"Der Hass im Netz ist organisiert"
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Kübra Gümüşay macht sich gegen Alltagsrassismus und für Frauenrechte stark. Auf der Internetkonferenz re:publica sprach sie im Frühjahr in einem Vortrag darüber, wie man Hass und Hetze im Netz mit dem Verbreiten von positiven Botschaften beikommen kann. Im futurezone-Interview erklärt die Journalistin und Aktivistin, welche Erfahrungen sie selbst gesammelt hat, wie man mit dem Problem von Hass im Netz umgehen kann und welche politischen und gesellschaftlichen Maßnahmen dazu nötig sind.
futurezone: Sie sagen, man soll das Positive im Netz verbreiten, es gar zelebrieren. Was ist Ihre Vorstellung davon und gibt es wirklich eine Chance, dadurch den Hass, der sich im Netz ausgebreitet hat, noch einzudämmen?
Kübra Gümüşay: Wir müssen begreifen, dass Begeisterung und das Teilen von Zustimmung ein politisches Werkzeug sein kann. Damit einhergeht, dass wir begreifen, dass der Hass, der sich im Netz breitmacht, von politischer Relevanz ist. Er hat direkten Einfluss darauf, wie sich unsere Gesellschaft wandelt. Der Hass ist nicht einfach natürlich, sondern er ist organisiert, mitunter mit einer politischen Intention.
Was genau meinen Sie mit “organisiert”?
Das heißt zum Beispiel, dass sich die Hetzer daran abarbeiten, wenn bestimmte Personen oder Ideen auf bestimmten Plattformen und in Medien geteilt bzw. aufgegriffen werden. Oft stört es diese Leute, dass gewisse politische Positionen präsent sind. Das Ziel ist dann, den Eindruck zu erwecken, dass diese Positionen nicht mehrheitsfähig seien. Dann wird in vielen Leserbriefen an Redaktionen geschrieben, um zu vermitteln, dass besagte Positionen viel zu kontrovers seien, um sie noch einmal zu diskutieren. Es geht um Einschüchterung und es wird versucht den Anschein zu erwecken, dass die “unliebsamen” Positionen nicht von der Mehrheit der Gesellschaft getragen werden. Wenn man einmal weiß, dass dieser Hass oft derartig organisiert ist, dann weiß man auch, wie man dagegen vorgehen kann.
Und wie kann man vorgehen?
Wir können den Hass nicht eindämmen, aber wir können ihn eingrenzen. Die einzig nachhaltige Maßnahme ist, zu verstehen, wie dieser Hass funktioniert und ihm Einhalt zu gebieten. Man kann hassen, man muss diesen Hass aber nicht zum Gegenstand unsere Mitte machen.
Also schenken wir dem Hass zu viel Aufmerksamkeit?
Falsche Aufmerksamkeit. Wenn etwa die AfD kommt und fragt, ob der Islam zu Deutschland gehört, dann sollten wir nicht über diese Frage diskutieren. Denn die Frage ist an sich rassistisch, diskriminierend und bringt nichts. Wir müssen die AfD ernst nehmen, aber in anderer Form als in der Vergangenheit. Wir müssen begreifen, dass es problematisch ist, wenn Menschen den Hass auf eine Religion zum Mittelpunkt ihres Parteiprogramms machen.
Wie können einzelne Personen, die direkt im Netz angefeindet und bedroht werden, mit dem Hass umgehen, sich dagegen wehren?
Ich denke, man sollte auf keinen Fall mit solchen Menschen diskutieren. Wenn es geht, sollte man die Hassbotschaften anderen zeigen und die betreffenden Nutzer dann blocken. Häufig, etwa wenn Drohungen im persönlichen Postfach landen, bekommen andere das online nicht mit, deswegen ist es da auch oft schwieriger Zivilcourage einzufordern. Gleichzeitig ist es online leichter Zivilcourage zu zeigen, weil man sich weniger in direkte Gefahr, etwa von körperlicher Gewalt, begibt. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen, die angegriffen werden, das sichtbar machen.
Waren Sie selbst schon Opfer von Angriffen im Netz, wenn ja, wie haben Sie das erlebt?
Bei mir hat sich das im Laufe der Zeit etwas verändert. Früher habe ich sehr viele persönliche Mails, etc. bekommen, inzwischen hat sich das umgelagert auf die Medien, für die ich schreibe. Die Taktik ist folgende: Sie sehen, dass man mich nicht einschüchtern kann, glauben aber, dass sie verhindern können, dass ich mediale Plattformen bekomme. Grundsätzlich lässt es mich ziemlich kalt. Ich bin quasi damit aufgewachsen, weil ich sehr früh angefangen hab, mich zu äußern. Es ist nicht mehr überraschend, deshalb komm ich damit klar. Aber in manchen Momenten, etwa aktuell mit der AfD, kommt der Punkt, wo es einem die Hoffnung nimmt, weil man merkt, wie sich Dinge wiederholen.
