Bilanz

Google: Das erste Jahr des Larry Page

Ein Mann der Öffentlichkeit ist er nicht gerade, der 39-jährige Google-Mitbegründer Larry Page. Der als schüchterne Visionär bekannte Google-CEO hat sich seit seinem Amtsantritt im April 2011 nur selten gegenüber der Presse zu Wort gemeldet, Auftritte auf großen Kongressen sind bei ihm - anders als bei seinem Vorgänger Eric Schmidt - eher rar.  Erst jetzt, ein Jahr nachdem er wieder auf dem Chefsessel Platz genommen hat, gibt es mit dem US-Magazin „Bloomberg Businessweek“das erste große Interview von Page. Parallel dazu meldete er sich am Donnerstag in einem ausführlichen Brief an Investoren zu Wort und gab Auskunft über Produktstrategien und den Unternehmensfokus.

Die Herausforderung für Page war und ist groß: Es gilt Rivalen wie Apple, Microsoft und Facebook mit den eigenen Produkten entgegenzutreten, parallel rollen laufend kleinere und größere Patentklagen über den Konzern hinweg. Hinzu kommt, dass dem Unternehmen auch seitens der Behörden ein rauer Wind entgegen bläst - so untersucht die EU-Kommission derzeit, ob Google seine Marktdominanz etwa bei der Online-Suche missbraucht hat und eigene Angebote bevorzugt behandelt. Trotz seiner - auf den ersten Blick - fehlenden Präsenz hat Page in den vergangenen zwölf Monaten einiges bewegt und erkennbare Spuren im Konzern hinterlassen.

Aufgeräumt und umstrukturiert
Im Projekte-Chaos aufräumen, fokussierter arbeiten und wieder mehr Start-up-Charakter in das Unternehmen bringen, waren Pages’ erklärte Ziele. Zumindest teilweise ist es dem Google-Chef auch gelungen, diese Ziele umzusetzen. Im Laufe des vergangenen Jahres wurden über 30 Projekte eingestellt oder mit anderen zusammengeführt: Dienste wie Buzz, Google Health, die PowerMeter-Sparte oder Picnik sind Geschichte. Mit ziellosem Ausprobieren ist es unter Page im Konzern vorbei.

Eine von Pages’ ersten Amtshandlungen war es auch, in den Führungsetagen des Konzerns für mehr Struktur zu sorgen, um mehr Geradlinigkeit in die Produktentwicklung zu bekommen. Die wichtigsten leitenden Personen treffen sich nun zumindest für einige Stunden pro Woche in einem Raum und stimmen die jeweiligen Projekte aufeinander ab.

Und zumindest intern lässt Page in regelmäßigen Abständen von sich hören. Er wende sich etwa im Monatsrhythmus per E-Mail an die gesamte Belegschaft, heißt es von Google-Mitarbeitern - wobei allerdings selten wirklich heikle oder geheime Themen angeschnitten würden. Darüber hinaus gibt es in der Firmenzentrale in Mountain View an jedem Freitag ein Hearing, an dem Google-Mitarbeiter teilnehmen und Fragen an den CEO stellen können.

Vorbild Android
Was den Start-up-Charakter und fokussiertes Arbeiten betrifft, gilt Android, das nicht zuletzt aufgrund von Larry Pages’ Vorrausblick im Jahr 2004 als junges Unternehmen aufgekauft wurde, konzernintern als Vorbild. Zuständigkeiten sind klar verteilt und Entscheidungsprozesse gut durchgeplant. Auch als Produkt ist das Google-Handybetriebssystem ein Erfolg. Wenngleich es immer wieder Kritik an Android gibt - insbesondere aufgrund seiner

- ist es im vergangenen Jahr gelungen, weltweit zum Marktführer aufzusteigen.

Davon zeigen sich die Konkurrenten naturgemäß wenig erfreut. Das Kräftemessen auf dem mobilen Markt resultierte in den vergangenen Monaten in zahlreichen Patentklagen. So klagte etwa Microsoft gegen Motorola und legte gleichzeitig eine

gegen Google vor der EU-Kommission ein. Apple zog massiv gegen Android-Handyhersteller wie Samsungvor Gerichtund greift Google und sein Betriebssystem damit indirekt an. Der Patentkrieg ging teilweise soweit, dass der Verkauf einzelner Geräte in manchen Ländern gestoppt werden musste.

