Gezwitscher zwischen Revolution und Mittagessen
Gezwitscher zwischen Revolution und Mittagessen
© dpa/Armin Weigel

Gezwitscher zwischen Revolution und Mittagessen

Gezwitscher zwischen Revolution und Mittagessen

„just setting up my twttr“ („Richte soeben mein Twitter ein“), so lautete der allererste Tweet, der am 21. März 2006 von Jack Dorsey, einem der Plattform-Gründer, verschickt wurde. Der offizielle Launch von Twitter erfolgte ein paar Monate später im Juli 2006. Ursprünglich ein Forschungsprojekt für die Podcasting-Firma Odeo hatte Dorsey die Idee zu der Plattform gemeinsam mit seinen Kollegen Biz Stone und Evan Williams weiterentwickelt. Der Aufstieg von Twitter, während der Entwicklungszeit noch unter dem Codenamen „twttr“ geführt, erfolgte rasant. Die drei Plattform-Gründer hatten schon früh den Nerv der Zeit erkannt und mit der Mischung aus simpler Kommunikation und grenzenloser Vernetzung auf das richtige Pferd gesetzt.

Heute zählt Twitter mehr als 200 Millionen Nutzer, täglich werden rund 140 Millionen Tweets verschickt. Allein im Jahr 2010 wurden insgesamt 25 Milliarden Botschaften mit den berühmten 140 Zeichen in die Online-Welt hinaus geschickt. Der Rekord für die meisten Kurznachrichten pro Sekunde liegt derzeit bei 6.939 Nachrichten. Aktuell kommen pro Tag 460.000 neue Nutzer hinzu.

 "Jeder, der etwas Interessantes zu sagen hat, und versteht, wie Twitter funktioniert, profitiert von diesem Dienst", sagt Jonny Jelinek von der Social-Media-Agentur webfeuer im futurezone-Interview. "Sei es die Privatperson, die über Twitter neue Freunde findet; der Blogger, der über Twitter mehr Leser bekommt; der Demonstrant, der sich auf Twitter über die Grenzen hinaus organisiert oder das Unternehmen, das einen aktiven Dialog mit der Zielgruppe führt, Twitter als Kundenservice nutzt und die eigene Marke bekannter macht."

Viele stumme VögelDoch so beeindruckend sich die Nutzerzahlen auf den ersten Blick lesen, so leidet Twitter – wie viele andere soziale Netzwerke – auch an einer großen Zahl von „Karteileichen“. Generell muss unterschieden werden zwischen jenen Nutzern, die tatsächlich regelmäßig aktiv sind und jenen, die sich nur anmelden und dann nie wieder auf die Plattform kommen. Ein großer Teil der Twitter-Nutzer kommt auch häufig nur zum Mitlesen, verfasst selbst aber keine Kurznachrichten. Das zeigt sich auch am Beispiel Österreich: Insgesamt sind laut Social Media Radar Austria 41.540 User bei Twitter angemeldet. Aktive Accounts – der Messzeitraum beträgt jeweils die vergangenen 28 Tage – wurden zuletzt allerdings nur 20.755 gezählt. Bei den schreibenden Accounts ist Zahl mit 15.995 noch einmal deutlich kleiner.

Trotzdem dürfe man die österreichische Twitter-Community nicht unterschätzen, meint Jelinek. "Aktive Twitterer haben oft sehr großen Einfluss im Social Web und es gibt eine vielzahl an Multiplikatoren, die mit einem Tweet eine Welle auslösen können." Zuletzt habe man das beim Fall "#grassermovies" beobachten können. "Diese Bewegung ist aus einem einzigen Tweet heraus entstanden", so Jelinek. Ein anderes Beispiel sei etwa "#unibrennt".

Idole hautnahMit seinem simplen Nutzungsprinzip bringt Twitter Menschen aus der ganzen Welt sozusagen in Echtzeit miteinander in Verbindung. Selbst Prominente und Politiker werden auf der Plattform für alle Menschen gleichermaßen greifbar. Wer wissen will, was sein Popidol gerade macht, kann das heute in vielen Fällen auf Twitter nachlesen. Das größte Interesse haben die Nutzer derzeit an Sängerin Lady Gaga. Der Popstar hat mit knapp neun Millionen Followern die meisten registrierten Abonnenten.

Natürlich nutzen die Promis, aber auch Politiker und Parteien den Service auch dazu, sich selbst zu vermarkten oder um für ihre Anliegen zu werben. Dasselbe gilt für Unternehmen und Organisationen. Der Auftritt auf Social-Media-Plattformen ist für viele heute zur Selbstverständlichkeit geworden. "Auch immer mehr heimische Unternehmen entdecken Twitter für sich", sagt Jelinek. Internationale Erfolgsgeschichten hätten dazu beigetragen, den Dienst langsam in Richtung Mainstream zu bringen. Aber: "Es ist auch schwieriger geworden, aktiv Follower zu generieren. Denn mittlerweile wird viel mehr Wert auf die Qualität und Relevanz der Tweets gelegt", so Jelinek. Die Nutzer überlegen mittlerweile sehr genau, wem sie folgen. "Hier müssen Unternehmen lernen, einen aktiven Dialog mit ihren Followern zu führen, wenn sie auf Twitter erfolgreich sein wollen." 

Politik und BelanglosigkeitDie Nutzung der Plattform ist höchst unterschiedlich. Die veröffentlichten Botschaften reichen von Belanglosigkeiten wie dem gerade verspeisten Mittagessen bis hin zu hoch politischen Tweets oder Informationen über Umweltkatastrophen. Zuletzt etwa nutzten viele Demonstranten in der arabischen Welt den Service, um die staatliche Repression zu umgehen, sich zu organisieren und gegenseitig zu informieren. Auch im Zuge der Erdbeben- und AKW-Katastrophe in Japan kam Twitter wieder verstärkt als Kommunikationsmittel zum Einsatz. Sogar der stark in die Kritik geratene Kraftwerksbetreiber Tepco eröffnete vor wenigen Tagen einen eigenen Twitter-Account, um darüber Informationen zum aktuellen Stand der Dinge zu verbreiten. Twitter sei nicht unbedingt ein Triumph der Technologie, sondern vielmehr ein Triumph der Menschlichkeit, so Mitbegründer Biz Stone über den Erfolg der Plattform.

"Ich denke, dass Twitter das Mediennutzungsverhalten der Leute verändert. News werden einfach schneller gefiltert, gelesen und konsumiert", meint Jelinek. Auf der einen Seite lernten die Leute, sich kurz zu fassen, auf den Punkt zu kommen und das wesentliche in 140 Zeichen zu verpacken. "Auf der anderen Seite wird schneller gescannt und gefiltert, um zu entscheiden, was relevant ist und was nicht."

Schwachstelle GeschäftsmodellIn einem Punkt hat der Kurznachrichtendienst allerdings nach wie vor seine Schwierigkeiten: Twitter gewinnt zwar stetig an Beliebtheit und Bedeutung, doch bisher schlägt sich das für das Unternehmen nicht in den Einnahmen nieder. Zwar betonte Twitter-CEO Dick Costolo zuletzt im Rahmen des Mobile World Congress, die Seite verdiene Geld, doch profitabel ist Twitter nach wie vor nicht. Man stehe erst am Anfang der Einnahmesteigerung, heißt es. An die Börse will das Unternehmen derzeit nicht.

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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