Nach den Ereignissen in Köln zum Jahreswechsel konnte man beobachten, dass viele Antifeministen plötzlich zu großen “Frauenbeschützern” wurden und das Thema missbrauchten, um ihren Rassismus loszuwerden. Haben Sie das Gefühl dass sich die Problematik an dieser Schnittstelle noch weiter zuspitzen wird?
Das Problem ist: Die Welt ist komplex. Wir versuchen immer Menschengruppen oder Ereignisse vereinfacht darzustellen. Aber das geht einfach nicht. Das, was in Köln passiert ist, hätten wir ganz anders diskutieren können, wenn wir in einer Gesellschaft leben würden, in der bestimmte Minderheiten in ihrer Vielschichtigkeit sichtbar sind. Man hätte differenzierter diskutieren können, hätten wir ein differenzierteres Bild von den Bevölkerungsgruppen in
Deutschland gehabt. Aber weil wir ein simplifiziertes, plumpes und entmenschlichtes Bild haben, war das Ganze so emotional aufgeladen.
Kann es sein, dass die Hetzer im Netz - vielleicht weil sie organisiert sind, wie Sie sagen - in der Zahl eigentlich viel weniger sind, als wir manchmal glauben? Sind sie einfach lauter als der Rest?
Ich denke, der Anteil dieser Menschen wird größer. Aber, wenn wir wollen, dann sind wir mehr und dann sind wir lauter als die Hetzer. Wir müssen nur diese Verantwortung begreifen. Ein Beispiel waren etwa Pegida-Demonstrationen, wo die Gegendemonstrationen weit größer waren. Nur wird der Hass nicht immer in derart materialisierter und visualisierter Form vor uns stehen wie bei Pegida. Oftmals geschieht Hass viel subtiler und wir müssen das verstehen und erst gar nicht darauf warten, dass er in materialisierter Form vor uns steht.
Würden Sie sich auch rechtlich strengere Rahmen bzw. politische Maßnahmen wünschen, um dem Hass im Netz beizukommen?
Natürlich würde es helfen, wenn da auch von staatlicher Seite strenger vorgegangen würde, wenn der Staat sagt: Hier und hier überschreitet das eine Grenze. Gleichzeitig muss ein Gesetz aber mit einer gesellschaftlichen Veränderung einhergehen. An diesem Punkt sehe ich auch meine Aufgabe. Wir müssen als Individuen begreifen, dass wir umdenken müssen. Klar brauchen wir eine Zweigleisigkeit, müssen schauen, wo man Gesetze vielleicht verschärfen muss. Aber vieles befindet sich auch in der Grauzone und das müssen wir als Gesellschaft begreifen.
Sehen Sie Tendenzen, was die Geschlechter betrifft? Geht der Hass stärker von Männern aus als von Frauen?
Was ich persönlich sagen kann, liegen die Anfeindungen wohl bei einem Verhältnis von 60 (Männer) zu 40 (Frauen). In der antifeministischen Szene sind es zu einem sehr, sehr hohen Anteil natürlich Männer, aber in der rassistischen Szene geht der Hass nach meinem Gefühl ausgeglichener sowohl von Männern als auch Frauen aus.
Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen, mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie? Können wir uns als Gesellschaft hier in einem positiven Sinne durchsetzen oder wird man mit diesem Hass einfach zum Teil auch leben müssen?
Prinzipiell beobachte ich, dass Leute immer dann reagieren, wenn sie sich persönlich in Gefahr sehen. Ich denke aber, dass viele nicht realisieren, dass das bereits der Zustand ist. Denn vieles passiert so schleichend, dass wir gar nicht merken, welche Entwicklung wir gerade durchnehmen. Wir haben nicht den Luxus das zu ignorieren. Und es darf nicht sein, dass nur diejenigen sich gegen diese Entwicklung wehren, die davon betroffen sind, es muss die Verantwortung aller sein. Wir dürfen nicht glauben, dass Rassismus nur dann ein dringendes Problem ist, wenn Flüchtlingsheime brennen oder Leute gerade sterben.
kurier.at und futurezone.at widmen sich der Thematik bereits seit einigen Wochen mit der Initiative #GegenHassimNetz.
Kommentare