Analyse

Ungewisse Zukunft für Japans Hightech-Industrie

Nach aktuellem Stand ist Sony am stärksten von den Auswirkungen des Erdbebens und Tsunamis betroffen. Sechs Fabriken mussten geschlossen werden, teils aufgrund direkter Schäden an den Gebäuden, teils aufgrund der Stromausfälle und um der Bitte des größten japanischen Energieversorgers TEPCO nachzukommen, Strom zu sparen. Die Tagajyo-Fabrik in der Präfektur Miyagi, in der Kassetten und Blu-rays hergestellt werden, ist am schwersten betroffen. Der gewaltige Tsunami setzte das gesamte Erdgeschoss unter Wasser. Die 1200 Mitarbeiter und einige Bewohner aus der Umgebung konnten sich auf das Dach retten und wurden von dort mit Hubschraubern evakuiert. Todesopfer gab es in dem Werk nicht zu beklagen.

Nach derzeitigem Stand kann Sony den Ausfall der Produktion ausgleichen, in Österreich sollte es keine Lieferengpässe geben. Die mögliche atomare Verseuchung ist allerdings nicht in Sonys Schätzung einbezogen und auch die Auswirkungen auf Lieferungen in Japan sind noch nicht absehbar. Bei Sony Österreich spricht man von einem „Chaos in Japan“, der Kontakt in die Zentrale ist nur sporadisch möglich. Aufgrund der Stromknappheit ist auch im Sony Headquarter in Tokio die Arbeit heute eingestellt worden.

OEM-Produkte
Der Produktionsausfall großer Hersteller wie Sony betrifft infolge aber auch andere Firmen. Die japanischen Elektronikriesen sind meist auch OEM-Produzenten, stellen also Komponenten für die Produkte anderer Hersteller her. Dazu gehören etwa Akkus, Chips und Halbleiter. Flash-Speicher in NAND-Bauweise, die etwa in Smartphones und Tablets zum Einsatz kommen, werden laut Expertenschätzungen zu 35 Prozent von japanischen Anbietern geliefert. Haupt-Hersteller ist Toshiba (seit 2006 auch Weltmarktführer bei Atomanlagen durch den Kauf der Nuklear-Sparte des Kraftwerk-Herstellers Westinghouse), der ebenfalls seine Werke in den Gebieten mit Stromknappheit geschlossen hat. Toshiba rechnet mit einem Produktionsrückgang von bis zu 20 Prozent in den nächsten zwei Monaten. Als Reaktion stiegen die Preise für NAND-Chips um bis zu 17 Prozent. Analysten rechnen damit, dass die Preise in den nächsten Tagen noch weiter steigen werden. Toshibas Notebook-Auslieferungen sind, zumindest für den Monat März, nicht betroffen, da die Geräte in China hergestellt und gelagert werden.

Panasonic
Mit Panasonic hat ein weiterer großer japanischer Hersteller Werke schließen müssen. Drei Fabriken wurden geräumt, da durch das Erdbeben Beschädigungen an den Decken und Wänden entstanden sind. Einige Mitarbeiter wurden leicht verletzt. In den betroffenen Werken wurden Komponenten für Digitalkameras und Blu-ray-Player hergestellt. Aufgrund der Gefahr von Nachbeben konnten die Gebäude noch nicht betreten werden, um das tatsächliche Schadausmaß festzustellen - weshalb sich Panasonic auch nicht zu möglichen Lieferengpässen äußern kann. Auch von Sanyo, einer Tochterfirma von Panasonic, die als OEM-Produzent von Batterien auftritt, gibt es noch keine klaren Aussagen. Sanyo stellt etwa die Akkus für Ford-Hybrid-Modelle her. Auch Boeing ist indirekt betroffen. 35 Prozent der Struktur des Boeing 787 Dreamliners werden von japanischen Herstellern geliefert.

Eine weitere Sparte, die bei einem längeren Produktionsausfall der japanischen Werke stark betroffen sein kann, sind Panele für Flat-TVs und Monitore. Mit Sharp ist zwar nur einer der großen LCD-Panel-Hersteller in Japan ansässig. Jedoch sind andere Panel-Produzenten aus Südkorea und Taiwan auf in Japan hergestellte Komponenten für LCD-Panele angewiesen, wie etwa Glas, Farbfilter und LEDs.

