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Science

Weg vom Auto: Radikale Umstellung nötig

Rät man Autofahrern, die über Staus, Parkpickerl und andere Schikanen klagen, zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel, wird man oft mit den immer gleichen Gegenargumenten konfrontiert. Auf den täglichen Strecken sei man mit dem Auto "normalerweise" schneller, während Öffis langsam, unzuverlässig und ständig überfüllt sind. Außerdem seien sie gerade am eigenen Wohnort kaum vorhanden. Alexandra Millonig vom Austrian Institute of Technology (AIT) untersucht, wie man solche Argumente künftig entkräften und Menschen zum Umstieg auf nachhaltigere Fortbewegungsformen bewegen kann.

Allein im Auto

"Zehn Prozent der Bevölkerung sagen, sie können sich nicht vorstellen, vom Auto zu anderen Verkehrsmitteln zu wechseln", meint die Verkehrsforscherin. Die Autoliebe der Österreicher gehe so weit, dass sich mehr Menschen, die momentan alleine zur Arbeit fahren, vorstellen könnten, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, als auf ihr Fahrzeug zu verzichten. Die gute Nachricht: "Bei 70 Prozent der Österreicher ist eine Wechselbereitschaft vorhanden." Während der Fahrzeugbestand in Österreich jährlich neue Rekordhöhen erreicht und die Klimaziele im Verkehrssektor ambitioniert sind (siehe Grafik unten), besteht also immerhin Grund zur Hoffnung, oder?

Laut dem Sachstandsbericht Mobilität des Umweltbundesamtes halten es 83 Prozent der Österreicher für eher wichtig oder sehr wichtig, dass Emissionen im Verkehr reduziert werden. Bei sich selbst ansetzen fällt den Österreichern aber schwer. Häufiger zu Fuß gehen,  mit dem Fahrrad fahren oder Öffis benutzen kann sich die Mehrheit "unter bestimmten Bedingungen" vorstellen. Den in den vergangenen Jahren stetig gesunkenen Besetzunggrad von Autos (aktueller Wert: 1,15 Personen pro Pkw) durch das Bilden von Fahrgemeinschaften wieder zu erhöhen, kommt für die Mehrheit prinzipiell nicht in Frage. Carsharing zu nutzen, können sich noch weniger Bürger vorstellen.

Der Rückgang der Treibhausgasemissionen mit vorhandenen Maßnahmen ist großteils der Elektrifizierung zu verdanken

Verändern ja, aber nicht ernsthaft

"Das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung steigt, aber diejenigen, die sich selbst verantwortlich fühlen, machen einen kleinen Teil aus", meint Millonig. "Und diejenigen, die ihr Verhalten tatsächlich ändern, sind eine noch kleinere Gruppe." Ein Mitgrund dafür: Der Straßenverkehr werde steuerlich sehr begünstigt, dazu gibt es die Pendlerpauschale sowie die private Nutzung von Dienstfahrzeugen. "Das sind Zuckerl, die der Staat relativ leicht zurücknehmen könnte, aber nur unter massivem Protest der Bevölkerung."

Wechselbereitschaft

Am AIT wird unter anderem erforscht, wie man die Bevölkerung zum Umstieg auf nachhaltigere Mobilitätsformen bewegen könnte. "Damit jemand sein Verhalten ändert, muss er wissen, dass es Alternativen gibt, dass diese Alternativen auch für ihn selbst geeignet sind und er muss eine gewisse Motivation mitbringen." Im Projekt pro:motion wurde untersucht, wie Menschen Informationen zur eigenen Fortbewegung aufnehmen. Dabei wurden sechs grundsätzliche Informationstypen identifiziert.

Auffällig dabei: Gerade diejenigen, die durch intensive Informationssuche nach möglichst effizienten Routen Ausschau halten, nehmen keine besondere Rücksicht auf das Klima. Wenn es schneller ist, wird das Auto verwendet. Etwa 17 Prozent der Bevölkerung - und damit etwa gleich viele Personen wie die "effizienz-orientierten Infoaufnehmer", bemühen sich aber, viele Informationen einzuholen und dann möglichst umweltfreundlich unterwegs zu sein. Millonig: "Gerade junge Menschen bringt man eher dazu, ihr Mobilitätsverhalten zu verändern." Jugendlicher Idealismus spiele dabei aber eine große Rolle. Die umweltfreundliche Einstellung ändere sich manchmal im Alter.