Mit dem Kauf von Motorolas Mobility-Sparte steigt Google künftigt direkt in das Hardware-Geschäft ein und tritt damit auch in Konkurrenz zu all den anderen Geräteherstellern, die bislang Smartphones und Tablets für Android produziert haben. Die Motorola-Übernahme werde jedoch auch in Zukunft nichts an der Offenheit von Android ändern, betont Page in seinem Manifest-ähnlichen Brief, Google wolle auch weiterhin mit allen anderen Hardware-Herstellern zusammenarbeiten.

“Der Kauf von Motorola Mobility war sehr teuer, viele haben ihn nicht ganz verstanden, letzten Endes hat der Konzern aber viele, recht wertvolle Patente damit erworben”,  sagt Leopold Salcher, Buy-Side Analyst bei Raiffeisen Capital Management, zur futurezone. Google probiere vieles oft abseits breiter öffentlicher Beachtung aus und stampfe Produkte dann ohne viel Aufsehen wieder ein. “Möglicherweise versucht Larry Page, diese Prozesse ein wenig zu begradigen und sich verstärkt auf die ohne Zweifel vorhandenen großen Wachstumschancen im Bereich mobiler Online-Suche und Online-Werbung zu konzentrieren”, so Salcher.

Kein Freund von Patentklagen
Google selbst hat sich bislang verhältnismäßg zurückgehalten, was das Verklagen von Konkurrenten betrifft. Wie Page auch in dem Interview mit Businessweek deutlich macht, ist er kein großer Befürworter der Patentkriege. “Mittlerweile halten wir als Google selbst eine Reihe von Patenten, die wir nie wirklich gegenüber anderen beansprucht haben”, so Page. Google sei auch so erfolgreich gewesen, ohne andere Unternehmen aufgrund von geistigem Eigentum zu verklagen. Den allgemeinen Trend zu Patentkriegen in der Branche findet der Google-Chef “traurig”. Firmen würden zu solchen Mitteln greifen, wenn sie in ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit nicht genug Vertrauen hätten.

Trotzdem muss sich Page dieser Tage einem Gerichtsstreit mit

stellen. Der Konzern klagt Google, weil Android Teile von Oracles Java-Software enthalten soll. Am 16. April soll der Prozess zwischen Google und Oracle offiziell beginnen.

Streitfrage Google+
Es ist kein Geheimnis, dass Larry Page im vergangenen Jahr alle Hoffnungen und Kräfte auf Googles soziales Netzwerk Google+ setzte. Mit Facebook im Nacken versucht Google sich stärker im Social Web zu positionieren. So rückte Google+ seit seinem Start im Sommer 2011 zunehmend in den Mittelpunkt, diverse andere Dienste wurden damit verknüpft und die Social-Media-Strategie des Konzerns derart ausgeweitet, dass Bonuszahlungen an die Mitarbeiter nun vom Engagement in diesem Bereich

.

Doch das Liebkind von Page musste sich viel Kritik gefallen lassen. Obwohl man eigenen Angaben zufolge nun bei 100 Millionen aktiven Nutzern liegt, ist Google+ noch weit von Facebook entfernt. Wie Comscore-Untersuchungen vom Januar ergaben, verbringen die Nutzer bei Google+ montalich gerade einmal drei Minuten aktiv im Netzwerk, während es bei Facebook 405 Minuten sind. Branchenkenner sehen noch ein weiteres Problem: Mit dem Fokus auf Google+ habe man das eigentliche Kerngeschäft, die Suche, aus den Augen verloren und bei der Zusammenführung der Dienste grobe Fehler gemacht, so der Tenor.

Irrelevante Suchergebnisse
Kritisiert wird, dass die personalisierte Suche, bei der Google+-Ergebnisse bevorzugt behandelt werden, am Ziel vorbei schießen würden. „Das widerspricht der langjährigen Google-Tradition, die besten Suchergebnisse zu liefern. Zum jetzigen Zeitpunkt ist praktisch ausgeschlossen, dass ein Google+-Eintrag das relevanteste Suchergebnis im Web sein kann“, so Suchmaschinen-Experte und Gartner-Analyst Whit Andrews

mit der futurezone. Auch viele Nutzer kritisieren, dass mit eigenen Einträgen aus dem Netzwerk in den Suchergebnissen nicht viel anzufangen sei.

Google und auch Page bemühen sich indes regelmäßig, sowohl Google+ als auch dessen Integration in die Suche zu verteidigen. Erstens sei das Produkt noch gar nicht ausgereift und fertig, heißt es, und zweitens würden die Suchergebnisse dadurch viel zielgerichteter und auf die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen abgestimmt. “Bei Google gibt es einen langjährigen Mitarbeiter, Ben Smith. Ihn zu finden ist mit der herkömmlichen Suche praktisch unmöglich gewesen. Doch jetzt finde ich genau diesen einen Ben Smith, der für mich relevant ist”, verteidigt Page die Zusammenführung.  Zudem sei die Suche im vergangenen Jahr visuell erneuert und klarer gestaltet worden. Insgesamt geht es Page vor allem um ein klareres, einfacheres und intuitiveres Google-Erlebnis, wie er auch in dem Brief an die Investoren betont.

