Firefox-Chef: "Das offene Internet ist in Gefahr"
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futurezone: Als Firefox offiziell veröffentlicht wurde, hatte der Internet Explorer über 95 Prozent Marktanteil. Heute liegt Firefox in vielen Regionen vor Microsoft. Haben Sie das damals für möglich gehalten?
Johnathan Nightingale: Dass wir einmal Hunderte Millionen User haben würden, hat man natürlich gar nicht zu denken gewagt. Aber das Bedürfnis nach einer Internet-Explorer-Alternative war damals groß. Es gab keinen Wettbewerb, Microsoft agierte langsam, im Web herrschte nach dem Platzen der .com-Blase Stillstand.
Wie hat Mozilla es geschafft, Firefox zu etablieren?
Die erste Million User, die wir hatten und zu denen wohl auch ich zähle, konnten wir mit den Werten überzeugen, für die wir heute auch noch stehen: Ein Browser, der von einer Non-profit-Organisation mithilfe der Community entwickelt wird, als Alternative zu einem Produkt eines profitorientierten Milliarden-Konzerns. Der Massenerfolg war allerdings nur dadurch möglich, dass unser Produkt gut war und die Bedürfnisse der Leute erfüllte.
Wie ist die Situation auf dem Browsermarkt heute?
Firefox hat den Markt nachhaltig verändert. Durch unseren Erfolg waren Microsoft, aber auch Apple gezwungen zu investieren. Und auch Google wurde angestachelt, mit einem eigenen Browser mitzumischen.
Google ist mit Chrome derzeit sehr erfolgreich. Schmerzt der sinkende Marktanteil?
Wenn man in Konkurrenz zu Konzernen steht, die das Vielfache an Ressourcen für Mitarbeiter und Marketing ausgeben können, ist die Gefahr immer groß, dass man unter die Räder kommt. Ich würde auch lügen, wenn ich sage, dass uns der Marktanteil egal ist. Denn Marktanteile garantieren, dass wir die Entwicklung des Webs mit beeinflussen können. Derzeit gelingt uns das immer noch sehr gut.
Droht mit Google Chrome ein ähnliches Browsermonopol wie damals mit Microsofts Internet Explorer?
Viele Leute finden es nicht gut, dass Google sich die ganze Welt einverleibt. Wir haben naturgemäß einen anderen Zugang, wir wollen nicht die Welt beherrschen oder dafür sorgen, dass Leute nur einen einzigen Browser benützen. Auch sind wir im Gegensatz zu allen anderen Mitbewerbern unabhängig und Non-profit, während Konzerne wie Google, Apple oder Microsoft ihren Aktionären in der Pflicht stehen.
Was bedeutet die derzeitige Konstellation für die Weiterentwicklung des Webs?
Es gibt ein echtes Risiko, dass es das offene Internet, wie wir es kennen, in Zukunft nicht mehr geben wird. Die Konzerne wissen, dass sie noch mehr Profit machen können, wenn sie sich zwischen das frei zugängliche Web und die User schalten können. Die Gefahr ist, dass man über die schönen Smartphone- und Tablet-Geräte in ein Ökosystem gesperrt wird, in welchem von den Apps bis zur Bezahlung von Services alles von den Herstellern vorgegeben und kontrolliert wird.
Es stimmt, dass wir mit Firefox für Android im Jahr 2011 spät dran waren. Wir haben aus dieser Zeit aber sehr viel gelernt und etwa auch die Organisationsstruktur umgebaut. Mit über 85 Millionen Downloads ist die Android-Version mittlerweile sehr erfolgreich. Der größte Schwachpunkt ist, dass viele Leute die mobile Version noch nicht kennen. Da müssen wir in die Offensive gehen.
Viele Firefox-User vermissen Firefox auf iOS. Gibt es Pläne auf Apple-Geräte zurückzukehren?
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie geschlossen die Systeme heute sind. Apple erlaubt weder eine eigene Browser- noch eine Rendering-Engine außer der eigenen. Auch kann man den Standardbrowser bis heute nicht ändern. Daher waren wir dort nie vertreten. Wir wissen aber, dass viele User sich Firefox auf iPhones und iPads wünschen, daher werden wir sehen, ob es mit dem etwas offener gestalteten iOS 8 für uns eine Möglichkeit gibt, mit einer iOS-Version zurückzukehren.
Wie läuft die Entwicklung mit dem mobilen Betriebssystem Firefox OS?
Die halbe Welt hat derzeit noch keinen Zugang zum Web. Das wird sich in Kürze ändern, allerdings nicht über 800-Euro-Smartphones, sondern leistbare Geräte. Mit Firefox OS wollen wir sicherstellen, dass sich diese Menschen ohne Restriktionen mit dem Internet verbinden können.
Was können User von Mozilla im kommenden Jahr erwarten?
2015 wird sich bei uns vieles um die einfachere Synchronisation von Firefox auf verschiedenen Geräten und Plattformen drehen. Das Sync-Feature, mit dem Lesezeichen, Passwörter, aufgerufene Webseiten synchron gehalten werden können, existiert bereits. Wir werden aber sicher stellen, dass alles noch viel einfacher geht. Ähnliches planen wir auch im Bereich Datenschutz und Privatsphäre. Es wird noch einfacher werden, bestimmte Inhalte aus dem Verlauf auszublenden oder in einen anderen Modus zu wechseln, wenn etwa der Mitbewohner oder Arbeitskollege auf meinem Computer im Browser was nachsieht.
Wird das reichen, um Google, Apple und Co die Stirn zu bieten?
Wie vor zehn Jahren befinden wir uns jetzt erneut an einem Wendepunkt. Viele User kommen mehr und mehr drauf, dass sie in den Ökosystemen besagter Hersteller gefangen sind und dass die Wahlmöglichkeiten zusehends beschnitten werden. Wir stehen für den Gegenentwurf und müssen mit unserer Message durchdringen. Angesichts der riesigen Marketing-Abteilungen der Konzerne wird dies kein leichtes Unterfangen.
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