Kinderhände zerlegen in Ghana europäischen Elektromüll
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In Ghana nennen sie den Stadtteil einfach Sodom und Gomorrha. Elektromüll aus Deutschland und dem Rest der Welt landet hier in einem Slum der Hauptstadt Accra. „Damit verdienen wir unser tägliches Brot“, sagt Yussif Mahawakli. Mit einem Freund zusammen sitzt er vor seiner Wellblechhütte und weidet die weggeschmissenen Elektrogeräte aus, um verwertbare Teile zu finden. „Damit können wir uns selbst über Wasser halten und Geld sparen, das wir unseren Eltern im Norden schicken“, sagt der 27-Jährige.
Gefährliche Suche
Die Deponie in dem Slum gilt als die größte Elektromüll-Halde der Welt. Tausende Jäger der Elektroreste setzen hier ihre Gesundheit aufs Spiel. Die Schweizer Umweltorganisation Green Cross zählt das Elendsviertel Agbogbloshie zu den zehn verseuchtesten Orten der Welt, auch Tschernobyl findet sich auf dieser Liste. Viele Kinder wachsen hier auf und machen sich oft mit bloßen Händen an dem Elektromüll zu schaffen. Sie zertrümmern die Geräte mit Steinen und suchen dann in dem Schrott nach verwertbaren Rohstoffen.
Blei, Cadmium, Dioxine und viele andere gesundheitsgefährdende Stoffe fallen hier als Abfallprodukte an. Was nicht brennt, wird entweder in den nahen Fluss geschmissen oder einfach auf dem stetig wachsenden Elektromüllberg liegen gelassen. Über dem Slum wabert oft schwarzer, beißender Rauch, der beim Verbrennen von Kabeln oder Isolierschaum entsteht. Manche der Chemikalien wirken sich auf die Fortpflanzung aus, andere können Krebs hervorrufen oder Gehirn und Nervensystem schädigen.
Müll illegal verkauft
Bei der Besichtigung von Agbogbloshie sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im April: „Die meisten bei uns in Europa ausrangierten Elektronikgeräte kommen hierher - auch aus Deutschland, legal und illegal.“ Die Verwertung des Elektromülls aus dem Ausland ist eine eigene Industrie in Ghana. Die Container mit dem Schrott kommen über den Hafen ins Land, dann beginnt eine komplizierte Verwertungskette. Alte Fernseher, Computer, Radios, Stereoanlagen, Bügeleisen, Kühlschränke, Klimaanlagen und Mobiltelefone sind hier begehrte Rohstoffe. „Wir kaufen alles. Wir nehmen es auseinander und holen uns, was wir brauchen können“, sagt Mahawakli.
Er sucht in dem Schrott unter anderem nach anderem Kupfer, Aluminium, Zink und anderen Metallen, die er dann an Zwischenhändler weiterverkauft. „Wir packen die Metalle ab und bringen sie zu den Nigerianern“, sagt Mahawakli. Diese verkaufen sie dann international weiter. Weltweit entstehen jährlich bis zu 50 Millionen Tonnen Elektromüll. Davon werden dem UN-Umweltprogramm (Unep) zufolge 60 bis 90 Prozent illegal verkauft oder entsorgt. Greenpeace schätzt, dass Elektroschrott inzwischen rund fünf Prozent der totalen Abfallmenge ausmacht, etwa genauso viel wie Plastik.
Gefahr für Afrika
Experten zufolge wird mehr als die Hälfte des weltweiten Elektronikschrotts nach Afrika verschifft, hauptsächlich aus Deutschland, anderen Ländern Europas oder den USA. Der Müll kommt nach Ghana oder auch nach Nigeria, häufig deklariert als Spende oder als gebrauchte Ware für den Wiederverkauf. Interpol zufolge ist eine Tonne Elektroschrott rund 500 US-Dollar wert. Damit ergäbe sich ein jährliches Handelsvolumen von fast 19 Milliarden US-Dollar.
Unep-Chef Achim Steiner hat im Mai gewarnt, dass die „beispiellose Menge Elektroschrott“ auch eine „wachsende Bedrohung für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellt.“ Mahawakli jedoch macht sich keine Sorgen über seine Gesundheit, er sieht in dem Elektroschrott seinen Lebensunterhalt. „Ich habe gehört, dass es gefährlich sein soll, aber was sollen wir denn sonst machen?“ fragt er. An einem guten Tag könne er 50 Cedis verdienen (10 Euro). Der Mindestlohn in Ghana liegt pro Tag nur bei 7 Cedis.
Gebiet geräumt
Doch seit letztem Monat sieht er seinen Lebensunterhalt in Gefahr. Die Behörden haben trotz massiver Proteste der geschätzt 40 000 Slumbewohner damit begonnen, Teile des Gebiets zu räumen. Die Stadtverwaltung will den Wasserfluss zum Ozean wiederherstellen, um Überschwemmungen zu vermeiden. Bei einer Überflutung und einem Feuer kamen im Juni 159 Menschen ums Leben.
„Jetzt können wir kaum mehr Elektroschrott zum Arbeiten mehr bekommen“, klagt Mahawakli. Die Wellblechhütten, wo er Schrott einkaufte, seien dem Erdboden gleich gemacht worden. „Die Behörden hätten uns wenigstens informieren sollen.“ Jetzt patrouilliert dort die Bereitschaftspolizei. Doch der Müll wird seinen Weg wieder finden, zeigt sich Mahawakli zuversichtlich. „Ich warte nur darauf, dass sich die Lage beruhigt, dann fangen wir wieder richtig an.“
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