Sprunghafte Kursentwicklung
2011 war trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen ein sehr erfolgreiches Jahr für Google. Der Konzernumsatz lag bei 37,9 Milliarden, der Gewinn bei  9,74 Milliarden Dollar. Dennoch hielt sich die Begeisterung an der Börse in Grenzen. “Die Ein-Jahresperformance von Google liegt bei plus 10,1 Prozent und damit hinter dem MSCI-World-IT. Dieser umfasst die global größten und bedeutendsten Technologieunternehmen und weist ein Plus von 13,7 Prozent auf”, sagt Salcher. Der Kursverlauf sei ziemlich sprunghaft gewesen, die Kursbrüche allesamt bei Veröffentlichung der Quartalsergebnisse verzeichnet worden.

“Ich denke, dass die von Larry Page initiierte Wachstumsoffensive - Stellenzuwächse, verstärkte Investitionen im Kampf gegen Facebook und Apple der absolut richtige Schritt war”, meint Salcher, der auch daran glaubt, dass Google+ letztlich gegen Facebook reüssieren könnte.  

Die Zukunft
Für das laufende Jahr hat sich Google laut Page vor allem eines zum Ziel gesetzt: Noch intuitiver und einfacher zu werden. Dazu sollen auch die neuen vereinheitlichten Datenschutzbestimmungen beitragen. Die Haupteinnahmequelle bleibt auch weiterhin die Online-Werbung. Derzeit nutzen über eine Million Unternehmen Google-Werbeangebote. Darüber hinaus bringt auch YouTube gute Einnahmen, die Sparte habe zum vierten Mal in Folge den Umsatz gegenüber dem Vorjahr verdoppeln können.

Kritische Beobachter fürchten allerdings, dass Google den nächsten großen “Wow-Moment” schuldig bleiben könnte. Es sei Page gelungen, das Unternehmen zu entschlacken und auf Linie zu bringen. Nun müsse Google aber wieder mit ambitionierten und innovativen Produkten aufhorchen lassen, so der Tenor. “Sehr wichtig wird sein, dass Google trotz seiner schon beachtlichen Größe ein innovatives Unternehmen bleibt, in welchem die Entscheidungswege kurz bleiben und man Trends und Entwicklungen aus eigener Kraft entwickeln und antreiben kann”, sagt Branchenexperte Salcher. Dabei komme dem Bereich Android die größte Bedeutung zu. “Bei der Online-Suche wird Google wohl auf absehbare Zeit dominant bleiben, Microsoft-Yahoo mit Bing holen zwar leicht auf, stellen aber keinen allzu starken Gegner dar.” Auf die nächsten Jahre hin werde Google nach Salchers Einschätzung weiterhin hohe zweistellige Wachstumsraten schaffen.  “Für ein Unternehmen dieser Größe schon an sich eine Leistung.”

Die Urangst des Visonärs
Wovor sich Page selbst am meisten fürchtet, verriet er im vergangenen September in einem Gespräch mit Wired: Dabei handelt es sich nicht etwa um Apple, Microsoft oder Facebook. “Google ist sein eigener größter Feind”, sagte Page, der vor allem davor Angst hat, dass sein Konzern aufgrund von Schwerfälligkeit, übertriebener Zurückhaltung oder aufgrund von träger Bürokratie zugrunde geht.

Am Fokus auf das soziale Web, der Entwicklung innovativer Technologien und dem Verfolgen von Langzeit-Strategien hält Page jedenfalls fest: “Wir haben immer versucht, langfristig zu denken und auf Technologien zu setzen, von denen wir überzeugt waren, dass sie sich früher oder später durchsetzen werden.” Seine Erfahrung sei es, größere Erfolge mit gewagten Projekten einzufahren als mit weniger riskanten. Hier spricht wieder der Visionär Larry Page, der sich für führerlose Autos begeistert, von verrückten Ideen schwärmt und die Welt verändern will.

Mehr zum Thema

  • Eric Schmidt: "Bei Google, bis ich tot umfalle"
  • Google: 100 Tage Larry Page
  • Google-Chef knüpft Boni an Social-Media-Erfolg
  • Larry Page und die wertvollste Baustelle der Welt

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

mehr lesen
Claudia Zettel

Kommentare