"Noch ein Tinder für Haustiere braucht Österreich nicht"
Seit 2007 verhilft Markus Wagner über den von ihm gegründeten Inkubator i5invest Start-ups zum Durchbruch in Europa, aber auch den USA. Im Interview mit der futurzone geben Wagner, der den Großteil seiner Zeit im Silicon Valley verbringt, und der i5invest-Geschäftsführer Herwig Springer Einblick in ihre Außensicht auf die österreichische Start-up-Szene.
In Österreich ist die Start-up-Szene derzeit in aller Munde. Hält die Aufbruchsstimmung?
Markus Wagner: Die Präsenz des Themas ist offensichtlich. Von einer nüchternen Außenperspektive betrachtet, muss man aber zum Schluss kommen, dass Österreich in den vergangenen Jahren den Anschluss verloren hat und auch die Szene nicht brutal floriert. Internationale Start-ups, aber auch etablierte Tech Konzerne die sich in Europa ansiedeln wollen gehen heute nach Berlin und London, einige in die Schweiz.
Herwig Springer: In den 90er-Jahren waren wir durch die Banken stark in Richtung Osten positioniert. Aber selbst dort haben wir aktuell keine große Relevanz mehr. Die haben mit Prezi, Avast, AVG und Ustream ihre eigenen großen Tech-Firmen mit jeweils über 500 Mitarbeitern.
Ist der Vergleich mit Deutschland und Berlin aufgrund des großen Binnenmarktes nicht unfair?
Wagner: Natürlich hatte Deutschland einen riesigen Startvorteil. Die klassischen Start-up-Erfolge wie Jamba, StudiVZ, E-Commerce- oder Preisvergleichsseiten – das geht nur über einen großen Markt. Hofer und Rewe sind ja auch nicht in Österreich entstanden.
Springer: Der Landeplatz für den europäischen Binnenmarkt sind wir sicher nicht. Aber wir haben eine Reihe von spezialisierten Weltmarktführern in den Bereich Industrie, Engineering und Internet der Dinge – da könnte sich Österreich und Wien als Hub positionieren. Die Lebenserhaltungskosten hier sind zudem viel günstiger als in den USA, aber auch der Schweiz oder London.
Also nicht das nächste Facebook oder Instagram hier gründen?
Wagner: Genau. Österreich braucht nicht noch ein „Tinder für Haustiere“. Vielmehr sollte man sich auf die Branchen konzentrieren, wo wir ohnehin gut sind, wo wir die Vorbildung und das Business-Netzwerk haben, etwa in Automotive, Green Tech, Internet of Things, Agrar Tech, Augmented und Virtual Reality sowie E-Commerce-Basistechnologien.
Springer: Viele Bildverarbeitungstechnologien, mit denen Roboter in Fabriken Objekte erkennen und entsprechend navigieren, werden an unseren Unis in Österreich entwickelt. Dass ein Talent wie Andreas Wendel ins Silicon Valley geht, um mit solchem Wissen selbstfahrende Autos für Google mitzugestalten, ist aus Standort-Sicht eigentlich schade - außer er kommt später wieder zurück.
Wie beurteilen Sie die Ansagen von Kanzler Kern, der Start-up- und Gründerszene den Rücken stärken zu wollen?
Wagner: Dass wir nun in Österreich einen Kanzler und eine Regierung haben, die sich zur Start-up-Szene bekennt und echtes Arbeitsmarkt-Potenzial bei den Gründern sieht, ist eine große Chance. Dass Kern gleich nach seiner Ernennung beim Pioneers-Festival aufgetreten ist, spricht für sich. Er war auch im Silicon Valley und in Shenzhen, um sich selbst ein Bild von den globalen Start-up-Metropolen zu machen, und interessiert sich für die konkreten Probleme.
Mit Ansagen allein wird es aber nicht getan sein.
Wagner: Nein. Deswegen hat er sich in den vergangenen Monaten auch mit Vertretern und Experten der österreichischen Start-up- und Technologiebranche getroffen. Auch ich durfte hier einen Beitrag leisten. Alle gemeinsam müssen wir es nun schaffen, dass internationale Firmen nach Österreich kommen und internationale Venture Capital Fonds und Konzerne hier investieren. Zum ersten Mal sehe ich eine realistische Chance dafür.