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Das Umweltbewusstsein steigt, aber nicht bei allen

Sanfte oder harte Tour

Das erst vor Kurzem gestartete AIT-Forschungsprojekt Domino widmet sich der Frage, wie der Pendlerverkehr klimaverträglicher gemacht werden könnte. "Auch hier liegt sehr viel an unserem Verhalten, nicht an der vorhandenen Infrastruktur", sagt Millonig. Im Wiener Umland wohnen etwa 93 Prozent der Pendler im Einzugsgebiet von Bahnstationen. Dennoch wird die Bahn nur von der Hälfte dieser Personen genutzt. Damit der Anteil der Menschen, die sich nachhaltig fortbewegen, gesteigert werden, braucht es eine Veränderung der Rahmenbedingungen, ist Millonig überzeugt.

Die Forschung habe gezeigt, dass Menschen empfänglicher für eine solche Veränderung der Rahmenbedingungen sind, wenn sie auf niedriger Ebene initiiert werden. Werden auf Gemeindeebene etwa Maßnahmen zur Verringerung des Autoverkehrs getroffen, die danach erst auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene ausgeweitet werden, könne eher Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht werden. "Top-Down"-Maßnahmen seien schwieriger zu verkaufen. Dennoch seien auch solche Maßnahmen notwendig, um die Klimaziele zu erreichen.

Mobilitätsbudget

Im Projekt mobalance wurde etwa die Idee eines Mobilitätsbudgets getestet. Jeder Einwohner eines Staates bekommt dabei eine bestimmte Punkteanzahl, die er für Mobilität verwenden darf. Für umweltschädliche Fortbewegungsmittel sind mehr Punkte fällig, für umweltfreundliche weniger. Im Verhältnis zu den Klimazielen wird das Mobilitätsbudget aber im Laufe der Jahre gesenkt. Wie niedrig der Wert am Ende ist, veranschaulicht, welch enorme Veränderung im persönlichen Mobilitätsverhalten notwendig sein wird, will man die Klimaziele einhalten: "Im Jahr 2050 kann man selbst mit einem Elektroauto und Ökostrom nur mehr drei Kilometer pro Tag fahren, ohne zuviel CO2-Emissionen zu verursachen."

Mobilitätsbudgetpunkte könnten künftig aber auch gehandelt werden. Außerdem würden Punkte je nach individuellen Voraussetzungen zugeteilt werden, etwa je nachdem ob man Kinder hat, wo man wohnt oder ob man körperlich eingeschränkt ist. Konzepte wie ein Mobilitätsbudget seien freilich radikal, meint Millonig.

Mobilitätsbudgets sollten laut Konzept im Lauf der Jahre schrumpfen, um die Klimaziele zu erreichen

Große Einschnitte

Radikale Schritte hält jedoch auch das Umweltbundesamt für notwendig. Unter den im Sachstandsbericht Mobilität vorgeschlagenen Maßnahmen befindet sich etwa die Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 km/h (E-Autos ausgenommen!), die Einführung von City-Maut in den Landeshauptstädten, massive Investitionen in den öffentlichen Verkehr, die Attraktivierung von Fußgänger- und Radwegen, sowie einen wesentlich stärkeren Einbezug von Umwelt- und Klimapolitik in die Raumplanung. Im Güterverkehr seien u.a. eine umfassende Elektrifizierung sowie flächendeckende LKW-Maut notwendig.

"Es gibt nicht eine Lösung, die uns retten wird", fasst Millonig zusammen. "Sondern es muss ein Bündel an Maßnahmen geben." Während sich Autofahrer heute gerne als "Melkkühe der Nation" als Opfer gieriger Politiker stilisieren, müsse der Allgemeinheit klar werden, dass es sich genau umgekehrt verhält: "Steuerzahler sind die Melkkühe der Autofahrer. Sie tragen jede Menge externe Kosten, etwa für gesundheitliche Folgen des Straßenverkehrs, Unfälle, Versiegelung, Emissionen."

Noch kann man reagieren

Für die Erreichung der Klimaziele reiche selbst eine umfassende Elektrifizierung des Personen- und Güterverkehrs auf der Straße nicht aus. Es bedarf größerer Verhaltensänderungen. Droht man angesichts der aktuellen Autoliebe der Österreicher insofern nicht in Resignation zu verfallen? Millonig: "Natürlich kann man das. Vielleicht werden wir die Klimaziele auch nicht erreichen, aber jetzt haben wir noch Möglichkeiten, etwas zu verändern. Dann stehen wir in Zukunft immerhin nicht bis zum Hals im Wasser, sondern nur bis zu den Knien."

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Mobilität, Klimawandel, Energie, Raumfahrt und Astronomie. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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