Grad.
Bei 2 Grad Anstieg sind immer noch extreme Hitzewellen, Dürren, schwere Niederschläge, Überschwemmungen, riesige Waldbrände, steigender Meeresspiegel und Artensterben zu erwarten. Ein halbes Grad weniger würde hunderte Millionen Menschen weniger diesen Gefahren aussetzen. Wie sieht es also fünf Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen mit den staatlichen Bemühungen zur Eindämmung der Katastrophe aus?
"Ganz schön große Lücke"
"Es gibt noch eine ganz schön große Lücke zwischen den national festgelegten Beiträgen im Kampf gegen den Klimawandel (Nationally Determined Contributions, NDC) und den Pariser Klimazielen", teilt Florian Humpenöder vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung der futurezone mit. Humpenöder ist Mitautor einer Studie, bei der politische Klimaschutzmaßnahmen in den sieben größten Wirtschaftsräumen der Welt analysiert wurden. Brasilien, China, die EU, Indien, Japan, Russland und die USA sind zusammen für rund zwei Drittel aller Treibhausgasemissionen der Welt verantwortlich.
Die sieben "Big Player" haben laut der Studie unterschiedlich große Implementierungs- und Ambitionslücken. D.h. die Lücken zwischen tatsächlich umgesetzten Maßnahmen und NDC (Implementierung) bzw. NDC und 2-Grad- bzw. 1,5-Grad-Ziel (Ambition). China, Indien und Russland liegen etwa schon nahe an ihren selbst festgelegten NDC-Vorgaben, diese sind aber relativ unambitioniert und weit vom 2-Grad-Ziel entfernt. Brasilien und die USA wiederum haben sich selbst (vor Bolsonaro und Trump) eine relativ hohe NDC-Latte gelegt. Wenn sie die erreichen, sind sie aber auch nahe am 2-Grad-Ziel dran.
Zugpferd Europa
Hohe Ziele hat sich auch Europa gesteckt. Beim jüngsten EU-Gipfel Anfang Dezember wurde beschlossen, Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Um das zu erreichen, bedarf es größerer Anstrengungen. Das EU-Reduktionsziel von 20 Prozent bis 2020 wird voraussichtlich erreicht werden, wobei auch die Corona-Krise hier einen Einfluss haben wird.
In einzelnen Sektoren sei die EU gut auf Schiene, um die Ziele aus dem Klima- und Energiepaket 2020 zu erreichen, meint Humpenöder. "Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom- und Wärmeerzeugung sollte bis 2020 genau 20 Prozent ausmachen. Mit derzeit 19,4 Prozent liegen wir nahe dran." Anders sehe es im Transportsektor aus. Der Anteil erneuerbarer Energien sollte hier 2020 eigentlich bei 10 Prozent liegen. Laut der Europäischen Umweltagentur liegt er derzeit bei 8,3 Prozent.
Zu viel Abholzung
Im State of Climate Action Report des World Resources Institute (WRI) wurde der weltweite Stand der Dinge in sechs Schlüsselsektoren untersucht: Energieerzeugung, Gebäude, Industrie, Landwirtschaft, Transport und Wälder. In die völlig falsche Richtung gehe es derzeit bei der Abholzung und den Emissionen aus der Landwirtschaft, lautet der Befund. Im Verkehrsbereich müssten 12 Mal mehr Elektrofahrzeuge als derzeit verkauft werden, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen.
Kohlekraftwerke in Bau
Ein großes Problem ist Kohle als Energiequelle. 38 Prozent des Stroms auf der Welt werden laut WRI mit Kohle erzeugt. Bis 2040 sollten es laut den Klimazielen null Prozent sein. Den Komplettausstieg zu erreichen wird schwierig, sagt Humpenöder. "In manchen Ländern, etwa Indien und China, werden immer noch neue Kohlekraftwerke gebaut. Das schafft das Problem einer Pfadabhängigkeit, denn diese Kraftwerke werden noch recht lange laufen."
Ein Ausweg sei eine globale CO2-Bepreisung, etwa in Form eines weltweiten Emissionshandelssystems. Müssten Kohlekraftwerke für ihre CO2-Emissionen Zertifikate vorweisen, "würde sich schnell herausstellen, dass sich das ökonomisch nicht mehr lohnt." Ein Emissionshandelssystem existiert derzeit aber nur innerhalb der EU und regional in anderen Erdteilen, ein weltumspannendes System fehlt aber.
Auf dem Weg zu 2,9 Grad
Wie gut die Welt insgesamt auf Schiene zur Erreichung der Klimaziele sei, zeige sich besonders gut am "Climate Action Tracker", meint Humpenöder. Das Analysewerkzeug zeige, dass die Welt mit bestehenden Klimaschutzmaßnahmen auf eine Erwärmung um 2,9 Grad bis 2100 zusteuert. Nimmt man an, dass alle Länder ihre derzeitigen NDC-Ziele erreichen, sind es 2,6 Grad.
Ohne die aktuell implementierten nationalen Klimaschutzmaßnahmen würde man bei mehr als 4 Grad globaler Erwärmung im Jahr 2100 landen. "Man sieht, dass die Maßnahmen schon einiges bringen", sagt Humpenöder. "Jedes Grad weniger ist wichtig, denn die durch den Klimawandel verursachten Schäden steigen nicht linear mit der Erderwärmung sondern überproportional."
Gefährliche Kipppunkte
Je schneller die CO2-Emissionen der Menschheit sinken, umso eher lässt sich das Erreichen sogenannter Kipppunkte vermeiden, erklärt der Forscher. Darunter sind Veränderungen im System Erde zu verstehen, die beim Überschreiten einer gewissen Temperatur nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Beispiele seien etwa das Abschmelzen des Grönlandeises oder ein Aussetzen des Golfstroms. "Das kann Rückkopplungen im Erdsystem in Gang setzen und den Klimawandel verstärken."
Im Jahr 2023 kommt es laut dem Pariser Klimaabkommen erstmals zu einem "Global Stocktake", sagt Humpenöder. Dabei werden alle Vertragspartner zusammenkommen und analysieren, wie nahe jedes Land an seinen NDC ist und ob die individuellen Ziele nachjustiert werden müssen. Nach 2023 wird dieser Prozess alle 5 Jahre wiederholt.