Wie beurteilen Sie das kürzlich verabschiedete Maßnahmenpaket zur Förderung von Start-ups?
Wagner: Das ist auf jeden Fall vielversprechend.185 Millionen Euro an frischem Geld und zusätzlich 100 Millionen Euro an Garantien (z.b. durch die AWS) sollen für die Entstehung von 1000 Startups sorgen. In Summe wurde ein umfangreiches 12-Punkte-Paket geschnürt, welches von Entlastung bei Lohnnebenkosten über Investitionsanreize für Investoren die sonst das Risiko scheuen würden, Maßnahmen für den Arbeitsmarkt, Vereinfachung von Bürokratie bis hin zur Unterstützung von akademischen Spin-Offs reicht.
Das Silicon Valley gilt weiterhin als wichtigste Start-up-Drehscheibe der Welt. Wie deckungsgleich sind Image und Realität, wenn man länger vor Ort lebt?
Wagner: Es ist sicher falsch, immer nur mit der Start-up-Brille draufzuschauen. Facebook ist auch nicht dort entstanden. Vielmehr ziehen Technologiekonzerne, die einen globalen Führungsanspruch haben, mit ihrem Hauptquartier dorthin. Was man auch oft vergisst: Mit Apple, Intel, Motorola und Texas Instruments gibt es dort Konzerne mit zigtausenden Mitarbeitern, die über Jahrzehnte hinweg als Innovationsführer agieren.
Wie hart ist es für ein Start-up im Silicon Valley erfolgreich zu sein?
Wagner: Die Erfolgsquote ist bei weitem geringer, als man es hierzulande wahrnimmt. Mag sein, dass pro Tag 100 Start-ups ihr Funding erhalten, es probieren aber auch 10.000. Und auch im Silicon Valley schafft’s im Normalfall nicht das einfache Arbeiterkind. Wie viele mexikanische und schwarze Gründer gibt es denn? Die meisten erfolgreichen Silicon Valley Gründer sind männlich und weiß, waren auf Top-Unis und haben bei Google und Amazon gearbeitet. Viele Gründer, die sich bei uns über Missstände beklagen, hätten es im Silicon Valley um nichts leichter.
Können sich unsere Gründer dennoch etwas abschauen?
Springer: Der Weltmarkt-Fokus ist im Silicon Valley extrem ausgeprägt. Diesen Anspruch auf globale Marktführerschaft sollten auch unsere Nischenspezialisten haben. Dazu muss man aber nicht ins Silicon Valley oder in die USA, im Gegenteil. Unsere Tipps: Forschung und Entwicklung in Österreich behalten, internationale Arbeitskräfte nach Österreich holen und Verkauf und Business-Entwicklung in den Ländern ansiedeln, wo die Kunden und Partner sind.
Wagner: Die USA sind als Markt enorm wichtig. Wer dorthin geht, sollte das aber nicht tun, um dort Geld aufzustellen, sondern um Verkaufs- und Markterfolge zu feiern. „Money follows success“ – wer erfolgreich ist, bekommt dann auch problemlos die Investments, sowohl in den USA als auch in Europa.
Wann ist ein Start-up erfolgreich? Wenn es einen Hunderte Millionen schweren Exit schafft? Und ist so eine Herangehensweise nicht per se problematisch?
Wagner: Das ist ein typisch europäisches Denken und teilweise auch neidgetrieben. Doch was passiert, wenn ein österreichisches Unternehmen in die USA verkauft wird? Es werden schlagartig viel Steuern für den österreichischen Staat fällig, Kredite und Förderungen werden zu einem guten Teil zurückgezahlt. Das Gründerteam verfügt über Kapital, um weitere Gründungen zu finanzieren – so entstehen Businessangels und Mehrfachgründer.
Springer: Dazu kommt - Investoren, die mit Gewinn aussteigen, werden das nächste Mal noch mehr Geld in die Hand nehmen und in österreichische Firmen und Arbeitsplätze investieren. Für den Standort und die Volkswirtschaft bewirkt das mehr als sämtliche Fördertöpfe jemals alleine erreichen können.