Keine Gewinner
Von der Katastrophe in Japan profitiert kein Unternehmen. Durch die enge Verflechtung und die Nutzung von OEM-Lieferanten werden Hersteller außerhalb Japans keinen Wettbewerbsvorteil durch die Lieferschwierigkeiten des Mitbewerbs ziehen. Im Gegenteil: So ist etwa Samsung sowohl Zulieferer für japanische Produkte, als auch auf Komponenten aus Japan angewiesen. Kann in Japan nicht produziert werden, werden dort keine Samsung-Komponenten benötigt. Und wenn Japan nicht diverse Komponenten herstellen kann, kann Samsung keine Endprodukte fertigen. Samsung bereitet sich bereits auf Lieferengpässe vor und hat momentan den Verkauf von DRAM-Chips auf dem Kassamarkt eingestellt, um genügend Vorräte für die eigene Endfertigung von Produkten zu haben.

Canon musste ebenfalls drei Werke in Japan vorübergehend schließen. Sollten die Produktionsstandorte länger als ein Monat nicht zur Verfügung stehen, sollen die Produkte an alternativen Standorten bzw. japanischen Produktionsstätten hergestellt werden, die nicht oder weniger stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind.

Druckerhersteller Epson hat in vier Werken den Betrieb eingestellt, in denen hauptsächlich elektronische Bauteile und Basismaterialien produziert werden. Ein Werk mit 180 Mitarbeitern soll den Betrieb demnächst wieder aufnehmen, zwei Fabriken mit 950 und 1700 Mitarbeitern werden derzeit auf Schäden überprüft. Fabrik Nummer vier wurde vom Erdbeben schwer beschädigt. Es befindet sich etwa 16 Kilometer vom Reaktor Fukushima entfernt und liegt somit in der Evakuierungszone.

Spenden der Industrie
Die japanischen Elektronik-Hersteller sprechen ihr Mitgefühl für die Betroffenen und Angehörigen der Opfer aus und versuchen mit Geld- und Sachspenden zu helfen. Sony hat eine finanzielle Soforthilfe in Höhe von 300 Millionen Yen (ca. 2,65 Millionen Euro) zugesagt.

Außerdem werden 30.000 Radios verteilt, die die Informationsversorgung der Bevölkerung in den Krisenregionen sicherstellen sollen. Canon und Nintendo spenden ebenfalls je 300 Millionen Yen. Sharp kündigte eine Spende von 100 Millionen Yen (886.000 Euro) an und überprüft die Möglichkeit einer Spende von LCD-Fernsehern und anderen Gegenständen für das Evakuierungsgebiet. Auch Epson spendet 100 Millionen Yen.

General Electric will fünf Millionen US-Dollar spenden und bietet Toshiba und TEPCO technische Unterstützung an. General Electric hat den ersten Reaktor von Fukushima gebaut, der von TEPCO betrieben wird. Reaktor Nummer zwei wurde zusammen mit Toshiba gebaut. Panasonic spendet 300 Millionen Yen, 10.000 Radios, 10.000 Taschenlampen und 500.000 Batterien sowie 4000 Solar-LED-Laternen, die von Sanyo produziert werden. Auch das südkoreanische Unternehmen Samsung spendet 100 Millionen Yen und stellt 2000 Notfall-Sets, bestehend aus Decken, Kleidung und anderen essenziellen Gegenständen, zur Verfügung. Weiters entsendet der Konzern zehn Mitarbeiter des Samsung Rescue Corps und elf Personen des medizinischen Personals des Samsung Medical Centers.

Update 16.3.:
Auch Fujitsu hat sich zu den entstandenen Schäden geäußert. Insgesamt sind sechs Werke betroffen, in denen Halbleiter- und Mikrotechnik-Produkte und -Komponenten hergestellt werden. Vier Fabriken befinden sich in der Präfektur Fukushima, in der noch immer versucht wird die Reaktoren zu stabilisieren. Ein vollständiges Schadausmaß hat Fujitsu noch nicht. Auch ist noch unklar, wann die Arbeit wieder aufgenommen werden kann. Fujitsu wird 100 Millionen Yen für die Katastrophenhilfe spenden. Auch Brother hat eine Spende von 100 Millionen Yen angekündigt.

Analysten rechnen mit einer Preissteigerung von Akkus, da neben Sony und Sanyo auch Hitachi Chemical ein Werk schließen musste. Dort wurden Materialien für Lithium-Ionen-Akkus hergestellt. Auch bei Chips wird mit einer Preissteigerung gerechnet. Mitsubishi Gas Chemical kontrolliert 50 Prozent des weltweiten Marktes von Kunstharz für die Produktion von Chips, die unter anderem in Smartphones und Tablets zum Einsatz kommen. Kritisch wird es laut Analysten aber erst, wenn Mitsubishis Harz-Produktion für drei Monate oder länger ausfällt.

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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Gregor Gruber

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